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Christoph Keese
"Das Silicon Valley hat etwas Undemokratisches"

Vier Manager des Axel Springer-Konzerns zogen für ein halbes Jahr in das Epizentrum des World Wide Web: nach Kalifornien ins Silicon Valley. Einer von ihnen ist Christoph Keese, Journalist und Vize-Chef des Springer Verlags. Über seine Erfahrungen im mächtigsten Tal der Welt hat er ein Buch geschrieben.

Von Benjamin Hammer | 12.01.2015
    Es gibt da ein Foto von den Springer-Managern im Silicon Valley. Drei Männer um die 50 stehen lässig auf einer Vorstadtstraße, an den Füßen haben sie Chucks, diese sportlichen Schuhe, die man eigentlich nur bis zur Studentenzeit trägt. Kai Diekmann, den Chefredakteur der Bild-Zeitung, hat es schon nach wenigen Wochen vollends verwandelt. Er trägt Vollbart und Kapuzenpulli, dazu eine dicke Hipster-Brille. Auf dem Bild fehlt ein Mann aus dem Springer-Quartett: Christoph Keese.
    "Bei mir ist der Wandel eher innerlich verlaufen. Und mein Bart ist das Buch, das ich geschrieben habe. Das hat mir auf den Nägeln gebrannt."
    Keese ist beim Springer Verlag der "Executive Vice President". Das klingt schon mal nach Kalifornien und damit steht Keese direkt unter Springer-Chef Matthias Döpfner. Manche sagen, er sei so etwas wie der Außenminister des Konzerns. Da war es nur folgerichtig, dass Keese für sechs Monate ins Silicon Valley zog.
    "Die Idee dahinter war – und das hat sich dann doch sehr bewährt - dass wir uns dem Lebensstil dort vor Ort anpassen."
    Christoph Keese kam mit einer Frage ins Silicon Valley: Was ist das für ein Ort, dieses kleine Tal, das nur halb so groß ist wie das Ruhrgebiet? Was passiert in diesem – wie er schreibt - Epizentrum einer kulturellen Revolution? Der Anfang war gar nicht so einfach. Viele Gründer, Investoren und Forscher hatten noch nie von der Zeitung mit den vier Buchstaben gehört. Und mit E-Mails und Anrufen kamen Keese und seine Kollegen nicht weit. Sie wurden fast nie beantwortet.
    Was passiert im mächtigsten Tal der Welt?
    "Der Eintritt in die interessanten Kreise von Palo Alto ist schwer, wenn man es virtuell versucht. Spontane Besuche bei Firmen sind aussichtslos. Schon deshalb, weil man die Adressen nicht kennt. Sie wollen absichtlich nicht gefunden werden. Erwartet hatte ich vor meiner Reise eine hypervirtuelle Welt. Heimarbeit, ständige Videokonferenzen. Doch virtuelle Welten sind out. Sie sind nirgendwo so unbeliebt, wie bei ihren eigenen Erfindern."
    Nach und nach gelang es Keese Kontakte zu knüpfen. In der Offline-Welt. Die Springer-Manager organisierten eine Party. Sie zapften die Kontakte der Nachbarn an. Sie trafen Managereltern in der Schule ihrer Kinder. Eine Eigenschaft der Menschen fiel Christoph Keese besonders auf: Die Offenheit. Keese nutzte das. Für seinen Konzern und sein Buch.
    "Dort macht man aus dem, was man tut, viel weniger Geheimnis als wir das aus Deutschland kennen. Man fragt dort in den ersten fünf Minuten des Gesprächs sehr häufig: Wie viel Geld habt Ihr als Firma noch auf dem Konto? Was verdienst Du als Chef der Firma? An welchen Projekten arbeitet Ihr gerade? Was sind Eure größten Herausforderungen? Diese Fragen werden beinahe im Stakkato gestellt und das führt zu einem ganz engen intellektuellen Austausch."
    Keese beschreibt in seinem Buch ein Treffen mit dem deutschen Gründer Catalin Voss. Der kam mit gerade einmal 15 Jahren ins Valley, ist heute 19 Jahre alt und studiert an der Elite-Uni Stanford. Er hat eine Firma gegründet, die Autisten helfen soll. Emotionen von anderen Menschen sollen dabei vom Computer erkannt und den Autisten erklärt werden. Im Silicon Valley gebe es weniger Bürokratie und mehr Tatendrang, sagt Voss.
    "Es weht der Geist der Revolution"
    "Und es sind Menschen, die ihren Traum leben wollen. Die irgendwann an einem Punkt in ihrem Leben gesagt haben: Ich möchte keine Kompromisse mehr machen. Ich möchte nicht mehr von anderen gesagt bekommen, was ein gutes oder ein schlechtes Produkt ist. Ich möchte auch nicht mehr für andere Menschen arbeiten und bei dieser Gelegenheit auch eine Vorstellung von gesellschaftlichem Wandel umsetzen, der mir persönlich wichtig ist."
    Woher man stamme, wie alt man sei, das sei im Silicon Valley egal, schreibt Keese. Die Leistung zähle, die Ideen. Durch das Tal wehe der Geist der Revolution. Das erinnere ihn an die kalifornischen Hippies.
    "Das sind Menschen, die vor 40-50 Jahren vielleicht in Sit-ins gegen das Establishment protestiert hätten. Die heute mit den Mitteln der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs dem Establishment zu Leibe rücken."
    Marktwirtschaft, Wettbewerb. An dieser Stelle wird Keese in seinem Buch vielleicht am nachdenklichsten. Große Teile des Silicon Valley sind heute den Reichen und Erfolgreichen vorbehalten. Die durchschnittliche Monatsmiete, schreibt Keese, liege bei 2000 US-Dollar im Monat. Die Kindermädchen, Küchenhilfen und sogar manche Professoren von Stanford könnten sich das nicht leisten.
    "Ihnen bleibt nur die Flucht ins heiße, sonnenverbrannte Hinterland auf der anderen Seite der Bucht mit anderthalb Stunden Fahrt in jede Richtung. Oder die drangvolle Enge schäbiger Zweizimmer-Apartments mit Pappwänden in den Ausläufern des Silicon Valley.
    Das Tal sei eine der erbarmungslosesten Regionen der Welt. Mittelmaß werde nicht toleriert, Mittelmaß werde aussortiert.
    Silicon Valley: Keine wünschenswerte Gesellschaftsform
    "Das Silicon Valley hat etwas, man könnte fast sagen, Undemokratisches. Weil eine demokratische Gesellschaft besteht ja per Definition eigentlich aus dem Mittelmaß. Und das ist einer der Punkte, die wir uns als Gesellschaft auch vor Augen führen müssen. Wenn wir die Kultur, die Technik, die von dort kommt, in so besonderer Weise lieben, mit so viel Geld aus unserem eigenen Portemonnaie unterstützen, weil wir uns als Kunden betätigen. Dann müssen wir uns auch immer klar machen, dass die Gesellschaftsform, die diese Produkte hervorgebracht hat, nicht wünschenswert ist und wir müssen aufpassen, dass wir diese Gesellschaftsform nicht einfach 1:1 bei uns in blinder Begeisterung importieren."
    Christoph Keese ist begeistert. Er sagt, dass er an jedem Tag im Valley mehr bekommen als gegeben hat. Aber er weist auch auf die Schattenseiten der Region hin. Er macht das pointiert, beobachtend und mit journalistischer Präzision. Sein Buch ist für Beobachter spannend, für Unternehmen und Politiker ist es wertvoll. Was muss sich in Deutschland ändern?
    "Wenn ich nur eine einzige Maßnahme nennen dürfte. Dann wäre die eine, die ich nennen würde: Mehr Venture Kapital. Man gründet keine Firmen mit dem Sparkassenkredit."
    Am Ende des Buches fragt sich Keese selbst, ob die Entwicklungen, die aus dem Silicon Valley auf Deutschland zustürmten, denn nun gut oder schlecht seien.
    "Sie sind keines von beiden. Im Moment ihres Entstehens sind sie erst einmal neutral. Was aus ihnen wird, hängt davon ab, wie wir sie gestalten. Deutschland hat alle Voraussetzungen, um als starker Spieler aus der Digitalisierung hervorzugehen. Dafür müssen wir die Chancen ergreifen und die Fehler Kaliforniens vermeiden."
    Übrigens, zumindest optisch ist Keeses Kollege Kai Diekmann von der BILD anderthalb Jahre nach dem Trip ins Silicon Valley wieder etwas bodenständiger geworden: Den Hipster-Bart hat er sich mittlerweile abrasiert.
    Christoph Keese: Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt. Knaus Verlag, 320 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-813-50556-6.