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Clowneske Kunstkomödie

Das ist vielleicht sein bester Roman! Denn Michel Houellebecq gelingt das Kunststück, eine Satire auf den gegenwärtigen Kunst- und Kulturbetrieb zu schreiben, einen echten Entwicklungsroman dazu, und das alles äußerst selbstironisch, völlig abgeklärt, voller Wärme, ja geradezu komisch.

Von Oliver Seppelfricke | 04.07.2011
    Vom blanken Zynismus und Sarkasmus, wie wir sie sonst von ihm kennen, kaum eine Spur. Wie kam es dazu? Michel Houellebecq:

    "Es gibt etwas Sanftes, aber auch Tödliches in diesem Buch. Vor allem im Vater-Sohn-Verhältnis. Das gar nicht der Ausgangspunkt für dieses Buch war. Das ich aber bis zum Ende verfolge. Bis zum Tod des Vaters. Und außerdem: Es gibt es immer komische Elemente in meinen Büchern."

    Michel Houellebecq schafft sich ein Alter-Ego, das mehr ist als ein Abbild seiner selbst. Jed Martin heißt der Pariser Künstler, seine Mutter hat sich das Leben genommen, als Jed sieben Jahre alt war, aufgewachsen ist er bei seinem Vater, einem steinreichen Architekten von Strandhäusern, und in einem Internat. Berühmt wird Jed quasi über Nacht: Nachdem er das Bild "Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf" zerstört hatte, weil er zwar die Gerissenheit von Hirst, nicht aber die unfassbare Naivität von Koons ins Gemälde bannen konnte, wendet er sich einem anderem Genre zu. Er, der schon für seine Akademiemappe die "Dinge der materiellen Welt" abgelichtet hatte (Teller, Messer, Gabel), fotografiert plötzlich Teile von Michelin-Straßenkarten. Und wird in der Kunstwelt zum Star. Neben den Kartenausschnitten stellt er Satellitenfotos derselben Gegend, Titel der Ausstellung: "Die Karte und das Gebiet". Was ist so überwältigend an Michelin-Kartenfotos? Michel Houellebecq:

    "Das ist gar nicht mal so einfach zu erklären. Als Kind haben sie mich schon fasziniert. Die Straßen, die grün markiert sind als besonders schöne, die Sterne, die auf Aussichtspunkte hinweisen, das alles ist schön gemacht. Auch die Reliefs. Die Farben sind genau ausgesucht. Sie sind einfach schön anzuschauen."

    Später macht Jed Martin eine zweite millionenschwere Karriere. Als er Gemälde von Bill Gates, Steve Jobs oder Ferdinand Piech malt. "Männer bei der Arbeit" heißt dieser Teil, der in der nahenden Zukunft spielt. Daneben erzählt der Roman noch in fast zärtlichen Tönen die Vater-Sohn-Geschichte, die endet, als der Alte beschließt, die Dienste einer Schweizer Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Und schließlich noch als dritter Strang: Der berühmte Schriftsteller Michel Houellebecq, jawohl, genau der, soll ein Vorwort für den Ausstellungskatalog von Jed Martin schreiben. Dreimal treffen sich die beiden, doch aus dem Vorwort wird nichts. Michel Houellebecq wird im Jahr 2035 irgendwo in der französischen Provinz ermordet, sein geliebter Hund dazu. Soweit die Handlung.

    Nanu? Kein Sex, keine Sekten, keine Klone, dafür reichlich Champagner?! Michel Houellebecq hat einen zugänglichen, hochkomischen Roman geschrieben, einen Gesellschaftsroman, der wie ein Unterhaltungsroman daherkommt. Doch man täusche sich nicht: Houellebecq ist zwar sanfter, versöhnlicher geworden, er schreibt weniger zynisch und sarkastisch, doch auch in dieser clowneskhaften Kunstkomödie kommen seine großen Themen vor: Wie wollen wir leben? Wie können wir noch leben? Und was sollen wir tun? Houellebecqs Antworten darauf sind zwar weniger pessimistisch und grotesk, und es scheint fast, als habe er eine Komödie über sich selbst als Künstler und Zeitgenossen schreiben wollen. Wer den neuen Houellebecq also in einer gelungenen neuen Form, aber mit seinen alten Themen, lesen möchte, der greife zu!

    "Eigentlich wollte ich mich gar nicht über den Kunstmarkt lustig machen. Er ist ein Markt ohne Regeln und Gesetze. Und da ich nicht genau weiß, wie er funktioniert, habe ich auch Jeds erste große Ausstellung einfach so passieren lassen. Aber eines ist klar: Die großen Sammler haben heute einen viel größeren Einfluss als die Institutionen."

    Und an noch etwas ist zu erkennen, dass Houellebecq mit seinem neuen Roman sich etwas verändert: Es gibt weniger Hasstiraden von Frauen wegen Houellebecqs offenkundiger Frauenfeindschaft in seinen früheren Romanen. Im Gegenteil: Auch der große Teil der französischen Leserinnen war dem Werk gewogen. Verloren hat Houellebecq dagegen bei seiner Stammleserschaft: Dieser war der Roman schon zu sehr unterhaltend, geradezu eine Anbiederung an den literarischen Mainstream, und so hagelte es Kritik vor allem von den schreibenden Kollegen. Doch auch damit kann ein Michel Houellebecq umgehen, schließlich hat er schon Schlimmeres erlebt …

    "Wenn man seine Leser hat, sollte man ihnen treu bleiben. Ich weiß also nicht, ob der Goncourt nun bedeutet, dass ich jetzt mehr Leserinnen habe. Ich fand nie, dass meine Bücher frauenfeindlich waren. Falls man es trotzdem so empfunden hatte und das Buch nun mehr Leserinnen findet, ist das eine gute Nachricht."

    Michel Houellebecqs neuer Roman "Karte und Gebiet" (Aus dem Französischen von Uli Wittmann) ist bei DuMont erschienen, 416 Seiten kosten Euro 22,99.