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Comic vom Krieg

Der US-amerikanische Journalist und Comiczeichner Joe Sacco gilt als Begründer der Comic-Reportage. Das Wort "Graphic Novel" gefällt ihm in Bezug auf seine Arbeit nicht. Denn er will die Wirklichkeit abbilden.

Joe Sacco im Gespräch mit Dirk Schneider | 10.04.2012
    Graphic Novel: für Sacco nur ein Begriff zur besseren  Vermarktung
    Graphic Novel: für Sacco nur ein Begriff zur besseren Vermarktung (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Dirk Schneider: Joe Sacco, Sie möchten "Comic-Autor" genannt werden, den Begriff "Graphic Novel" mögen Sie nicht. Warum?

    Joe Sacco:Der Begriff dient wohl vor allem Marketingzwecken. Ich würde meine Bücher auch nicht als "Novels", also als Romane bezeichnen. Romane sind fiktive Geschichten, das sind meine Bücher nicht. Aber der Begriff setzt sich doch fest, und wenn die Zeichner meiner Generation nicht mehr leben, werden die Jüngeren wohl ganz selbstverständlich von "Graphic Novels" sprechen.

    Schneider: Sie bezeichnen Ihre Arbeit als Journalismus. Würden Sie aber nicht sagen, dass Ihre Zeichnungen die Wirklichkeit ein bisschen mehr verzerren als zum Beispiel ein geschriebener Zeitungsartikel?

    Sacco: Das würde ich nicht sagen. Wenn man einen Zeitungsartikel liest, entstehen auch Bilder im Kopf. Sind die vielleicht richtiger? Ich würde auf jeden Fall sagen, dass meine Zeichnungen Interpretationen der Wirklichkeit sind, und dass sie das Wahrgenommene filtern. Aber ich lege meinen Filter offen, es wird sehr deutlich, dass die Dinge durch meine Augen wahrgenommen werden, und durch meine Hände.

    Schneider: Was ist für Sie die Stärke der Comicreportage, verglichen mit anderen journalistischen Formen?

    Sacco: Ich glaube die Stärke von Comics liegt darin, dass sie den Leser sehr schnell an einen Ort versetzen: Man schlägt das Buch auf und ist sofort in Gaza. Oder in Gorazde, im Osten Bosniens. Das berührt uns sehr tief, wie alle Bilder. Und um ein gutes Foto zu machen, braucht man sehr viel Glück, um im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken. Zeichnen kann man diesen Moment immer. Es gibt sehr berühmte Fotografien, etwa das Bild vom Polizeipräsidenten von Saigon, der einen verdächtigen Vietcong erschießt. Diese Aufnahme von 1968 ist sozusagen das perfekte Bild – in einem morbiden Verständnis von Journalismus. Zeichnen kann man so ein Bild jederzeit. Man kann als Zeichner immer den schlimmsten Augenblick festhalten, oder den besten. Man darf es aber auch nicht übertreiben, gerade weil es so einfach ist. Es ist eine Frage der Balance.
    Darüber hinaus bietet der Comic mit seinen vielen Bildern sehr gut die Möglichkeit, eine Atmosphäre aufzubauen. Im Vordergrund erzählt man die Geschichte, im Hintergrund gibt man andere Informationen: wie die Autos aussehen, die Straßen, der Schmutz. All das dringt aus dem Hintergrund ins Unterbewusste des Lesers und gibt ihm wirklich das Gefühl, an diesem Ort zu sein.

    Schneider: Ihr Buch über den Bosnien-Konflikt ist wirklich verstörend, manche Bilder sind schwer zu verdauen. Die schlimmsten Bilder entstammen Berichten, die Sie dort von den Leuten bekommen haben. Ist es nicht schwer, solche dramatischen Erzählungen in eigene Bilder zu fassen?

    Sacco: Ich frage die Leute sehr genau danach, was sie gesehen haben. Es ist aber nicht einfach, sich an ihre Stelle zu versetzen. Natürlich sind meine Bilder eine Interpretation. Und ich versuche, nicht zu übertreiben. Ich bin ein großer Fan von Joe Kubert, der Kriegscomics zeichnet. Aber manchmal sind seine Explosionen einfach zu schön. Menschen werden getötet und fliegen durch die Luft, dass es fast aussieht wie im Ballett. Ich versuche eher, die Dinge so armselig und hässlich darzustellen, wie sie sind. Und Explosionen sehen aus der Ferne meist nur aus wie eine kleine Staubwolke, nicht wie ein wunderschöner, roter Feuerball. Jedenfalls meistens. Ich versuche, mich an die Realität zu halten.

    Schneider: In der bosnischen Stadt Gorazde waren Sie nur ein Journalist unter vielen. Wie haben Sie es geschafft, Ihre eigene Perspektive der Dinge zu finden?

    Sacco: Gorazde war ja vielleicht für zwei Wochen in den Medien. Die meisten Journalisten sind mit dem UN-Konvoi gekommen, haben ihre Interviews gemacht, und als der Konvoi seine Lieferung ausgeladen hatte, sind sie wieder abgehauen. Sie waren also nur ein paar Stunden da, andere vielleicht für ein paar Tage. Ich war für mehrere Wochen vor Ort und habe bei den Leuten gewohnt. Ich habe also viel mehr Zeit investiert, ich war ja auch mein eigener Auftraggeber. Viele Journalisten wären vielleicht gerne länger in Gorazde geblieben, aber sie mussten ja schon am Nachmittag ihren Bericht abliefern. Andere, die ein paar Tage dort blieben, haben sich gelangweilt. Mir war nie langweilig. Mehr als die großen Kämpfe interessiert mich ja der Alltag der Leute, wie sie im Krieg leben, zur Schule gehen, was sie essen...

    Schneider: In Ihren Büchern machen Sie sich aber auch ein bisschen über sich selbst lustig, wie Sie auf der Suche sind nach den blutigsten Fakten, nach den schrecklichsten Geschichten.

    Sacco: Als Journalist hat man schon viel Mitgefühl mit den Leuten, man geht aber auch vor wie ein Chirurg, um an eine Story zu kommen. Man öffnet den Körper, entnimmt, was entnommen werden muss, so schnell wie möglich, man will dem Patienten möglichst nicht wehtun. Es ist auch ein kalter Beruf. Und manchmal muss ich das kommentieren. Ich habe Journalismus studiert, und die Arbeit eines Auslandskorrespondenten war für mich etwas Geheimnisvolles. Ich wusste nicht, wie die arbeiten, und viele meiner Vorstellungen wurden zunichte gemacht, als ich sie dann bei der Arbeit erlebt habe. Oft hatten sie keine Ahnung und waren völlig von den Leuten vor Ort abhängig, von ihren Führern und Übersetzern. Ich möchte auch erzählen, wie Journalismus funktioniert, sodass die Leser auch meine Arbeit und die Berichte anderer Journalisten von solchen Orten besser einschätzen können.

    Schneider: Gerade arbeiten Sie an einem Buch über Armut in den USA, gemeinsam mit dem Kriegsreporter Chris Hedges. Zwei Kriegsreporter berichten aus den Vereinigten Staaten, herrscht bei Ihnen Krieg?

    Sacco: Es herrscht überall Krieg, wo Ungleichheit herrscht. Und es gibt eine Menge Ungleichheit in den USA. Es gibt die Kapitalisten, und ein gewisser Grad an Kapitalismus mag gesund sein. Aber über den Raubtierkapitalismus, der auf der ganzen Welt herrscht, und besonders in bestimmten Teilen der USA, sollte man reden. Und ich würde da durchaus von Gewalt sprechen. Die Kohlebergbaugebiete in West Virginia, wo ganze Berge abgetragen werden, um so schnell wie möglich an die Kohle zu kommen. Egal, wie das die Leute vor Ort finden. Und es entstehen kaum Arbeitsplätze, aber eine enorme Umweltverschmutzung. Da sterben Menschen an Staublungen, ohne dass sie selbst im Kohlebergbau arbeiten. Und die Menschen haben da kein Wort mitzureden. Und Demokraten wie Republikaner bekommen Geld von der Kohleindustrie. Die Menschen können sich an niemanden wenden. Chris würde von einer "inneren Kolonie" sprechen: Ein Teil der Bevölkerung spielt keine Rolle, und die Ressourcen werden einfach ausgebeutet. Wir waren an vier Orten in den USA, die exemplarisch sind für diese Problematik.

    Schneider: Sind Sie zufrieden damit, wie sich die Kunst der Comics entwickelt?

    Sacco: Ich glaube, heute ist die beste Zeit, um Comiczeichner zu sein. Wir bekommen viel Aufmerksamkeit, man nimmt uns ernster, die Medien nehmen uns wahr. Außerdem gibt es im Comic noch so viele Möglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft sind. Als würde man auf eine große Wiese blicken, auf der noch niemand das Gras platt getreten hat. So viele Wege sind noch nicht gegangen, und mir scheint das Leben zu kurz, um all diese Möglichkeiten auszuschöpfen.

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