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Chronobiologie
Die Folgen des sozialen Jetlags

In jedem Menschen tickt die innere Uhr. Dieser persönliche Rhythmus wird jedoch zunehmend durch die Anforderungen der Arbeitswelt und auch der Freizeit unterbrochen. Immer mehr Menschen schlafen deshalb schlecht. Die Wissenschaft spricht von einem sozialen Jetlag.

Von Volkart Wildermuth | 21.10.2018
    Eine Frau liegt im Dunkeln im Bett und schaut auf das leuchtende Display ihres Smartphones
    Die Kollision zwischen biologischer Schlafregulation und sozialen Ansprüchen führt dazu, dass immer mehr Menschen schlecht schlafen (picture alliance/PhotoAlto)
    "Unter einem sozialen Jetlag versteht man, wenn man zu Zeiten halt sich müde fühlt, wenn eigentlich der biologische Tag wäre. Also man ist sozusagen chronisch in der falschen Zeitzone."
    Nur dass diese falsche Zeitzone eben die eigene Zeitzone am Heimatort ist. Alexander Blau vom Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrum der Berliner Charité kennt viele Patienten, bei denen der soziale Jetlag zum Beispiel die Nachtruhe stört.
    Leben gegen die innere Uhr
    Früh aufstehen und ins Büro, abends Party und nachts noch einen Tweet posten - das klingt normal, passt aber nicht zum Takt der inneren Uhr. Die hat die Evolution darauf getrimmt, dem Rhythmus von Tag und Nacht zu folgen.
    "Das ist wahrscheinlich der Mechanismus, aufgrund dessen circadiane Rhythmen entstanden sind, ein System an inneren Uhren, das die Veränderungen in der Natur antizipiert. Das heißt, bevor es draußen kalt wird, stellt sich der Körper darauf ein, dass es draußen kalt ist. Und so haben wir ein System an inneren Uhren, es gibt keine Zelle im menschlichen Körper, die nicht einen 24-Stunden-Rhythmus hat."
    Damit sie zur rechten Zeit das Richtige für den Organismus tut. Dieter Kunz, Chefarzt der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin am St. Hedwigs Krankenhaus in Berlin, erforscht die inneren Uhren. Sie müssen ständig nachjustiert werden, damit sie mit den Rhythmen der Umwelt parallel laufen. Ursprünglich glaubte man, dass die inneren Uhren dabei vor allem auf die Aktivitäten des Menschen reagieren:
    "Wie essen, wie Motorik, Schlafen, teilweise glaubte man sogar, man könnte seiner Uhr sogar einreden, wie spät es ist. Und das war völlig falsch. Der wichtigste Zeitgeber auch beim Menschen ist Licht und Dunkelheit."
    Besonders der Sonnenaufgang und die Dämmerung senden starke Signale an die innere Uhr. Oder würden sie senden, denn wir moderne Höhlenmenschen nehmen sie in den Schulen, Büros oder Fabriken kaum noch wahr.
    Störungen der inneren Uhr beeinflussen Gesundheit
    Ein kurzer Mittagsspaziergang kann das nicht ausgleichen. Denn auch die innere Uhr selbst ist nicht immer gleich aktiv. Gerade mittags reagiert sie kaum auf Lichtsignale. Der natürliche Taktgeber verliert, so Alexander Blau, also an Einfluss, parallel gibt es auch immer mehr falsche Signale:
    "Wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, dass insbesondere das blaue Licht diesen Rhythmus vorgibt für das Wach-sein und auch für die Schlafregulation. Und dadurch, dass wir zu viel Kunstlicht durchaus haben und dieses Kunstlicht hat auch eine andere Qualität, als noch vor 20, 30 Jahren. Es ist heller, es ist intensiver geworden. Und das trägt wahrscheinlich ganz wesentlich auch dazu bei, dass man nicht mehr ganz so tickt, wie es eigentlich in der Natur zum Beispiel wäre."
    Wer kurz vor dem Einschlafen noch ins blaue Licht des Bildschirms starrt, der hat oft eine unruhige Nacht vor sich. Die inneren Uhren werden auf Morgen gestellt und senden ein Hallo-Wach-Signal in den Körper.
    "Andererseits spielt auch eine Rolle, dass wir sozial mehr und mehr gehalten sind, wach zu sein, aktiv zu sein, da gibt es einfach viel mehr Möglichkeiten. Und das führt dann eben zu einer Kollision zwischen biologischer Schlafregulation und sozialen Ansprüchen heutzutage."
    Die Folge: innerer und äußerer Rhythmus sind aus dem Takt, man gähnt, wenn man doch eigentlich produktiv sein sollte und dreht sich im Bett hin und her. Schlafprobleme nehmen messbar zu, so Dieter Kunz. Und nicht nur die:
    "Deshalb wissen wir zum Beispiel, dass bei Schichtarbeitern ein erhöhtes Risiko besteht für jede Erkrankung, die bisher untersucht worden ist. Und da reden wir über Krebserkrankung, da reden wir über psychische Erkrankungen, da reden wir über die gesamte Medizin."