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Comic mit universeller Botschaft

Howard Cruse hat seit den 70er-Jahren mit seinen Comics schwules Leben humorvoll ins Bild gesetzt. Die preisgekrönte Graphic Novels "Stuck Rubber Baby" dreht sich um ein Coming-out und um die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten.

Von Christian Möller | 14.11.2011
    "Es lag Gefahr in der Luft. Man lebte im Bewusstsein, dass man leicht Opfer rassistischer Gewalt werden könnte, wenn man sich den Moralvorstellungen des Südens nicht fügte. Zu meiner Collegezeit gab es zum Beispiel in meiner Heimatstadt Birmingham eine Tageszeitung, die druckte die Namen und Adressen von Weißen ab, die an Antirassismus-Demos teilnahmen. Einfach um sie einzuschüchtern, um ihnen das Gefühl zu geben: Die könnten mir jeden Moment auflauern."

    Birmingham im US-Bundesstaat Alabama. Zu Beginn der 60er Jahre steht die Stadt im Ruf, der Ort mit der härtesten Rassentrennung der Vereinigten Staaten zu sein. Und ihr Polizeichef Bull Connor setzt sich unverblümt dafür ein, dass das auch so bleibt.

    Segregation um jeden Preis – das ist Connors Maxime. Doch 1963 geht sie nach hinten los. Als Connor eine Demonstration, an der auch Martin Luther King teilnimmt, mit Wasserwerfern und scharfen Hunden bekämpfen lässt, löst er landesweite Empörung aus.

    Gewalt auf der einen, Aufbruchstimmung auf der anderen Seite - es ist diese widersprüchliche Atmosphäre, die Howard Cruse in seiner autobiografisch geprägten Graphic Novel einfängt. Sein Protagonist Toland Polk wächst in der fiktiven Kleinstadt Clayfield auf, ein junger Weißer, der sich vom Rassimus des Südens noch nicht hat anstecken lassen. Im Gegenteil: Er und seine Freunde sympathisieren mit der Bürgerrechtsbewegung. Vor allem Ginger, eine mutige junge Frau, die als Folksängerin Karriere machen möchte. In sie verliebt sich Toland. Oder zumindest würde er das gern. Denn dass er sich eigentlich zu Männern hingezogen fühlt, kann er nicht zugeben: weder vor anderen noch vor sich selbst. Zu sehr hat er die Moralvorstellungen der Gesellschaft verinnerlicht.

    "Man erzählte damals jungen Schwulen, dass das eine Phase ist. Und dass man sich irgendwann schon von Frauen angezogen fühlen würde. Ich habe meine gesamte Teenagerzeit darauf gewartet, dass das endlich passiert. Und versucht es herbeizuführen - so wie Toland, der den Playboy liest und versucht, sich einzureden, dass es das ist, was er sexy findet."

    Toland möchte gern normal sein. Deshalb hält er mit seinen politischen Ansichten meist ebenso hinter dem Berg wie mit seinen sexuellen Neigungen. Erst als ein schwuler junger Mann aus seinem Freundeskreis Opfer eines Lynchmordes weißer Rassisten wird, beginnt Toland zu begreifen: Auch er steht auf der Seite derer, die kämpfen müssen, um frei zu sein. Der Mut und die Solidarität des schwarzen Civil-Rights-Movement seien damals für viele junge Schwule zum Vorbild geworden, sagt Howard Cruse.

    "Die Leute, die in der Bürgerrechtsbewegung aktiv waren, sind große Risiken eingegangen. Sie waren wirklich mutig. Und das war inspirierend. Es war unmöglich, sich dazu zynisch zu verhalten, außer wenn man ein sehr hartherziger Mensch wäre. Und das war einer der Gründe, warum ich dieses Buch machen wollte: Weil man in den 80ern später oft auf den Idealismus der 60er-Jahre herabgeblickt hat wie auf eine Dummheit, über die man längst hinaus wäre."

    Heute hat Amerika einen schwarzen Präsidenten und in einigen Bundesstaaten ist die Homoehe gesetzlich erlaubt. Man könnte meinen, Howard Cruses Buch hätte sich erledigt. Aber das stimmt nicht. Gezeichnet in düster bedrückendem Schwarz-weiß und voll realistischer Details, die den Leser in die Zeit der Bürgerrechts-Proteste versetzen, ist dieser Comic keine bloß historische Dokufiktion, sondern eine tief berührende Erzählung mit universeller Botschaft. Man muss einstehen für das, was man fühlt und denkt. Das mag riskant sein. Aber es lohnt sich.