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CO2-Ausstoß
"Die EU-Kommission hat keinen großen Wurf gemacht"

Der Grünen-Europaabgeordnete Claude Turmes hat den Vorschlag der EU-Kommission zur Senkung der CO2-Emissionen von Neuwagen als unzureichend kritisiert. Die Einsparung von 30 Prozent CO2 sei noch nicht mal die Hälfte von dem, was eigentlich sein müsste, sagte Turmes im Dlf. "Fürs Klima wird hier nicht genug getan".

Claude Turmes im Gespräch mit Daniel Heinrich | 08.11.2017
    Der Europaparlamentarier Claude Turmes (Grüne) steht am 28. Februar 2012 vor einem Eingang zum Europäischen Parlament in Brüssel.
    Der Europaparlamentarier Claude Turmes (Grüne) (picture alliance / dpa / Wolf von Dewitz,)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist Claude Turmes. Er ist Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament. Guten Abend, Herr Turmes.
    Claude Turmes: Guten Abend!
    Heinrich: Herr Turmes, Blick auf die Vorschläge: weniger Klimabelastung, leistungsfähigere Automobilindustrie. Schlägt die EU-Kommission zwei Fliegen mit einer Klappe?
    Turmes: Na ja, so ist das leider nicht. Sie haben ja diese Woche den Auftakt der Klimaverhandlungen in Bonn. Es gibt interne Studien der Kommission, die sagen, Klimaschutz im Automobilbereich würde heißen, dass die Automobilindustrie bis 2030 60 Prozent CO2 einsparen würde. Das sind eigene Studien der Kommission. Und was schlägt die Kommission heute vor? – Nur 30 Prozent. Das heißt, nicht mal die Hälfte von dem, was eigentlich sein müsste. Dann kann auch das beste Marketing hinter der Kommission, die können erzählen, was sie wollen; die Zahlen stimmen nicht. Fürs Klima wird hier nicht genug getan.
    Heinrich: Lassen Sie uns mal auf diesen Plan gucken, Herr Turmes, diesen Zwei-Stufen-Plan. Sie haben eine Zahl angesprochen: 2030 30 Prozent weniger CO2 bei den Neuwagen. Bis 2025 15 Prozent weniger CO2. Das reicht Ihnen nicht?
    Turmes: Noch mal: Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen wollen, das Pariser Abkommen, was ja fast in gebetsmühlenartiger Weise jeder jetzt vor sich herträgt, auch Herr Juncker – sorry, das reicht einfach nicht, was die Kommission heute beschlossen hat. Das weiß jeder, der ein bisschen die Hintergründe des Zahlenmaterials kennt.
    Und das andere ist ja dann die industriepolitische Dimension. Ich habe auch ein Cartoon machen lassen heute. Ich habe den Eindruck, dass die deutsche Automobilindustrie jetzt Herrn Juncker als den neuen Schutzpatron entdeckt hat, den Kommissionspräsidenten. Ich frage mich, ob das, was heute vorgeschlagen ist, nicht eher Herrn Juncker als Totengräber der europäischen Automobilindustrie dastehen lässt, weil wer sind die Konkurrenten von morgen für das Elektromobil. China hat eine Quote und die ist härter als die, die heute vorgeschlagen wurde. Kalifornien hat eine Quote. Das heißt, Elektroautos werden eh kommen. Die Frage ist, wo werden sie gebaut.
    "Elektroautos kommen. Die Frage ist, wo werden sie gebaut"
    Heinrich: Herr Turmes, wenn Sie schon bei Elektroautos sind, bis 2030 – das ist ja nicht das einzige, was die EU-Kommission vorgeschlagen hat – sollen 800 Millionen Euro für Ladestationen in ganz Europa installiert werden. Das ist doch was!
    Turmes: Ja, dem will ich nicht widersprechen. Aber wenn Sie mal mit den Experten reden, die sagen Ihnen, das Problem in Europa sind nicht die Ladestationen. Das Problem sind nicht genug attraktive Autos in den Verkaufsstellen. Solange hier nicht mehr Druck ist auf die Automobilhersteller, dass die ordentliche Elektroautos bringen, die auch ordentliche Reichweiten haben, werden die Menschen keine Elektroautos in großer Zahl kaufen. Da hilft auch dieses kleine Geldpaket für Ladestationen nicht.
    Heinrich: Nun soll es aber auch 30 Prozent Neuwagen als Elektroautos bis 2030 geben.
    Turmes: Ja, das ist fantastisch ambitioniert, wenn man weiß, dass die niederländische Regierung – und das ist eine Regierung, wo es keine grüne Beteiligung gibt – 100 Prozent Elektroquote 2030 hat. Wir haben eine Regierung in den Niederlanden, die vor zwei Wochen beschlossen hat, Klimaschutz, saubere Luft in den Städten, in Amsterdam und so weiter, heißt 100 Prozent Elektroautos oder Zero-Emission-Cars 2030. Dann habe ich eine EU-Kommission, die uns verkaufen will, dass 30 Prozent, dass das schon verdammt ambitioniert ist.
    Heinrich: Nun will aber auch die EU-Kommission mehr auf die Schiene bringen. Die Anschaffung abgasarmer Autos bei Behörden soll gefördert werden. Ist das nicht einfach ein Zeichen an die Industrie, dass die sich jetzt mal ranhalten sollen?
    Turmes: Auch dieser Anreiz an die Behörden, da bin ich nicht dagegen. Das habe ich selbst auch gefordert. Aber das reicht alles nicht. Mir ist angst, dass diese Automobilindustrie, die ja ständig geschont wird, Dieselgate, 35 Millionen Dieselautos in Europa auf den Straßen, die illegal sind, und nichts passiert, diese Arroganz bei VW und den anderen, meine Angst ist, wenn man die nicht ein bisschen treibt in Richtung Zukunft, dass die das verschlafen werden. Und dann wird es denen gehen wie ein paar Stromkonzernen, die dann auch, nachdem sie die Erneuerbaren verschlafen haben, ganz gehörig finanziell in die Schwierigkeiten kamen.
    "Frommer Wunsch bei dieser schwachen Politik"
    Heinrich: Wenn wir schon über die Automobilindustrie reden, Herr Turmes, dann möchte ich ein Zitat des Europäischen Verbandes der Automobilindustrie nehmen. Mehr als fraglich, dass diese neuen CO2-Werte zu schaffen sind, sagen die. Sind diese Ziele nicht unrealistisch, die Sie gerade angesprochen haben?
    Turmes: Wer ist eigentlich Vorsitzender dieses Verbandes zurzeit? Wenn ich richtig informiert bin, ist das der Chef auch von Mercedes, Herr Zetsche, was interessant ist. Wenn Herr Zetsche als Verbandsmensch redet, dann sagt er, alles ist nicht möglich. Ich habe Ausschnitte von Herrn Zetsche vor Investoren, da redet er komplett anders. Da sagt er, 2022 sind alle Mercedes-Autos elektrisch. Sorry, was soll ich denn jetzt glauben von diesem Chef eines Automobilkonzerns? Will er oder will er nicht? Ich glaube dem nicht. Die haben so oft gelogen, so oft gelogen bei Diesel. Warum soll ich denen jetzt beim Klima glauben, wenn sie mich zehn Jahre bei Diesel unter uns beschissen haben?
    Heinrich: Glauben Sie denn dem stellvertretenden Kommissionspräsidenten Maros Sefcovic, wenn der sagt, die Industrie in der EU solle die besten, saubersten, wettbewerbsfähigsten Autos bauen?
    Turmes: Frommer Wunsch bei dieser schwachen Politik.
    Heinrich: Trotz der Hoffnung, dass dadurch 70.000 neue Jobs geschaffen werden?
    Turmes: Wieviel? – 70.000?
    Heinrich: Das ist die Hoffnung der EU-Kommission, ja.
    Turmes: Sorry! Ich denke, da hat Herr Sefcovic die Zahlen nicht richtig beieinander. Wir haben ja ein paar Millionen Menschen in der Automobilindustrie arbeiten. 70.000 ist ja statistisches Rauschen. Ich denke, da stimmt was nicht.
    "Die EU-Kommission hat keinen großen Wurf gemacht"
    Heinrich: Herr Turmes, ich werde Sie nicht überzeugen können, oder, dass das, was die EU-Kommission heute beschlossen hat, gut ist auch für die Verbraucher, wenn wir uns angucken, dass im Schnitt pro Jahr 600 Euro günstiger das Tanken werden soll bis 2025?
    Turmes: Wir als Grüne, wir wollen die Elektromobilität voranbringen, weil das auch für viele Menschen heißen würde, billiger eventuell Autofahren in Zukunft. Die Batteriekosten, die werden runtergehen, und dann ist ja Strom billiger als eventuell mit Benzin oder Diesel. Wir wollen schneller voran, saubere Luft in den Städten, Klimaschutz, aber auch, weil wir besorgt sind um die Zukunft der europäischen Automobilindustrie. Leider, leider, leider hat die EU-Kommission heute keinen großen Wurf gemacht in dieser Sache.
    Heinrich: Herr Turmes, zum Schluss: Ihr luxemburgischer Landsmann, der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der will Europa in eine Führungsrolle beim Kampf gegen den Klimawandel bringen. Was sagen Sie ihm, wenn Sie ihm das nächste Mal in Brüssel auf dem Flur begegnen?
    Turmes: Dann sage ich ihm, dass er heute nicht mehr macht für den Umweltschutz als die 25 Jahre, wo er Ministerpräsident in Luxemburg war. Das ist eine traurige Realität. Herr Juncker kennt was von Geopolitik, er kennt was von Europa, er kennt was vom Sozialen, aber von Umwelt kennt er nichts. Das ist ein Problem, weil er einfach diese Dimension, die den Bürgern in Europa wichtig ist, die der Welt von heute wichtig ist, einfach nicht drauf hat. Das ist das fundamentale persönliche Problem von Herrn Juncker. Ich kenne ihn gut und deshalb darf ich das auch sagen.
    Heinrich: … sagt Claude Turmes, grüner Abgeordneter im Europaparlament. Herr Turmes, danke für das Gespräch.
    Turmes: Vielen Dank an Sie!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.