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Clever abgeschaut

Besitzen Lebewesen eine soziale Lernfähigkeit, so sind sie kognitiv dazu in der Lage, sich von einem Lehrer ein erfolgreiches Verhalten abzuschauen. Im Tierreich traute man diese Fähigkeit lange Zeit vor allem den Menschenaffen zu. Jetzt wurde sie auch bei Süßwasserstachelrochen festgestellt.

Von Dagmar Röhrlich | 28.05.2013
    Der Schönbrunner Zoo in Wien. Das Aquarium. In einem der Becken gleiten Rochen elegant über den sandigen Grund:

    "Was wir hier vor uns sehen, ist eine Gruppe von Süßwasserstachelrochen aus dem Amazonas",

    erklärt Michael Kuba vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt. Rochen sind - wie die Haie auch - Knorpelfische. Sie gehören also zu einer uralten Gruppe, die vor mehr als 400 Millionen Jahren entstanden ist:

    "Süßwasserstachelrochen dieser Art fressen sehr viel Futter, das im Sand vergraben ist. Es wird permanent in den Sand hineingeblasen, um zu schauen, ist irgendwo der Wurm begraben."

    Michael Kuba erforscht die Intelligenz von Tieren - aber nicht die von Primaten oder Rabenvögeln. Ihn interessieren Schildkröten, Kraken oder eben auch Rochen. Dabei hätten Knorpelfische zwar immer diesen Nimbus der schwimmenden Nase, sollten eher dumm und zu keinen großen kognitiven Leistungen fähig sein, aber zumindest die Süßwasser-Stachelrochen brächten Erstaunliches zustande:

    "Ja, also wir machen jetzt gerade hier unsere Versuche mit den Stachelrochen. Die erste Versuchsreihe bezieht sich darauf, dass die Tiere lernen müssen, aus einer Plastikröhre ein Stück Futter herauszubekommen. Um es gleich einmal zu machen, gehen wir zum Aquarium rüber, machen das Aquarium auf, geben die Röhre ins Wasser hinein und, nachdem die Röhre kurz drinnen gelegen ist, der Rochen sie sich von seinem Abteil aus anschauen konnte, öffnen wir die Schiebetür und der Rochen kann mit der Arbeit beginnen."

    Sofort bemerkt der Rochen mithilfe seiner chemischen Sensoren, dass in der grauen Plastikröhre etwas Verlockendes steckt:

    "Jetzt, beim Beginn des Trainings, sehen wir, dass der Rochen /direkt auf die Mitte der Röhre zu schwimmt und einfach versucht, hinein zu beißen. Er riecht das Futter, er nimmt es wahr, aber er hat noch nicht herausgefunden: halt, ich muss zu einem der beiden Enden gehen, um zum Futter zu kommen."

    Und so bleibt er erfolglos. Nach drei Minuten wird ihm die Röhre weggenommen. Mehr Zeit bekommt er für diesen Versuch nicht:

    "Wenn sich die Rochen ein bisschen damit beschäftigen, kommen sie zu anderen Strategien. Das kann entweder sein, dass die Rochen Wasser in die Röhre hineinblasen und das Futter herauskommt, oder, was sich in unserem Fall als die schnellste Variante erwiesen hat, dass der Rochen an einer Seite die Röhre blockiert, mit seinem Teller, und dann mit seinem Mund, beziehungsweise über Flossenbewegungen Unterdruck erzeugt, und somit das Futter zu sich hin saugt."

    In den Experimenten brauchten die Rochen zwischen 50 und 100 Versuchen, um die effizienteste Strategie zu entdecken: Sie machten das Wasser zum Werkzeug, indem sie es bewusst mit ihrem Körper manipulierten. Damit reihen sie sich in die immer länger werdende Liste von Tieren ein, die genau wie der Mensch technische Hilfsmittel einsetzen, um ihr Ziel zu erreichen. Bei den nächsten Versuchen ging es dann um ihre Fähigkeit zum sozialen Lernen, erklärt Michael Kuba:

    "Was passiert, wenn wir jetzt einem naiven Rochen, der noch nie im Leben eine Röhre gesehen hat, zeigen, wie seine Artgenossen mit dieser Röhre umgehen? Und was wir dabei dann festgestellt haben, ist, dass die Rochen, die den anderen zuerst zusehen durften, in etwa viermal so schnell lernen oder viermal so schnell eine optimale Performance erreichen, Futter aus der Röhre zu bekommen, und was eines der interessantesten Details war: Sie kopieren von Haus aus die Strategie ihrer Demonstrator."

    Also ihre Lehrer. Während sich die erste Gruppe der Rochen mühsam selbst erarbeiten musste, wie man am besten an das Futter kommt, sparte sich diese zweite Gruppe alle Umwege und wandte sofort eine optimierte Strategie an. Die Experimente mit den Süßwasserrochen belegten, dass sich die Fähigkeit, Werkzeuge zu gebrauchen oder durch Imitation zu lernen, mehrfach im Lauf der Evolution entwickelt habe, so Michael Kuba. Die Wurzeln dieser Fähigkeiten reichen anscheinend sehr weit zurück.