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CIA-Folterbericht
"Das Thema ist nicht abgehakt"

Nach der Veröffentlichung des Berichts über Folterpraktiken der CIA sieht der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff auch Europa in der Pflicht. Länder wie Polen und Rumänien, in denen der US-Dienst vermutlich Geheimgefängnisse betrieben habe, müssten das Geschehene aufarbeiten, sagte der Vize-Präsident des Europaparlaments im Deutschlandfunk.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Peter Kapern | 10.12.2014
    Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff
    Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Peter Kapern: Patrioten seien sie gewesen, die Männer und Frauen der CIA, die Gefangene, statt sie einem Richter vorzuführen, gefoltert haben, um im Kampf gegen den Terrorismus Informationen zu gewinnen. Das hat der Mann gesagt, der mit seiner Unterschrift diesen Tabubruch erst ermöglicht hat: George W. Bush, der frühere US-Präsident von den Republikanern. Die Demokraten im US-Kongress haben jetzt einen Untersuchungsbericht über die Folter und ihre Ergebnisse veröffentlicht.
    Bei uns am Telefon ist nun Alexander Graf Lambsdorff, der Vizepräsident des Europaparlaments von der FDP. Guten Tag!
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Tag, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Lambsdorff, der Untersuchungsbericht über die CIA-Folterpraktiken ist nun veröffentlicht. Präsident Obama hat ja die Folter schon zuvor untersagt. Ist das Thema damit abgehakt?
    Graf Lambsdorff: Nein, das Thema ist natürlich nicht abgehakt. Man hat das ja bei der Senatorin Feinstein gerade sehr deutlich gehört. Das ist ein Schandfleck tatsächlich für die amerikanische Geschichte, für die amerikanische Regierung zu der damaligen Zeit, und das muss aufgearbeitet werden. Wenn zum Beispiel das Außenministerium und das Verteidigungsministerium, beide aus dem Prozess einer solchen Verhörpraxis, der Genehmigung einer solchen Verhörpraxis ausgeschlossen werden können, dann zeigt das, dass die amerikanische Regierung auch Funktionsprobleme hat, und ich glaube, das ist etwas, womit sich die Amerikaner noch jahrelang beschäftigen werden.
    Kapern: ist diese Folteraffäre auch ein Schandfleck auf der europäischen Geschichte, denn es gibt ja eine ganze Reihe von europäischen Ländern, die mitgemacht haben, die die Hand gereicht haben?
    Graf Lambsdorff: Das ist der zweite Grund, warum dieses Thema nicht abgeräumt ist. In der Tat werden ja in dem Bericht, den ich hier auch vorliegen habe, Länder genannt, in denen diese sogenannten "Detention Facilities" waren, also die Gefängnisse der CIA. Die Länder werden nicht im Klarnamen genannt, aber es ist klar, dass Polen, Rumänien, manche sagen auch Italien und Litauen, erwähnt sind.
    Man kann darüber nicht spekulieren, man sollte das nicht tun, aber die Länder selber müssen das tun, was die Amerikaner jetzt getan haben, und das ist ja schon bemerkenswert, was die USA hier tun, nämlich tatsächlich offen über ein solches Problem in ihrer jüngeren Vergangenheit zu reden. Das würden wir jetzt von den europäischen Staaten, die da mitgeholfen haben, auch erwarten.
    "Es handelt sich um Fragen der nationalen Sicherheit"
    Kapern: Da stellt sich das Europaparlament, für das Sie ja als Vizepräsident sprechen, auf die Position, dass das die Mitgliedsstaaten, jeder für sich regeln muss, dass die europäische Ebene da nichts mitzureden hat?
    Graf Lambsdorff: Nun, die europäische Ebene muss hier mahnen. Aber es handelt sich um Fragen der nationalen Sicherheit, die nach den europäischen Verträgen eindeutig Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten sind. Insofern müssen auch die Mitgliedsstaaten das politisch aufarbeiten. Und die Mitgliedsstaaten sind auch zuständig für die justizielle Verfolgung, sofern sie sich dazu bereit erklären.
    Insofern ist das tatsächlich eine Aufgabe, in der der europäischen Ebene die Rolle zukommt, hier das anzumahnen, weil europäische Werte, amerikanische Werte, universelle Menschenrechte hier missachtet worden sind über einen langen Zeitraum. Aber die nationale Ebene muss diese Aufklärung vorantreiben.
    Kapern: Heute früh, Herr Lambsdorff, hatten wir Ihre Abgeordnetenkollegin Barbara Lochbihler von den Grünen im Europaparlament hier am Telefon, und die fordert nun eine strafrechtliche Aufarbeitung dieser Folteraffäre, und zwar nicht nur mit Blick auf den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush:
    "Der Bericht hat auch für uns in Europa Konsequenzen, weil dort wird natürlich auch darauf eingegangen, dass wir Geheimgefängnisse hatten, in Polen, in Rumänien, Litauen, dass Staaten wie Schweden, Italien und Großbritannien bei diesen Verschleppungsflügen beteiligt waren."
    Kann das also sein, Herr Lambsdorff, um dieses Statement von Barbara Lochbihler noch mal aufzugreifen, dass auf europäische Politiker auch noch mal der Staatsanwalt zukommt?
    Graf Lambsdorff: Das habe ich ja gerade gesagt. Was die Kollegin Lochbihler hier sagt sind Dinge, die aus dem Bericht, der vom Senatsausschuss vorgelegt worden ist, jedenfalls so deutlich nicht hervorgehen. Aber die Verwaltungen in den genannten Ländern oder vielleicht in anderen auch werden ja wissen, ob sie sich daran beteiligt haben, ja oder nein. Insofern ist es dann Aufgabe der Mitgliedsstaaten, für eine strafrechtliche Verfolgung zu sorgen, wenn sie das denn wollen.
    Eines muss man allerdings wissen: Frau Lochbihler hat ja auch gefordert, dass in den USA eine strafrechtliche Verfolgung der Täter einsetzt. Aber Barack Obama hat das ja selber abgelehnt, denn es gibt keine Erfolgsaussicht einer strafrechtlichen Verfolgung in den USA. Es ist nämlich so gewesen, dass es einen Rechtsrahmen gab vom Justizministerium, und ich glaube, der eigentliche Verantwortliche, John Ashcroft und sein Rechtsberater John Yoo, das sind die beiden, die politisch hier zur Verantwortung gezogen werden müssen, vielleicht in der Frage John Yoo, der diese ganzen Memos geschrieben hat, die Folter angeblich aus den Genfer Konventionen abgeleitet erlauben. Da könnte man sogar auch an eine strafrechtliche Verfolgung denken.
    "Die westlichen Werte sind durch die Foltermethoden der CIA mit Füßen getreten worden"
    Kapern: Herr Lambsdorff, glauben Sie, dass in einer ähnlichen Situation, wie das damals der Fall war, nicht noch einmal Ähnliches in Europa passieren könnte, oder muss man davon ausgehen, dass in einer ähnlichen Situation manchem EU-Staat in einer ähnlichen Lage immer noch das US-Hemd näher als die europäische Jacke ist und die Europäer dann wieder die Hand reichen für solche Praktiken?
    Graf Lambsdorff: Herr Kapern, ich habe bei den Anschlägen von 9/11 in den USA gewohnt, und es wurde damals eine Diskussion eröffnet, die all diese Praktiken, die wir jetzt hier offen auf dem Tisch liegen haben, als quasi unvermeidlich darstellten. Aber das stimmt ja nicht. Und das Gleiche gilt für Europa auch. Auch für Europa gilt, dass Menschenrechte auch bei der Terrorbekämpfung zu beachten sind. Auch für Europa gilt, dass wir universelle Werte haben, deren Verletzung unsere Glaubwürdigkeit massiv insbesondere in der längeren Frist beschädigt. Und wenn wir uns mal an die Rolle von Außenminister Powell zum Beispiel erinnern, oder anderen, die in der amerikanischen Administration auch versucht haben, Widerstand zu leisten, dann ist eines klar: Die westlichen Werte sind durch diese Foltermethoden der CIA mit Füßen getreten worden. Aber das war keineswegs unvermeidlich, sondern das war eine bewusste Entscheidung des damaligen Justizministeriums, des damaligen Vizepräsidenten der USA ...
    Kapern: Meine Frage, Herr Lambsdorff, zielt ja eher auf Europa. Marine Le Pen, die Europaabgeordnete vom Front National, hat heute noch einmal gesagt: Folter in bestimmten Fällen ist nützlich.
    Graf Lambsdorff: Da sieht man mal, was für wunderbare Menschen wir in Europa haben, die tatsächlich der Meinung sind, man könne Folter als Mittel zur Terrorismusbekämpfung einsetzen. Sie sollte vielleicht, Marine Le Pen, diesen Bericht sich anschauen. Punkt eins der Schlussfolgerungen lautet, dass die Foltermethoden eben gerade nicht zum Erfolg beigetragen haben, dass sie eben nichts gebracht haben in der Bekämpfung des Terrorismus, dass sie nicht nur moralisch verwerflich waren, sondern dass sie im Grunde auch völlig erfolglos waren. Insofern sieht man da, welche Abgründe sich auftun, wenn man solchen Rechtspopulisten hier hinterherläuft.
    Kapern: Alexander Graf Lambsdorff, der Vizepräsident des Europaparlaments, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Lambsdorff, danke für Ihre Zeit, danke für die Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen. Einen schönen Tag nach Brüssel.
    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.