Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Clan-Kriminalität
Neuköllner protestieren gegen Razzien

Seit einigen Jahren versucht der Berliner Bezirk Neukölln mit wöchentlichen Razzien die Clan-Kriminalität einzudämmen. Einige Neuköllner Bürger sind damit nicht einverstanden – sie halten die sehr häufigen Kontrollen für willkürlich und unverhältnismäßig. Jetzt protestieren sie dagegen.

Von Manfred Götzke | 15.11.2019
Polizisten gehen am 28.03.2019 in eine Shisha-Bar in Neukölln. M
Großeinsatz in Neuköllner Shisha-Bars (picture alliance / TeleNewsNetwork / dpa)
Vier blaue Mannschaftswagender Polizei, zwei grüne Passats vom Zoll fahren Kolonne durch Neukölln. Während sich die Shishabars langsam mit Feierabendgästen füllen geht Mark Gutzeit, der Sicherheitskoordinator des Neuköllner Bezirksamts mit LKA-Beamten die Details für Objekt 2 durch.
Es steht eine Schwerpunkt-Kontrolle an – von 16 bis 22 Uhr. Neukölln führt die seit etwa drei Jahren fast wöchentlich durch, gemeinsam mit Polizei, Zoll und Ordnungsamt. In Geschäften und Bars, die der Clan-Kriminalität zugeordnet werden, sollen schon kleinste Vergehen und Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Null Toleranz.
Wir halten vor der ersten Shishabar. Sofort laufen 15 Polizisten in den Laden.
Die Bar ist an diesem frühen Abend noch ziemlich leer, 30 Beamte treffen auf sechs Jugendliche und zwei Mitarbeiter. Drei Jungs hören auf, an ihrer Shisha zu ziehen, schauen mit großen Augen zu den Polizisten hinüber, die Richtung Keller, Toiletten und Bar ausschwärmen.
Während sich die Polizisten die Ausweise der Gäste zeigen lassen, nimmt sich der Zoll die Mitarbeiter vor: Kontrolle Schwarzarbeit. Einer der beiden, ein Mann Ende 20, muss eine Weile suchen, bis er die Hefter mit den Abrechnungen findet.
"Wir schauen uns für den Bezirk an, welche relevanten Betriebe es gibt: Shishabars, Wettbüros, Spielautomatencafés, sobald wir den Verdacht haben, dass es sich um Treffpunkte für Clan-Kriminalität handelt, werden die Läden häufiger überprüft, da ist schon mal interessant, wer ist hier der Besitzer, wer trifft sich hier so."
Shisha-Bars im Visier
Nach einer knappen Stunde sind die Beamten mit dem Laden fertig, die drei Jugendlichen steigen in einen der Mannschaftswagen, müssen mit auf die Wache, weil sie keine Ausweise dabei haben. Waffen, Schwarzgeld, Clan-Bosse – diesmal Fehlanzeige.
"Wir sind jetzt mit fünf Verstößen schon am Start ohne die Ergebnisse des Zolls zu kennen, dreimal Jugendschutz, dann haben wir einen Verstoß gegen das Gaststättengesetz, gegen das Nichtraucherschutzgesetz."
Reporter: "Was könnte da auf den Betreiber zukommen?"
"2.400-2.600 Euro"
Reporter: "Wenn es ein Clan-Laden ist, dann tut denen das nicht unbedingt weh!"
"Das ärgert zumindest, dann muss man sich einen Anwalt nehmen, auch das kostet Geld. Das ist eben die Politik der Nadelstiche, dass wir zeigen wollen, dass wir keinen Verstoß gegen das geltende Recht dulden."
Weiter geht’s. Sicherheits-Koordinator Gutzeit – der eigentlich anders heißt – die LKA-Beamten und ich steigen wieder in den Bulli.
Reporter: "Sind Shishabars ein typisches legales Geschäftsfeld von Clans?"
"Ja hier in Neukölln kann ich schon sagen, dass bis auf wenige Ausnahmen, der Großteil einen Bezug zu Clans hat, entweder als Treffpunkt oder man steht als Betreiber hinter dem Laden. Es wird auch viel dort ausbaldowert, auch neues Personal dort rekrutiert. Die haben auch gerade auf die Jugend eine große Magnetwirkung."
Protest gegen Stigmatisierung von arabisch-stämmigen Neuköllnern
"Wir verweigern uns gegen dieses Bild von Neukölln, wir verweigern uns gegen diese Razzien, gegen arabisch-stämmige Mitbürger, Gewerbetreibende."
Ein paar Ecken weiter in der Karl-Marx-Straße ziehen Mohamed, Josh, Amina und ein paar weitere Neuköllner aus der Nachbarschaft demonstrativ an einer Shisha. Draußen bei zwei Grad über Null. Andere verteilen Flugblätter: Shisha-Rauchen ist nicht kriminell, keine Gewehre in Gewerben steht drauf. Ein Demo gegen die Politik der Nadelstiche. Mohamed Sharue, der Organisator hält sie für rassistische Schikane.
"Wir haben uns hier versammelt, weil wir sagen, Schluss mit Gewehren in Gewerben, Schluss mit der Pauschalisierung und Stigmatisierung von arabisch-stämmigen Neuköllnern, wir leben hier, wir sind hier und wir bleiben hier."
Etwa 50 vor allem junge Leute stehen hier bei Tee, Musik und Blätterteig-Teilchen zusammen, einige mit arabischen, einige mit türkischen, einige mit deutschen Wurzeln. Sie sind hierhergekommen, weil genau gegenüber ein Dokumentarfilm über Neuköllns Bürgermeister und dessen Kampf gegen die Clans gezeigt wird.
"Ich hab mittlerweile Schiss in Neukölln. Am Hermannplatz werden wir grundlos kontrolliert, weil wir aussehen, wie wir aussehen. Ich hab Angst vor der Anwesenheit von Polizisten, die aussehen wie Soldaten. Und wenn in Neukölln etwas wirklich lebensbedrohlich ist, dann sind das die Nazis. In den letzten zwei Jahren gab es nach offizieller Statistik 50 Anschläge."
Dass so gut wie jede Shisha-Bar einen Bezug zur Clan-Kriminalität hat, das bezweifeln die Flashmobber. Eine junge Frau tritt ans offene Mikro – sie arbeitet in einer solchen Bar.
"Diese Razzien, ich hab es mehrmals miterlebt, wenn über 70 Polizisten in die Schishabars kommen, bewaffnet mit Maschinengewehren, die Leute festhalten, teilweise dürfen die nicht mal auf Toilette. Gäste sind verängstigt, es wird nichts gefunden, und trotzdem finden diese Razzien immer wieder statt."
Bezirksbürgermeister: "Treffpunkte von einzelnen Clans haben sich verlagert"
"Ich glaub, die haben nicht verstanden worum es geht."
Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel hält sich nicht lange mit Diplomatie auf, als ich ihn in seinem weitläufigen Büro auf die Demo anspreche.
"Es geht um kriminelle Strukturen, die es gilt aufzudecken. Es geht darum, dass man Regelübertretungen und Parallel-Strukturen nicht akzeptiert, sondern dass man demokratische Teilhabe für alle ermöglicht."
Der schlaksige Zwei-Meter-Mann steht 100 Prozent hinter dem Anti-Clan-Konzept seines Bezirks. Der Erfolg gebe ihm Recht, meint Hikel.
"Was wir feststellen ist, dass die Treffpunkte sich von einzelnen Clans verlagert haben. Und was ich auch sehr vorteilhaft finde, ist dass das regelkonforme Verhalten steigt, dass auch mehr Leute in den Shishabars zum Beispiel auch am Brandschutz arbeiten."
In den vergangenen Monaten hätten sie immer wieder Hinterzimmer-Deals zwischen Clan-Bossen gestört, sie haben Waffen und Millionen Euro an Schwarzgeld sichergestellt.
"Insbesondere die Vollstreckung von Haftbefehlen kommt immer wieder vor, wir finden immer wieder auch Waffen vom Klappmesser bis zu Schusswaffen – einmal hatten wir auch vollautomatische Gewehre die gefunden worden sind. Aber die Häufigkeit nimmt ab, das bedeutet die Leute wissen, dass es in Neukölln ungemütlich geworden ist, jedenfalls, wenn man was anderes im Schilde führt, als einfach nur eine Shisha zu rauchen."
Weg sind aus Berlin sind die kriminellen Clanmitglieder natürlich nicht – das weiß auch Hikel.
"Es bringt natürlich nichts, wenn wir die Strukturen hier verdrängen und die im Wedding oder in Charlottenburg wieder auftauchen, sondern der Austausch ist jetzt da und die anderen Bezirke kamen schon auf uns zu, wollen aus unserem Erfahrungsschatz lernen – und da leisten wir gerne Wissenstransfer."
Der 33-jährige SPD-Politiker kommt selbst aus Neukölln. Er ist mit den Sishabars, den Wettbüros, den Shawarma-Läden in seinem Bezirk groß geworden. Per se hat er kein Problem mit den Läden oder ihren Besuchern.
"Im Vorraum sitzen ja auch ganz normale Leute, die dem Kult der Shisha einfach nachgehen und das einfach lieben. Dagegen hab ich nüscht. Ich hab was dagegen, wenn sich im Hinterzimmer die falschen Leute treffen."