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Coltmorde

Belgien ist zum perfekten Überwachungsstaat geworden. Überall sind Videokameras angebracht, Fotos werden übermittelt von großen Plätzen. Mit dem Fernsehapperat kann man nicht nur sehen, sondern man wird durch ihn beobachtet, letzteres, selbst dann, wenn er ausgeschaltet ist. Über jeden Bürger gibt es ein Dossier, jederzeit einsehbereit für die Beamten den Rijkswacht.

Simone Hamm | 13.05.2003
    Jef Geeraerts hat seinen Science Fiction Krimi Coltmorde bereits 1980 veröffentlicht. Jetzt ist er in deutscher Sprache neu aufgelegt worden. Geeraerts, der die Musik und die schönen Künste liebt, mit einer Modeschöpferin verheiratet ist und in der Nähe von Gent lebt, hat lange Jahre einen Blick von außen auf sein Heimatland werfen können. Jahrelang hat er in Afrika gelebt und die Sehnsucht nach den weiten Horizonten, der Sonne, den Menschen und den Tieren ist bis heute geblieben. Coltmorde spielt in einer kalten Zeit, einer Zeit, die 1980, als er den Krimi schrieb, noch die Zukunft war, in den neunziger Jahren. Die Oberste Maxime der Rijkswachtoffiziere ist: Nur kein Aufsehen erregen. Alles was sie tun, tun sie nur, damit alles so bleibt, wie es ist. Dieser Aspekt aber, so Jef Geeraerts ist so futuristisch nicht, sondern Realität:

    In Belgien versucht man immer, sich zu arrangieren. Man will die Ruhe bewahren. Alles muss ruhig bleiben. Und die Regierung und die Leute, die die Macht haben, müssen ruhig arbeiten können. In Englisch sagt man: 'To live and let live. When we let live him, he will be contented. Der wird zufrieden sein und nie, nie einen remu machen.'

    Nie einen Aufstand machen. On s’arrange heißt das in Belgien. So arrangiert sich die Regierung Geeraerts Meinung nach mit korrupten Politikern, mit Verbrechern mit militantem Opus Dei. In seinem Science Fiction Krimi konnte Geeraerts die Verhältnisse zuspitzen, die Leser aufrütteln. Große Hoffnung, einzugreifen in die Geschehnisse seines Landes hat er nicht:

    Ich kann darüber schreiben, aber etwas verändern in Belgien, das ist unmöglich in Belgien.

    Und er erinnert sich an einen Rat, den er vor Jahren von hoher Stelle bekommen hat:

    Ein Politiker, ein erster Minister Martens hat gesagt, sie müssen schreiben, sie müssen sich nicht um Politik kümmern. Ich habe gesagt, ja Herr Minister, das tue ich ja, ich schreibe.

    Der ganz in schwarz gekleidete Mann lächelt. Er ist klein, schlank, trägt eine schmale Brille mit Metallbügeln. Die grauen Haare sind kurzgeschnitten. Seine 73 Jahre sieht man ihm wahrlich nicht an. Doch sein freundliches Lächeln mag für so manchen trügerisch sein. Denn es gibt keinen zweiten Schriftsteller in Belgien, der so hart mit seinem Heimatland umgeht wie Geeraerts.

    Die Rijksweijk Offiziere in Coltmorde sind kalt und grausam. Der Leiter der Ermittlungen in drei Mordfällen, Major Velte hasst Frauen und macht sie sich deshalb untertan. Und darin ähnelt er auf fatale Weise dem Mörder. Der kann seine Frau noch nicht einmal berühren. An die Stelle von Leidenschaft und Lust sind längst sexuelle Perversionen, brutale Demütigungen getreten, statt zärtlicher Hände kommen klinische Instrumente ans Spiel. Als Major Velte sich dann wirklich verliebt, ist die Frau, die er so sehr begehrt, eindeutig die Falsche: sie ist die Schwester des Mörders. Sein Vorgesetzer betrachtet via Fernsehen das Treiben der Beiden und runzelt die Stirn. Er informiert seine deutschen Kollegen vom BKA. Die sind die Meister im grausamen Foltern, im diskreten Morden. Velte hat seine Kollegen unterschätzt, hat sich selbst, da er zum inneren Kreis gehörte, für unantastbar gehalten, ist eine Liason eingegangen, die er keinem anderen nachgesehen hätte, hat seiner Eitelkeit nachgegeben und damit letztlich einen furchtbaren Fehler begangen.

    Eine Eigenschaft des Narzissmus ist, dass man alles vergisst außer der eigenen Person. Und alle anderen in der Welt sind keine Menschen, sind Objekte, die man gebraucht. Die größte Krankheit der Macht ist Narzismus.

    Jef Geeraerts ist ein typisches Kind seines Landes, hat alle Stationen, die ein Sohn aus gutbürgerlichem Hause durchlaufen muss, absolviert: elf Jahre Jesuitenschule. Er studierte Jura, an einer der besten Universitäten des Landes. Nach dem Studium leistete er seinen Militärdienst als Fallschirmjäger in Deutschland und brachte es bis zum Leutnant. Aber Soldat in Deutschland zu sein, das reichte nicht, um der Enge seines Heimatlandes zu entfliehen. Es zog ihn weiter in die Ferne, nach Afrika. Er wurde Staatsanwalt in der belgischen Kolonie Kongo.

    Die Jesuiten hatten versucht, mir Kultur zu geben, aber ich habe die Kultur abgeworfen wie eine Schlange die Haut und dann bin ich ein Naturkind geworden. Es war wunderbar. Die sieben herrlichsten Jahre in meinem Leben waren in Afrika.

    Er liebt die Landschaft, die weiten Horizonte. Er verliebt sich in schwarze Schönheiten. Er geht mit seinen kongolesishen freunden in die vornehmen Clubs der weißen und begeht mit Freuden diesen Faux-pas. Er ist passionierter Großwildjäger, der wert darauf legt, das Fleisch der Tiere, die er erlegt, auch zu essen, und nicht nur um des Tötens willen zu jagen.

    Ich bin jetzt noch, nach diesen vielen Jahren sehr glücklich, daß ich solche guten Kontakte gehabt habe mit diesen Afrikanern, die wunderbare Menschen sind. Der Geruch und die Augen, sehr sinnliche Menschen. Ich habe viel mit diesen Leuten gejagt, das war wunderbar, wie sie alles sahen. Der Büffel ist da. Sehr vorsichtig. Sie kamen sehr nah. Ich bin sehr glücklich, daß ich das mitgemacht habe.

    Doch erlebt auch Grausamkeiten. Er erlebt, daß etliche Kolonialherren die Schwarzen übel behandeln. Und auch, dass zwei afrikanische Stämme im Krieg miteinander liegen. Es ist sein Auftrag, sie zu befrieden:

    Das war meine Sendung, sie auseinanderzuhalten, ein no man’s Land zu kreieren, ein no man’s land von 50 Kilometern. In der Wildnis, im Busch. Das war ein Guerillakrieg. Dann bin ich sehr schwer verletzt gewesen. Ungeheuerliche Dinge habe ich dort gesehen. Sehr viel Gewalt und Schießen und Töten. Es war ein Krieg.

    Geeraerts wird den Kongo verlassen, den Kongo, dem er trotz Kriegserfahrung ein Leben lang nachweinen wird, den Kongo, den er nie wiedersehen wird; dem Kongo, dessen wahre Geschichte er erst in Belgien kennenlernen wird. In den sechziger Jahren nach dessen Unabhängigkeit. Denn die Belgier waren stets bemüht, das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte nicht zu erhellen. Der Kongo und seine Bodenschätze haben Belgien unerhört reich gemacht. Bis heute.

    Können sie sich das vorstellen, dass ich das nie gewußt habe, dass es zwei Millionen Tote gab im Kongo? Das habe ich danach gehört in Belgien. Wie man in der Mathäuspassion sagt und er schwieg stille. Und er sagt kein einziges Wort darüber. Sie haben nicht allein das Land, was sehr reich war beraubt, sie haben auch die Bevölkerung exploitiert. Sie haben am Anfang zwei oder drei Millionen Leute erschossen. Im Jahre 1890 und so hatte Leopold II alle Macht in den Händen. Einer der größten Coverstory der Geschichte ist der belgische Kongo.

    Als Jef Geeraerts zurück nach Belgien kommt, ist er tief deprimiert. Seine Ehe zerbricht. Er will ganz von vorn anfangen. Er geht wieder zur Universität, er studiert Philologie in Brüssel. Um mit seiner Sehnsucht nach Afrika fertig zu werden, schreibt er: "Die Stunde des Hengstes”. Es ist der erste Roman eines Romanzyklus, die Jeff Geeraerts Gangrene Romane nennt. Gangrene ist eine Krankheit. Wer Gangrene im Bein hat, dessen Bein muß amputiert werden. Was bleibt, sind Narbe und Schmerz.

    Ich war sehr betrübt, als ich zurück nach Belgien kam 1960 und um diesen Schmerz zu heilen, habe ich diese Bücher geschrieben. Als ich zurück nach Belgien kam, war ich leer, war ich sehr unglücklich. Diese Freiheit, diese Frauen, die Natur, große Wälder und Savannen, wo ich auf Jagd gegangen war, das war nicht mehr da. Das schreiben war Autotherapie.

    Eine Autotherapie, die bei Kritikern und Lesern und den Juroren eines großen belgischen Literaturpreises gut ankommt. Sein Erstling wird ein Bestseller. Er handelt vom wilden und hocherotischen Leben eines belgischen Kolonialbeamten im Kongo. Der trägt den Namen Jef Geeraerts.

    Ich habe den großen Literaturpreis für das erste Buch bekommen.”(Im Zeichen des Hengstes) Und 14 Tage danach hat ein Staatsanwalt das Buch beschlagnahmt. Und das ist natürlich das Beste, was ein Schriftsteller erleben kann.

    Der Skandal ist perfekt. Das wegen Pornografie und Rassismus auf den Index gesetzte Buch wird schnellstens in 13 Sprachen übersetzt. Geeraerts vermutet, dass der Staatsanwalt es nie gelesen hat.

    Auch sein zweites Buch ist heftig umstritten. In der gute Mörder beschreibt er die Erfahrungen eines belgischen Offiziers, der zwei verfeindete Stämme in Kongo auseinander halten soll. Die Soldaten sind keine Chorknaben. Schon gar nicht, als es darum geht, Belgier zu retten. Hohe Miltärs sind empört. So durfte es nicht gewesen sein im Kongo. Geeraerts, ein Reserveleutnant, wird aus der Armee entlassen.

    Er seine Vergangenheit aufgearbeitet und damit wütende Reaktionen gutbürgerlicher Begier heraufbeschworen. Dann hat er seinen Science Fiction Krimi geschrieben. Doch in einer Zeit, in der vieles von dem, was damals noch Utopie war, längst Wirklichkeit geworden ist, etwa das automatische Abhören von Telefongesprächen, sobald ein bestimmtes Wort fällt oder das Abrufen von Dateien, in denen die Daten völlig unbescholtener Bürger gespeichert sind, schreibt Geeraerts keine Science Fiction Romane mehr. Sein im vergangenen Jahr in Deutschland erschienener Roman Der Generalstaatsanwalt beschäftigt sich mit Bestechung und Vertuschung im Justizapparat. Auch das ist ein brandheißes Thema. Bis heute ist der Dutroux Skandal in den Schlagzeilen. Offenbar ist es in Belgien nicht möglich, Anklage zu erheben gegen einen wegen Kidnappings und Vergewaltigung vorbestraften Mann, in dessen Garten man zwei Mädchenleichen gefunden hat und der von einer jungen Frau schwer belastet wird, sie entführt und gefoltert zu haben. Das ist Anlass für Spekulationen und Gerüchte:

    Das ist jetzt sechs Jahre, daß das dauert. Das ist eine Schande. Der Mann ist ein Monster, kein Mensch, Dutroux. Aber diesen Mann sechs Jahre warten lassen, das geht nicht. Der Prozeß wird nächstes Jahr abgehalten. Aber es hat seine Ursache. Wenn man alle Umstände gut ansieht, dann kann man sagen, daß man Angst hat, daß die großen Schuldigen bekannt werden. In Brüssel waren viele Pädophilenringe, wo sehr wichtige Personen aus den größten Familien und auch von belgischem königlichen Blut hingingen. Nicht um Pädophilie zu betreiben, sondern zu gucken.

    Aber nicht die derzeitige Politik, nicht die Korruption und die Verrohung der Sitten machen ihm Sorge. Jef Geeraerts, der so gerne lebt, hat eine andere Angst:

    Mein großes Problem ist meine Todesangst. Ich will ewig leben. Wie in dem Lied von der Erde : Ewig, ewig, ewig. Ich will nicht sterben. Ich lebe zu gerne. Und meine Frau auch. Sie haben meine Frau noch nicht gesehen, sie ist jung und hübsch. Und wir sind sehr glücklich zusammen.