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Citizen Science
Wissenschaft im Dialog

Citizen Science - das ist Neudeutsch für Hobbyforschung und beschreibt einen Trend aus Großbritannien, der nun auch hierzulande boomt. Jeder, der sich in seiner Freizeit für Wissenschaft interessiert, kann mitmachen und sein Wissen aktiv mit anderen teilen.

Von Verena Kemna | 02.05.2014
    Eine Wissenschaftlerin blickt durch ein Mikroskop auf bronzene Nadeln.
    Wissen mit anderen teilen: Die Plattform Citizen Science ruft zum Wissensaustausch auf. (dpa/picture alliance/Holger Hollemann)
    Im Berliner Naturkundemuseum liegen etwa zwanzig Schülerinnen und Schüler im Kreis mit dem Rücken auf dem Boden, die Augen zur Decke gerichtet. Im dunklen Raum leuchtet eine Nachbildung des Sternenhimmels, eine Stimme aus dem Lautsprecher erklärt:
    "Einhundert Milliarden Galaxien mit jeweils vielen Milliarden Sternen, das ist unser Universum. "
    Es kann, aber es muss nicht gleich der Griff nach den Sternen sein. Die Themen für Forschungsprojekte mit Bürgerbeteiligung sind vielfältig. Himmelsobjekte beobachten und einordnen, Igel und Wildschweine in der Großstadt aufspüren und zählen, Insekten sammeln und bestimmen. Über die Internetplattform Bürger schaffen Wissen kann jeder Hobbyforscher eigene Kenntnisse und Fähigkeiten einbringen oder sich an Projekten mit Wissenschaftlern beteiligen.
    Mitmachen kann jeder Einzelne, schon die Jüngsten Hobbyforscher haben jede Menge Wissen, das sie weitergeben können. Der elfjährige Matheus trifft sich regelmäßig mit Gleichgesinnten zum Mikroskopieren im Berliner Naturkundemuseum. Exotische Insekten faszinieren den Elfjährigen schon lange. Eine Handvoll geschenkter Stabheuschrecken haben vor Jahren seine Leidenschaft geweckt.
    "Dann sind sie ausgewachsen gewesen und haben sich sehr vermehrt, ich hatte dann über 100 Stück. Dann habe ich immer mehr bekommen, musste immer mehr Terrarien kaufen und so bin ich zu den Tieren gekommen. "
    Die lateinischen Namen seiner Lieblinge kommen ihm leicht über die Lippen:
    "Also wandelnde Blätter der Arten Phylion. Dann noch Stabschrecken der Gattung Extradentata und Passiopas Kanteusis."
    Alle, die sich in ihrer Freizeit für Wissenschaft begeistern, fallen unter den englischen Begriff Citizen Science. Der Trend aus Großbritannien boomt und bedeutet nichts anderes als dass Bürger sich an Wissenschaft beteiligen. Bürger bringen Wissen, Zeit und Können ein, dafür bestimmen professionelle Wissenschaftler zum Beispiel eingeschickte Schmetterlinge und Insekten oder helfen bei der Auswertung von Galaxienbildern.
    In Deutschland könnte nun also die Internetplattform "Bürger schaffen Wissen" das wichtigste Angebot für Citizen-Science-Projekte werden – und erhält dabei finanzielle Unterstützung vom Bundesbildungsministerium. Eine Chance für die Wissenschaft, meint CDU-Bundesbildungsministerin Johanna Wanka.
    "Also ich habe es immer wieder erlebt, dass man durch sehr Interessierte, Engagierte, Informationen bekommt, zum Beispiel bei den Hobbyarchäologen oder auch bei Bürgervereinen, die sich gegen Stromleitungen oder anderes engagieren, dass da unwahrscheinliches Wissen, Ideen und auch Anregungen kommen und das versuchen wir stärker aufzunehmen als es bisher geschehen ist. "
    Ein Engagement, von dem alle profitieren, meint Biologielehrer Jens Esser. Zusammen mit seinem Verein bietet der Insektenforscher über die Internet Plattform Citizen Science Schulungen an. Da geht es zum Beispiel um tödliche Lichtfallen für Insekten, die bei künstlicher Beleuchtung am großstädtischen Nachthimmel orientierungslos umherflattern. Auch die Wissenschaftler profitieren vom Engagement der Hobbyforscher, erklärt der 42--Jährige.
    "Sei es, dass sie fotografieren, dass sie kartieren, also Tagfalter Monitoring ist so ein Stichwort wo also relativ leicht bestimmbare Arten in bestimmten Gebieten zu bestimmten Begehungen von Laien kartiert werden. Da gewinnt man einfach Daten, die man so in dem Umfang nie bekommen hätte. "
    Citizen Science ist längst eine Bürgerbewegung, meint Kathrin Vohland, Generalsekretärin der europäischen Citizen-Science-Association. Über die Internetplattform informieren Institutionen wie das Berliner Naturkundemuseum, das Helmholtz Zentrum für Umweltforschung oder auch das Institut für Wildtierforschung über eigene Projekte. Jeder Interessierte kann sich beteiligen, bei Workshops in der eigenen Stadt mitmachen, sich mit Gleichgesinnten austauschen.
    "Ich denke, dass Projekte nur dann erfolgreich sind, wenn die Wissenschaftler da auch wirklich Spaß dran haben und dann wird es wahrgenommen und auch als Bereicherung wahrgenommen."
    Manchmal werden aus jugendlichen Freizeitforschern erwachsene Profis. Für den elfjährigen Matheus steht fest, dass er einmal Entomologe, also Insektenforscher wird. Er träumt jetzt schon vom Lebensglück eines jeden Wissenschaftlers.
    "Mein Traum ist es eine neue Art zu entdecken und sie dann auch wissenschaftlich zu beschreiben. "