Donnerstag, 18. April 2024

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Comic-Autorin Barbara Yelin
"Mein Strich ist immer ein Suchender"

Barbara Yelin ist eine der bekanntesten deutschen Comic-Künstlerinnen. Sie illustriert Kinderbücher, veröffentlicht Graphic Novels, Webcomics und Comicstrips. Im DLF erzählte sie von den Comics, die ihre Kindheit geprägt haben, ihrem Zeichenprozess und ihrer Liebe zum Schatten.

Barbara Yelin im Gespräch mit Ute Wegmann | 14.01.2017
    Zeichnerin und Autorin Barbara Yelin pr
    Zeichnerin und Autorin Barbara Yelin (dpa)
    Wegmann: Der Comic, die Graphic Novel. Lange schon hat die Gattung Einzug gehalten in die Literaturszene. Die Künstlerin, die heute Gast im Büchermarkt ist, wurde im Jahr 2016 mit dem Max und Moritz Preis als beste deutschsprachige Comiczeichnerin geehrt. Barbara Yelin, geboren 1977 in München. Sie studierte Illustration in Hamburg an der Hochschule für angewandte Wissenschaften. Erste Veröffentlichungen folgten 2007/2008. 2010 erscheint "Gift" über die Bremer Mörderin Gesche Gottfried. 2014 Irmina – ein 300 Seiten starkes Werk, basierend auf einer familiären Geschichte. 2015 der 15teilige Webcomic mit dem Schriftsteller Thomas von Steinaecker: Der Sommer ihres Lebens. 2016 Vor allem eins: Dir selbst sei treu. Eine Biografie der Schauspielerin Channa Maron. Und es entstanden die Bilder zu dem Kinderroman "Lady Happy" von Hermann Schulz. Parallel zeichnet sie schon lange Comicstrips, früher für die Frankfurter Rundschau, jetzt aktuell für den Tagesspiegel unter dem Titel: "Über Unterwegs".
    Barbara Yelin, Comicstrips in Tageszeitungen oder ein Webcomic, Biografien oder umfangreiche Grafic Novels wie Irmina – was sind das für Geschichten, die Sie interessieren?
    Yelin: Das sind ganz Unterschiedliche. Da sind welche dabei, die ich selbst erlebt habe, für den Tagesspiegel, da komm ich selber drin vor: Was erlebe ich? Was kommt mir entgegen beim Reisen? Ich durfte die letzten Jahre sehr viel unterwegs sein. Die längeren Geschichten haben natürlich eine viel längere Vorlaufzeit. Gerade so etwas wie Irmina, oder Gift oder das aktuelle Hanna-Maron-Buch, das sind Bücher, die haben ganz viel mit Recherche zu tun, sich mit dem Thema vertraut machen und worauf will mein Buch hinaus. Was ist die Grundfrage der Erzählung? Man muss parallel schon mit Zeichnungen und Bildern planen. Das sind nun historische Stoffe. Das wusste ich aber vorher nicht, das hatte ich nicht angezählt als Hauptinteresse, sondern das hat sich ergeben. Auch aus den Geschichten, die mir entgegen gekommen sind. Bei Irmina war es in der Form eines alten Kartons mit Fundstücken meiner Großmutter, den ich gefunden hatte. Bei Hanna Maron war es ein Auftrag vom Goethe-Institut Israel. Geschichten kommen einem manchmal entgegen und dann nimmt man sie auf, wenn sie einen interessieren.
    Freude am Zeichnen wichtiger als Kategorien
    Wegmann: Unterscheiden Sie zwischen Comic und Graphic Novel?
    Yelin: Eher nein. Die Graphic Novel ist ein Hilfsbegriff und gefällt mir auch nur bedingt. Was eben nicht passieren darf, dass man denkt, die Graphic Novel wäre ein wertigerer Comic. Die Graphic Novel ist eine Unterform des Comics, ein Teilbereich unter dem großen Dach des Mediums Comic. Comic ist eine Erzählung mit Bildern oder eine sequentielle Kunst. Die Graphic Novels – könnte man sagen – sind so dick, wie die Geschichte es braucht, im Gegensatz zum klassischen Comic-Album, z. B. dem franko-belgischen Album, das immer 48 Seiten hatte. Das hatte etwas mit dem Druckformat zu tun. Es war eine Erfindung der 1960er/70er Jahre, Will Eisner, der gesagt hat, seine Geschichte nimmt sich so viel Platz, wie die Story braucht, wie es eben ein Roman, eine Novel tut. Ich finde das Wort Comicroman auch schön oder Bilderzählung. Letztlich geht es mir um die Freude am Zeichnen und weniger, welchen Begriffhshut man sich aufsetzt.
    Wegmann: Jetzt haben Sie gerade schon Will Eisner erwähnt, 60er Jahre. Ich bin ja mit Micky Maus, Superman und Fix und Foxi groß geworden, das war in den 60er Jahren. Für mich waren Comics die erste Leseerfahrung. Wo sind sie den ersten Comics begegnet?
    Yelin: Eigentlich ähnlich. Was ich gerne mochte als Kind waren die Disneycomics, aber auch frankobelgische Klassiker also Tim und Struppi und Masipulami und dann kam länger nichts. Die Comics hab ich vor allem in der Bücherei gefunden, ich hab alles gelesen, was ich gefunden habe, es gab keinen Unterschied zu anderen Büchern. Comics mochte ich immer gerne, das war zu Hause so mittelgern gesehen, aber ich hab mir das nicht selber gekauft. Und dann war länger nichts, was ich im Nachhinein auch bedauere, es kam nichts nach, was mich in meinem Teenageralter interessiert hätte. Das wäre heute anders. Es gibt eine Menge Comicstoffe, die für das Alter interessant sind. Und es gibt Manga. Da bin ich nie eingestiegen, das gab es zu meiner Teenagerzeit gerade noch nicht. Dann bin ich Comics wieder im Studium begegnet. Vor allem auch durch meine Professorin Anke Feuchtenberger. Das war ein ganz spannender Kreis von Künstlern, die Ende der 90er Jahre zur deutschen Comic-Avantgarde gehörten, mit deren Werken ich bekannt geworden bin, sehr experimentelle, wirklich künstlerische Formen des Comics, die das auch ganz neu ausgelotet haben, das hat mich wirklich umgehauen.
    Das große Aha-Erlebnis
    Wegmann: Welche Künstler waren das?
    Yelin: Anke Feuchtenberger, oder ATAK aus Berlin, Markus Huber aus Hamburg, da bin ich auch großer Fan, Martin tom Dieck, der philosophische Comics gezeichnet hat. Oder Anke Feuchtenberger, die traumhafte, surreale, deutungsoffene Bildaneinanderreihungen mit einer grandiosen Technik gezeichnet hat. Ausformungen des Comics, wie ich sie selber noch nicht kannte. Ich war im Illustrationsstudium, war interessiert an der Verbindung von Bild und Text, aber das ich durch die Bilder erzählen kann, das war das große Aha-Erlebnis. Dass ich durch eine Aneinanderreihung und Vermischung und Verschränkung mit Dialogen und Erzähltexten, Sprechblasen usw. damit richtig in ein Erzählmedium gehen kann, hab ich erst Schritt für Schritt mitbekommen.
    Wegmann Waren Atak und Feuchtenberger Ihre Vorbilder?
    Yelin: Anke Feuchtenberger mit ihrer starken Bildsprache war im Comic sehr prägend am Anfang. Sie hat vielen Kommilitoninnen und Kommilitonen neue Wege aufgezeigt und möglich gemacht, dadurch, dass sie den Comic an die Hochschule gebracht hat, ein Medium, das da vorher nicht verortet war. Das ist heute auch anders. Es gab aber auch Einflüsse von internationalen Zeichnern, wen ich früh kennenlernte, ist, David Mazzucchelli, ein Zeichner, der große Varianzen hat. Er hat eine Zeitlang Batman gezeichnet, dann Alternativweltgeschichten, die sehr literarisch poetisch waren, die ich sehr mochte, und der vor ein paar Jahren mit Asterios Polyp eine sehr wichtige Graphic Novel geschaffen hat, die sehr beeindruckend ist. Und natürlich Art Spiegelman mit MAUS, einer der wichtigsten Comics überhaupt. Und Will Eisner, den ich dann entdeckte.
    Zeichnen ist immer etwas Suchendes
    Wegmann: Ihre Bilder haben keine harten Konturen oder Abgrenzungen, oft sind die Panels ohne Rahmen, sie arbeiten mit gedeckten Farben, viele Straffuren. Meine Frage war, als ich mir die Bilder anschaute, schafft es die Aquarellfarbe, die sie über Ihre Skizzen und Vorzeichnungen legen, die Durchlässigkeit und das Offene zu erzeugen, das Ihre Bilder vermitteln?
    Yelin: Ich versuch immer wieder neue Techniken, es ist auch so, das jede Geschichte ihre eigene Technik braucht. Das ist ein Heranarbeiten, ich weiß vorher nicht, welche Farben ich benutze, ich muss es ausprobieren, bis ich zu einer Lösung komme. Bei Hanna Maron hab ich mit farbigen Tuschen gearbeitet, das geht in die Richtung Aquarellfarben, das war auch für mich neu. Sonst arbeite ich mehr mit Stiften, grafisch, am Schluss wird es mit einem Pinsel noch mal verstrichen. Bei Hanna Maron waren es klare, auch knallige Farben, die ich dann abgemischt habe.
    Für mich ist das Spannende beim Zeichnen, dass der Prozess immer durchscheinend ist, so wie die Zeichnung entsteht. Es ist immer etwas Suchendes. Ich habe eine Skizze, die ich ausprobiere: Wie stelle ich meine Figuren auf, was ist die Haltung, die Mimik, was wird gesagt. Das Konzept ist nicht vorher fertig, sondern passiert beim Zeichnen. Wie das konkret aussieht und neue Ideen kommen während des Skizzierens. Es stellen sich ja auch noch ganz viele Fragen, die man vorher nicht weiß: Zeichnen ist wirklich eine Form, das ist ein großes Wort, aber von Erkenntnisprozess, da man sich ja die ganze Zeit Dinge klarmacht: Die Figur, wie sieht sie von hinten aus, wo ist das Setting, aber wie schaut sie, wenn sie was sagt. Die ganzen kleinen Fragen verlangen nach einer Lösung. So ist es eine Form von Schichtarbeit. Zuerst kommt die Bleistiftzeichnung, dann kommt eine schwarze Linie darauf mit einem weichen schwarzen Buntstift gezeichnet, und dann kann ich sehr flächig mit einem Pinsel und einer Farbe darüber gehen. Danach fang ich an, Licht herauszuarbeiten, mit einer weißen Gouache noch mal drüber zu gehen.
    Dass es eine gewisse Gedecktheit hat, liegt natürlich auch an diesem Schichtprozess. Selten bin ich mit dem ersten Strich zufrieden. Ich bin in meiner Technik das Gegenteil von der klassischen Ligne Claire. Die Ligne Claire ist der saubere Tuschestrich in der frankobelgischen Zeichnung, das hatte auch damals etwas mit Druckprozessen zu tun, das musste so klar abgegrenzt sein. Heute können wir alles drucken.
    Also mein Strich ist immer ein Suchender, ein Versuchender. Und irgendwann kann ich sagen: So jetzt ist es für mich stimmig.
    Schatten im Comic
    Wegmann: Nun haben Sie von Bleistift gesprochen, von schwarzen Stiften, die Sie benutzen. Ich hab von Straffuren gesprochen. Betrachtet man Ihre Bilder, dann könnte man denken, Sie lieben die Nacht. Es gibt viel Dunkelheit in Ihren Bildern.
    Yelin: Ja, das ist richtig. Ich liebe die Nacht – ich würde sagen: Ich liebe den Schatten. Der Schatten interessiert mich grafisch, aber auch räumlich. Und auch vom Bildinhalt. Gegenlicht finde ich eine interessante Lichtstimmung. Und dann sind die Dinge nicht sehr klar erkennbar, sondern nur schemenhaft, teilweise in kleinen Abstufungen der Graustufen. Und das sind die Momente, wo der Betrachter selber sehr stark mit einbezogen wird, weil er die Bilder ergänzen muss. Was man ungenau sieht, wird der Betrachter für sich konkretisieren. Das ist ein Anreiz für den Betrachter, sich hier in das Bild hineinzuversetzen. Ich finde es aber auch räumlich spannend: Schatten und Lichtstimmung machen das Bild sehr tief, dreidimensional.
    Das ist mir wichtig: Ich versuche Zeichnungen so zu gestalten, dass man eigentlich hineinspringen kann.
    Wegmann: "Zeichnen ist Suchen, Erkunden, Erforschen, Fragen, Hinterfragen, die Dinge von allen Seiten betrachten, ist Denken. – Was auch passiert, lasst uns nicht aufhören zu denken."
    Zu diesem Satz gibt es 12 Panels, die vom Weiß ins Schwarz gehen. Erschienen in dem Buch "Zeichner verteidigen die Meinungsfreiheit", entstanden aus Anlass des Pariser Massakers am 7. Januar 2015, bei dem 12 Menschen ermordet wurden, darunter fünf Illustratoren des Satiremagazins Charlie Hebdo.
    Dieser Prozess, den Sie beschreiben, ist ein Prozess der Wahrheitssuche, aber auch ein Prozess des Verstehen Wollens und des Welt verständlich Machens.
    Yelin: Für mich ist das Zeichnen ein Denkprozess an sich, und das ist das, was ich mit dem Satz ausdrücken wollte. Eine Form des Entwickelns, des Suchens, das erfordert, dass man die Dinge von allen Seiten betrachtet. Ich hab da länger überlegt, was sind meine Gedanken dazu (Paris): Es ist eben auch eine Freiheit des Denkens. Das Zeichnen auch eine Beschäftigung mit den Dingen, über die man erzählt. Es ist die Aufgabe oder auch das Glück des Zeichners, in einer freien Gesellschaft, wie wir sie gerade haben, das auch wahrzunehmen. Es ist auch meine Aufgabe, die Dinge von allen Seiten zu denken. Und das müssen wir auch weitermachen.
    Politik im Comic
    Wegmann: Politik spielt in Ihren Werken immer wieder eine Rolle. Zum Beispiel in Irmina. Die Geschichte einer jungen Frau, die Anfang der 1930er Jahre nach London geht, um Fremdsprachensekretärin zu lernen. Sie verliebt sich in einen dunkelhäutigen Studenten aus Barbados, erlebt in London rassistische Anfeindungen. Worum geht es in der Geschichte?
    Yelin: Das ist eine komplexe Geschichte, erzählt sich in drei Teilen. Sie haben nun den ersten Teil erzählt. Das, was mich an der Geschichte beunruhigt und interessiert hat, als ich die biografischen Grundlagen entdeckt habe, war eben die Verwandlung dieser Frau. Wie sie sich verändert hat, was ich sehr verstörend fand. Da sie ja, wie Sie es eben geschildert haben, am Anfang der Geschichte eine 19jährige ist, die auf eigene Füße kommen will, die aus Nazideutschland weggegangen ist, um einen Beruf in England zu erlernen, die sich in Howard, den Studenten verliebt, die aber genau an diesem Weg scheitert, durch äußere Umstände, aber nicht nur, sondern weil sie nicht den Mut hat, das durchzuziehen. Weil sie sehr ehrgeizig ist und auf der sozialen Leiter aufsteigen will und in Nazideutschland ganz anders weitergeht, als wir das erwartet hätten und gewünscht hätten. Mein Hauptfocus in der Geschichte ist, dass sie sich zu jemandem entwickelt, der wegschaut. Es geht ums Wegschauen. Sie hat sich dann zur Mitläuferin entwickelt, einen Naziarchitekten geheiratet, der ihr die große Zukunft verspricht, die natürlich dann nicht kommt. Letztlich ist sie in ihren Plänen und in ihren moralischen Idealen gescheitert. Das war auch eine schwierige Geschichte zu erzählen ...
    Wegmann: Ist denn Irmina ihre Großmutter?
    Yelin: Irmina basiert auf Fundstücken meiner Großmutter, es ist aber keine Biografie. Das liegt daran, dass es lückenhaft war, was ich gefunden hatte: Teile aus Tagebüchern, Briefen, Fotos, andererseits wollte ich selber eine gewisse Distanz gewinnen, um es objektiv erzählen zu können. Trotzdem ist die erzählerische Anlage nicht ausgedacht. Aber alle Details und Dialoge habe ich selber entwickelt und ich habe da sehr viel auch mit Recherche gearbeitet, hab auch mit einem Historiker zusammengearbeitet, Alexander Korb, der auch das Nachwort geschrieben hat, was sehr wichtig ist für das Buch. Letztlich verstehe ich das Buch als eine Form von Warnung, wenn man sich nicht mehr klarmacht: Wofür möchte ich eigentlich stehen? ...
    Wegmann: Sie schreiben ja auf den 300 Seiten, sie zeichnen auf den 300 Seiten, wie sich die Figur verändert. Wie durch Verdrängung und Frustration aus ihr eine strenge Deutsche wird.
    Sie haben schon gesagt, es sind drei Teile: London – Berlin – Barbados – drei Stationen eines Lebens.
    Aufbau: Sechs Panels pro Seite, auch das variierend, wechseln mit imposanten Doppelseiten, die Nazi-Macht, Nazi-Stimmung in düsteren Bildern mit viel Schwarz und Grautönen deutlich machen. Außer das Rot als Signalfarbe der Nazi Propanda, vielleicht auch des Blutes. Später auf Barbados kommt die Farbe hinein. Die Grüntöne.
    Yelin: Es gibt für jeden Teil eine Art Konzeptfarbe. Am Anfang ist es noch ein leichtes Blau, wo es noch die Möglichkeit einer Freiheit gegeben hätte. Am Schluss kommt das Türkisgrün, da ist sie schon über 70 Jahre alt, als eine Form der Reflexion, der Erkenntnis. Es gibt dann einen Moment, wo sie nicht schweigt.
    Ansonsten hab ich auch hier viel mit Graustufen gearbeitet. Das passt gut zu der Geschichte, ist aber auch eine Technik, in der ich mich gut auskenne.
    Webcomic hat andere Möglichkeiten
    Wegmann: 2015 erscheint ein 15 teiliger Webcomic: Der Sommer ihres Lebens. Eine Seite umfasst sechs bis zehn Bilder. Die berührende Geschichte einer Physikerin, die sich im Seniorenheim fragt, ob sie wohl ein erfülltes Leben hatte. Und sie erinnert sich an Augenblicke, auch an Kinderaugenblicke, die nun in die Gegenwart hineinreichen. Was unterscheidet den Webcomic vom Printcomic?
    Yelin: Das haben wir selbst beim Machen herausgefunden, das war ein spannender Prozess. Ich durfte das ja zusammenmachen mit Thomas von Steinaecker, einem deutschen Romanautor, der sich großartiger Weise schon immer für Comics interessiert. Er hat geschrieben, ich hab gezeichnet. So einfach ist das nicht: Man spricht auch viel darüber, was kann man umsetzen. Es ist eine Art Tennisspiel: Der eine gibt einen Ball, der andere wirft ein Bild zurück ... das war ein toller Prozess.
    Und im Gegensatz zum Print ist es das Scrollen nach unten. Man liest nicht mehr in der Horizontalen, sondern in der Vertikalen. Somit kann man Bilder schaffen, die durch die Bewegung des Scrollens selbst eine Erzählung innehaben. Bilder sind dann ganz lang. Es gibt eine Folge, da sieht man einen langen Sternenhimmel, durch den sich ein Dialog durchzieht, man scrollt sich lange durch den Abendhimmel, bis man erst ganz unten zu ihr und ihrem Vater kommt.
    Das zu benutzen als ein Format der Bewegung in der Erzählung, das war sehr reizvoll.
    Wegmann: Lady Happy, ein Abenteuerroman von Hermann Schulz, angesiedelt auf einer Insel im Viktoriasee, im Mittelpunkt afrikanische Kinder und Jugendliche mit Wünschen und Träumen in ihrem oft heiteren, aber auch mühevollen Lebensalltag.
    Illustration eines Kinderromans
    Welche Herausforderung war es, einen Kinderroman zu illustrieren?
    Oder gibt es für Sie gar keinen Unterschied in der Herangehensweise?
    Yelin: Ich glaube nicht, dass ich einen Unterschied mache. Die Erzählung von Hermann Schulz ist wahnsinnig lebendig, die Bilder sind schon im Text so reich, dass ich viel Stoff hatte, den ich erzählen konnte. Ich hab mir die Insel rausgesucht, die gibt es wirklich, hab mir Landschaft und Menschen angeschaut. Das sind auch oft Wimmelbilder geworden, ganzseitige Bilder. Das war eine schöne Abwechslung, würde ich auch gerne wieder machen.
    Wegmann: Im Jahr 2016 erschien die großartige Biografie der Schauspielerin Channa Maron, basierend auf einem Projekt des Goethe-Instituts Israels. In Israel war Channa Maron ein Theaterstar, in Berlin geboren, wurde sie zum Kinderstar in der Weimarer Republik: Das erste Kästner’sche Pünktchen im Deutschen Theater und die Kinderstimme in Fritz Langs "M – eine Stadt sucht einen Mörder".
    Nun ist das eine besondere Biografie, sie haben mit unterschiedlichen Leuten gesprochen und haben dann in kleinen Szenen, das Leben erzählt, jeweils aus der Perspektive, aber es gibt auch viel auktoriale Erzählstimme.
    Wie haben Sie in das Thema hineingefunden? Hanna Maron lebte doch noch, als das Projekt begann.
    Yelin: Nein, leider nicht. Sie starb 2014, das war der Grund, warum der Leiter des Goethe-Instituts mit zwei ihrer Kindern dieses Projekt überlegt hatten. Sie wollten eine Erinnerung schaffen, eine Form, die auch junge Leute erreicht, ...sind dann tollerweise auf den Comic gekommen und haben mich und den israelischen Kollegen David Polonsky gefragt, dass wir unabhängig voneinander beide etwas entwickeln.
    Ich kannte sie ja auch nicht, das geht wohl den Meisten hier Lebenden so, das ist schade, denn sie war eine großartige Frau und hat viel geschaffen in ihrem Leben. Dann hab ich angefangen zu forschen, zu recherchieren, und bin dann schnell hingefahren, denn um mich an sie heranzutasten, wollte ich Leute treffen, die sie kannten. Das war die Basis für jede Episode, die ich gezeichnet habe, dass ich verschiedene Stimmen als Originalstimme verwendet habe. Ihre Kinder, den Theaterdirektor, ihre Enkelin, junge Schauspieler, die zum Schluss mit ihr gearbeitet haben und es war sehr berührend, was die mir erzählt haben. Zum Schluss konnte ich noch mit einem Historiker arbeiten, der mir geholfen hat mit hebräischen Texten, weil ich ja leider kein Hebräisch kann.
    Der magische Rhythmus
    Wegmann: Man lernt diese Frau aus vielen Perspektiven kennen, dazu gehören natürlich auch die Bilder des Kollegen David Polonsky, der eine ganz andere Herangehensweise hat. Der eine Art Plakate geschaffen hat, sich auf ihre Rollen konzentriert hat, jeweils in den historischen Kontext gesetzt, den Zeitpunkt, als sie die jeweilige Rolle gespielt hat. Und zusammen fügen sich diese beiden Blicke auf eine großartige Frau, die ja ein schweres Schicksal hatte. Sie hat auf dem Münchner Flughafen bei einer Zwischenlandung bei einem Bombenattentat 1971 ihr Bein verloren und hat lange dafür gebraucht, das haben sie großartig in Szene gesetzt, wie sie ihre Depression zeigen, in den Blautönen, wie sie das aufgebaut haben, ihre Zweifel, ihre Selbstzweifel, ihre Traurigkeit und wie sie aus dieser Tiefe wieder herausfindet. Ein ganz großartiges Buch.
    Wegmann: Sie sprechen vom "magischen Rhythmus" des Panels. Was bedeutet das?
    Yelin: Es gibt diese magische Stelle im Comic. Also das Panel ist das Kästchen und dazwischen hat man die leere Stelle, im Amerikanischen the gatter, der Rinnstein genannt, ob das nun weiß oder schwarz ist, auf jeden Fall ist es die Lücke zwischen den Bildern. Und das ist genau das, wo der Betrachter ins Bild kommt, denn er ergänzt die beiden Bilder zu einer Geschichte. ....Er macht Ergänzungsarbeit und das ist etwas Magisches, das kann man als Erzähler bedenken, benutzen und Fragen damit aufspannen. Der Rhythmus wird bestimmt durch die Anzahl der Panels, was ist das Wichtigste, was ist das Größte, wie generieren die sich auf einer Seite, wie ist die Seitenarchitektur, wie funktioniert die Bewegung nicht nur in einem Panel, sondern in allen zusammen und dann der Wechsel von vielen kleinen, in denen viel passiert zu großen Bildern über zwei Seiten, die dann einen Ruhepunkt bilden. Wenn man es mit Rhythmus vergleicht, kann man es vielleicht sogar mit Musik vergleichen: Schnellere Stellen wechseln mit getragenen, wo wir ausruhen können.
    Wegmann: Barbara Yelin, vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Wir sprachen über:

    Peer Meter/Barbara Yelin: "Gift"
    Reprodukt Verlag, Berlin 2010. 200 Seiten, 24,00 Euro.

    Barbara Yelin: "Irmina"
    Reprodukt Verlag, Berlin 2014. 300 Seiten, 39,00 Euro, ab 15 Jahre.

    Barbara Yelin/David Polonsky: "Vor allem eins: Dir selbst sei treu"
    Reprodukt Verlag, Berlin 2016. 81 Seiten, 24,00 Euro, ab 15 Jahre.

    Hermann Schulz/Barbara Yelin: "Lady Happy"
    Aladin Verlag, Hamburg 2016. 208 Seiten, 12,95 Euro, ab 10 Jahre.

    Klaus Humann (Hrsg.): "Zeichner verteidigen die Meinungsfreiheit"
    Aladin Verlag, Hamburg 2015. 48 Seiten, 12,90 Euro, ab 14 Jahre.

    Thomas von Steinaecker/Barbara Yelin: "Der Sommer ihres Lebens"
    Webcomic: http://www.hundertvierzehn.de/rubriken/der-sommer-ihres-lebens