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Comic "Eloi"
Dunkles Kapitel europäischer Kolonialgeschichte

Die Graphic-Novel "Eloi" erzählt von der Verschleppung eines Eingeborenen nach Europa. Die beiden Autoren Younn Locard und Florent Grouazel schildern die lange Überfahrt von der Pazifikinsel Neukaledonien und zeigen, dass Rassismus, Fremdenhass und Flucht auch im 19. Jahrhundert allgegenwärtig waren.

Von Kai Löffler | 14.09.2015
    Beispielseite des Comic Elois
    Beispielseite des Comic Elois (avant Verlag)
    "Ich bin ihren Spuren gefolgt... "
    Eine abgekämpfte Gestalt stolpert aus dem Dschungel Neukaledoniens: der junge Arzt Pierre Delaunay.
    "Ihre Trommeln und ihr Geschrei waren durch den Wald hindurch zu hören. Ich wollte umkehren, aber ich bin nur tiefer in den Dschungel hineingeraten."
    Ureinwohner faszinieren
    Für Delaunay und die übrige Besatzung der französischen Fregatte Renommée ist die Pazifikinsel im Jahr 1837 Neuland. Die Ureinwohner sind für sie abstoßend und zugleich faszinierend. Daher beschließen sie, einen von ihnen mitzunehmen: Den jungen Éloi.
    Der Comic "Éloi", zu deutsch "Der Auserwählte", beschreibt die monatelange, beschwerliche Überfahrt nach Europa. Younn Locard und Florent Grouazel haben ihn geschrieben, Grouazel hat außerdem gezeichnet. In den ersten Tagen der Reise ist der junge Inselbewohner für die Mannschaft vor allem ein Kuriosum, dass nur allzugerne bestaunt und bewundert wird.
    "Cassien! Ein Gedeck für Éloi! Heißen wir unseren jungen Freund anständig willkommen! Ich erhebe mein Glas auf Élois Wohl!"
    Überlegenheitsgefühl der Europäer kommt raus
    Bald zeichnen sich aber die ersten Konflikte ab. Der Auslöser ist nicht nur der Aufeinanderprall grundverschiedener Kulturen, sondern vor allem das Überlegenheitsgefühl der Europäer - untermauert von der damaligen Forschung, die versucht hat, Charakter und Intelligenz von der Schädelform abzuleiten.
    "Eines schönen Tages wird die Phrenologie die Essenz dessen ans Licht bringen, was uns von den Primitiven unterscheidet. Was der Grund dafür ist, dass sie kein Moralempfinden entwickeln konnten und dass wir uns aus dem Tierreich erhoben haben, um die Zivilisation zu erschaffen."
    Themen bis heute aktuell
    Locard und Grouazel sprechen aus der Sicht der Kolonialzeit Themen an, die bis heute - und besonders heute - relevant sind; Themen wie Integration, Zusammenleben der Kulturen und die Frage, ob die Herkunft eines Menschen den Wert seines Lebens bestimmen kann. Die Parallelen zu Integration in Zeiten der Flüchtlingskrise, sind mehr implizit als explizit - und doch unmöglich zu übersehen.
    Éloi ist das eindrucksvolle Debüt seiner beiden Autoren. Am Ende bleibt nicht nur die dichte Atmosphäre der Reise hängen, sondern vor allem der eurozentrische Rassismus der Figuren, damals selbstverständlicher Minimalkonsens. So ist auch das tragische Ende der Geschichte ebenso unausweichlich wie vorhersehbar. Auch wenn an manchen Stellen die ausufernden Dialoge den Bildern etwas von ihrer Kraft nehmen, erwecken die Zeichnungen effektiv und ausdrucksvoll den Alltag der Überfahrt zum Leben. Man hört förmlich die morschen Bretter knarren, spürt den rauhen Wind und schmeckt das Salzwasser.
    Younn Locard / Florent Grouazel: "Eloi"
    224 Seiten, avant Verlag, 29,95 Euro