Donnerstag, 28. März 2024

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Christof Nel inszeniert Mozarts "La clemenza di Tito" an der Oper Düsseldorf

Mozarts 'runder Geburtstag' bringt es mit sich, dass der Konzert- und Opernbetrieb verstärkt mit seinen Arbeiten bestückt wird. Die Deutsche Oper am Rhein hat, inszeniert von Christof Nel, "La clemenza di Tito" herausgebracht. Die Milde des Titus wurde einst als Krönungsoper für den mit großen Fortschrittserwartungen begrüßten Leopold II. komponiert und kann in gewisser Weise als Mozarts politisches Vermächtnis verstanden werden, obwohl es doch vordergründig um nichts anderes als die erotischen Intrigen im Umfeld des römischen Imperators geht.

Von Frieder Reininghaus | 05.02.2006
    Als Mozart in seinem Todesjahr dieses dramma serio per musica im Auftrag der böhmischen Stände ausarbeitete, war die literarische Vorlage etwas mehr als ein halbes Jahrhundert alt und wurde rasch dem gewandelten Zeitgeschmack angepasst. So war "La clemenza di Tito" von Anfang an ein Werk der Übertragung: der moderat modernisierte "Fürstenspiegel" verhandelte in der Tradition beschönigender Geschichtsschreibung die Biographie des römischen Kaisers Titus Flavius Vespasian, der sich besondere Verdienste durch ein Juden-Massaker erwarb, und führt wünschenswerte Tugenden eines aufgeklärten Monarchen vor.

    "Titus" wirkt nach "Don Giovanni" und "Così fan tutte", als hätten nicht nur die Textverfertiger, sondern auch der Komponist Kreide gefressen. Die immer wieder angeführte Entschuldigung für die schlichte Bauart des Werks, die Simplizität vieler Melodien und die bescheidene Instrumentierung, Mozart habe wegen eines akuten finanziellen Engpasses und über die Maßen rasch ein Auftragswerk herunterkomponiert, ist höchstens halb begründet: Tatsächlich bestand Geldbedarf und war Eile geboten, weshalb Mozart wohl auch die Ausführung vieler Rezitative seinem Adlatus F.X. Süßmayr überließ. Freilich dehnte er die Fest- und Huldigungsmusik gewaltig in die Länge. Die von Andreas Stoehr geleitete Aufführung in Düsseldorf dauert dreieinhalb Stunden. Man tut dem ehrgeizigen Mozart durchaus Unrecht, wenn die Ernsthaftigkeit der von ihm am Ende seines Lebens praktizierten "neuen Einfachheit" in Abrede gestellt wird. In ihr dürfte ja nicht zuletzt das lang anhaltende Erfolgsrezept dieser opera seria gelegen haben.
    "La clemenza di Tito" handelt von nicht anderem als von erotischen Intrigen im Umfeld des römischen Imperators, die von einem Mordanschlag auf ihn gekrönt werden, der misslingt, und einer schweren Brandstiftung, der das Kapitol zum Opfer fällt. Titus praktiziert bis an die Grenze der Selbstverleugnung und Klebrigkeit Güte, Verständnis und Nachsicht. Er setzt - in Rücksicht auf sein Bild in der Geschichte - willkürlich Gnade vor Recht.

    Christof Nel übertrug, mit Hilfe einer entfernt an neuerer Staatskanzleiarchitektur orientierten Architektur von Roland Aeschlimann, die dreifach alte Geschichte in ein politisch-gesellschaftliches Niemandsland. In ihm bewegt sich die gelegentlich stimmlich überforderte Nataliya Kovalova als tough gestylte, ehrgeizig-zickige Vitellia in Mode von heute. Man versteht nicht, warum sie nicht per Handy das zu früh gegebene Signal zum Aufstand zurückzubeordern sucht. Je tiefer sie sich in die Intrige verstrickt, desto mehr löst sich ihre Hochfrisur auf. Zugleich mehren sich die Toga-Träger auf der Bühne, vermummen sich schließlich und bewaffnen sich mit orientalischen Schwertern. Corby Welch, ein Titus in goldenen Schläppchen, erscheint als einer, der sich durch eine Kapriole der Geschichte auf den Thron verirrt hat - als Erbe, der sich am Ende aufs Theaterspielen kapriziert und daher auf goldene Kothurne stellt, womit auch etwas Distanz zum hochtrabenden Reden hergestellt wird.

    Präzise hat Nel die Begehrlichkeiten und das Zaudern der Protagonisten und die Spannungsverhältnisse zwischen ihnen in Bewegungen umsetzen lassen. Freilich rächt es sich - in aller Güte - wenn ein Regisseur offensichtlich nur das Individuelle in psychologisierter Form aus einem Stück herausschält, in dem es von historischer Beschönigungen nur so wimmelt. Über die milde Ironisierung der Titus-Figur hinaus böte gerade dieses Werk Anlass zu einem fulminanten Rückblick auf politische Verwerfungen - wenn es den Mut zum Aufmischen der Unsäglichkeit gäbe und dieser nicht gleich wieder von neudeutscher Regietheater-Albernheit verschüttet würde.