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Comeback von Tunng
Nachtmusik mit Moog und "Elendsstengel"

Nach zehn Jahren wieder in der sechsköpfigen Originalbesetzung: Die sanft versponnenen englischen Folktronica-Pioniere Tunng überzeugen auf ihrem neuen Album "Songs You Make At Night" und kommen für zwei Konzerte nach Deutschland.

Von Bernd Lechler | 03.11.2018
    Tunng 2018
    Die Band Tunng 2018: wieder komplett vereint (Eva Vermandel)
    Da staunt der Fan: So poppig wie etwa beim Song "Dark Heart" klangen Tunng noch nie - straighter Beat, pochende Synthesizersequenz und auch ein richtiger Refrain! In ihrer verträumten, freundlich-schrägen Soundwelt keineswegs selbstverständlich.
    Mike Lindsay: "Der Arbeitstitel von ‘Dark Heart’ war sogar: Der Hit! Ich hab mich schwer getan damit. Für mich ist so eine traditionelle Songstruktur eher ein Experiment, etwas Seltsames! Und damit: grade nicht kommerziell."
    Das Album schrieb sich wie von selbst
    Mike Lindsay veröffentlichte zuletzt unter dem Namen Lump ein Duo-Album mit der gefeierten Songwriterin Laura Marling und war im Übrigen nach Reykjavik gezogen. Sänger Nummer zwei, Sam Genders, hatte nach einem wenig einträglichen Tunng-Album eine Stelle als Grundschullehrer angenommen und dann die elektronische Soulband Diagrams formiert. Nun hat es ihn zurückgezogen.
    Sam Genders: "Was bei Tunng wirklich Spaß macht, ist die Gabe von Mike, unterschiedlichste Ideen miteinander zu verbinden - als hätten sie immer schon auf ein Album gehört. Dadurch ist jeder frei, alle möglichen Einfälle beizusteuern. Nichts ist von Vornherein ausgeschlossen."
    Tunng 2018
    Sechs Köpfe, eine Band: Tuung im Jahr 2018 (Full Time Hobby)
    Und so oszillieren sie wieder zwischen naiven Folkmelodien, Echoschleifen und Verzerrungen - oder Kammerpop mit Klarinette (die bei Tunng "Elendsstengel" heißt) - in diesem Fall alles innerhalb eines Songs.
    Mike Lindsay: "Wir hatten ein paar Instrumente festgelegt, die in allen Songs auftauchen sollten. Ein Moog-Synthesizer, ein Roland-Soundmodul aus den 90ern - aber dann schickte Sam seine Konzertgitarren-Parts aus Somerset, wo er wohnt, und die stellten alles auf den Kopf. Jeder Song bekam sofort einen ganz anderen Dreh. Und so, mit dem Input aller Bandmitglieder, schrieb sich das Album praktisch von selber."
    Songtext: "Es regnet Formen wie Himmelssplitter, Fragmente eines besseren Lebens". Weiß Sam Genders immer genau, wovon er da singt?
    Sam Genders: "Nein, viele beginnen als Stream-of-consciousness. Mich begeistern immer Zeilen, die man ganz unterschiedlich deuten kann. Das ist doch ein sehr ökonomischer Umgang mit Worten: Ein Satz - drei mögliche Bedeutungen!"
    Verlust der kindlichen Sichtweise
    Der Song "Battlefront" beschreibt Kindheitserinnerungen, oder?
    Sam Genders: "Ja, und von der Verantwortung als Erwachsener und wie man die magische kindliche Sichtweise verliert, was ja schon traurig ist."
    In Tunng-Songs ist die Sicht aufs Leben wieder magisch, in den Texten genauso wie in den anhaltend abenteuerlustigen und immer wieder sanft verblüffenden Arrangements. Auch wenn sie heute vielleicht keine "Soundpioniere" mehr sind. Das sei schon okay, sagt Lindsay. Sie machten seit jeher halt das, was ihnen einleuchte. Von daher ist dieses Comeback höchst willkommen und vielleicht nur von außen überraschend. Die sechs von Tunng hatten sich nie wirklich aus den Augen verloren.
    Mike Lindsay: "Allerdings sind wir total unterschiedlich, und ohne Musik schon ein komischer Haufen, darum tut uns dieses gemeinsame Album sehr gut, und alle haben sich auf die Konzerte gefreut – um wieder zusammen spielen zu lernen!"
    Damit sie nicht wieder zu viel trinken, Scharade spielen und Unsinn reden, wie offenbar letztes Weihnachten.
    Mike Lindsay: "I think we got very drunk at christmas dinner and played charades. Hahaha - you know, talk nonsense… Chums."
    Tunng 2018
    Zum Lichte, zur Freiheit: Die Band Tunng (Eva Vermandel)
    Deutschlandkonzerte von Tunng
    03.11.2018 Köln
    04.11.2018 Berlin