Dienstag, 23. April 2024

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Comic zur sportlichen Wiedervereinigung
Ost und West im selben Boot

Die Wiedervereinigung änderte für Leistungssportlerinnen und -sportler vieles, auch im Westen: Ruderin Wiebke Petersen bekam zunächst Konkurrenz aus dem Osten und wurde dann Teil des ersten gesamtdeutschen Ruderteams. Petersen ist heute Comiczeichnerin und hat die Geschichte zur Graphic Novel gemacht.

Von Jennifer Stange | 03.10.2020
Das Cover der Graphic Novel: Zwei Ruderinnen überfahren die ehemalige Grenze auf einem Fluss
Das Cover der Graphic Novel (Verlag Schreiber und Leser)
"Ich kann das auch nochmal auf französisch sagen", sagt Zelba beim Soundcheck in der Stadtbibliothek Magdeburg. Die Comiczeichnerin wohnt und arbeitet in Saint-Étienne. In Frankreich hat sie sich mit ihren Jugendbüchern und Comics bereits einen Namen gemacht. "Im selben Boot" ist ihre erste Veröffentlichung auf deutsch.
Comiczeichnerin Wiebke Petersen alias Zelba heute
Comiczeichnerin Wiebke Petersen alias Zelba heute (A. Bujak, éditions Futuropolis, Verlag Schreiber und Leser)
"Okay, dann höre ich jetzt mal auf zu labern", sagt Zelba ins Mikrofon. Zelba ist der Künstername der ehemaligen Ruderin Wiebke Petersen und um ihre eigene Geschichte geht es in ihrem Buch, das sie an diesem Abend vorstellen will. Heute ist sie viel gelassener als damals, als sie das erste mal auf Menschen aus dem Osten traf.
"Das erste Mal, dass wir tatsächlich diese ostdeutschen Ruderer getroffen haben, das war in Köln, beim Frühtest Anfang April 1991. Da stiegen die dann aus diesem Ostbus aus und die waren so riesig, dass es aussah als würden die sich aus einer zu heiß gewaschenen Jeans quälen", sagt Petersen und lacht.
"Mächtig Schiss" vor den Ost-Ruderern
Damals traf die Teenagerin Wiebke Petersen ihre Konkurrenz aus dem Osten. Sie hatte Rudern auf dem Baldeneysee gelernt und wuchs in Aachen und Essen auf. Ein Platz im westdeutschen Nationalkader schien ihr sicher, dann kam die Wiedervereinigung, harte Vorurteile inklusive:
Petersen sagt heute: "Somit gab es keine zwei Nationalmannschaften mehr, man musste erstmal gegen die ostdeutschen Ruderinnen rudern und da war ja allen bekannt, die kamen natürlich alle aus den Sportinternaten und sind sicherlich auch alle gedopt. - So wie wir das halt früher dachten. Auf jeden Fall hatten wir mächtig Schiss. (lacht) Davon handelt es dann auch."
Rudererin Wiebke Petersen als Teenagerin
Rudererin Wiebke Petersen als Teenagerin (Verlag Schreiber und Leser)
Davon handelt ihre autobiographische Graphic Novel: Wiebke trainiert fast täglich im Ruderclub und träumt von einem Platz in der Nationalmannschaft. Plötzlich wird aus zwei Ländern eins und die Konkurrenz verdoppelt sich. Wiebke und ihre Partnerin im Zweier schaffen es 1991 aber trotzdem in den deutschen Juniorkader. Der ist hauptsächlich aus dem Rudernachwuchs der damals neuen Bundesländer im Osten zusammengesetzt. Dort werden auch sportliche Unterschiede deutlich, sagt Petersen:
"Die Easy, eine Freundin von mir die auch aus Essen kam, die einzige Westdeutsche Ruderin in einem ostdeutschen Doppelvierer, im Doppelvierer wird geskullt, die musste sich dann an diese Osttechnik gewöhnen. Das ist sehr schwierig, denn sobald man müde ist, fällt man in seine Automatismen zurück und dann schlägt man sich die Hände blutig, also die sah nachher aus immer."
Erst blutige Hände, dann alles nach West-Manier
In der DDR ruderte man mit der rechten über der linken Hand in der Bundesrepublik genau umgekehrt. Skullen heißt es, wenn man mit einem Ruder in jeder Hand und nicht beidarmig mit nur einem Ruder unterwegs ist - so wie Wiebke Petersen damals. Später wurde beim skullen dann komplett auf Westmanier umgestellt.
Petersen sagt: "Nach der Wende war das wie bei allem so, dass sich die Ostdeutschen den Westdeutschen anzupassen hatten. Und nicht andersrum."
Jenseits sportlich-technischer Aspekte und Äußerlichkeiten erinnert sich Wiebke Petersen vor allem an einen Unterschied zwischen den Jugendlichen aus Ost und West:
"Ein Unterschied, der sicherlich auf Erziehung zurück zu führen ist, ist dass die ostdeutschen Ruderer und Ruderinnen sehr diszipliniert waren und sehr gehorsam. Also wenn ein Trainer etwas gesagt hat, dann wurde das auch genauso gemacht."
In dem Comic, den die ehemalige Ruderin gezeichnet und geschrieben hat, geht es aber weniger um Unterschiede. Es ist eine klassische Coming-of-Age-Geschichte von Jugendlichen aus West und Ost, die plötzlich in einem Boot sitzen, sich kennenlernen und feststellen, dass sie denselben Liebeskummer haben, dieselben Ängste, Wünsche und Ziele.
Petersen sagt: "Wir sind ein sehr, sehr starkes Team gewesen, 1991 sind die deutschen Juniorenruderer auch unschlagbar, also wir haben wahnsinnig viele Medaillen geholt."
Achtmal Gold, viermal Silber und einmal Bronze gewinnt das erste gesamtdeutsche Team bei den Juniorweltmeisterschaften im Rudern in Spanien 1991. Zu der Lesung in Magdeburg hat Wiebke Petersen aber nicht ihre Goldmedaille, sondern das Trikot mitgebracht, dass sie auch auf dem Buchcover trägt. Hammer und Zirkel* statt Adler.
Im Comic bekommt Wiebke ein DDR-Trikot geschenkt
Auszug aus "Im selben Boot" (Verlag Schreiber und Leser)
Petersen erklärt: "Das trage ich da dieses Osttrikot, weil während dieses Trainingslagers am Razteburg See hat mir der Einerruderer, Marco hieß der, der hat mir sein ehemaliges DDR Trikot geschenkt. Und ja, es ist wirklich ein Stück deutscher Geschichte."
Ein schönes Stück deutsch-deutscher Geschichte findet Wiebke Petersen bis heute.
*In einer früheren Version war von "Hammer und Sichel" die Rede, dies haben wir korrigiert.