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Comics in Indien
Lebensnahe Zeichnungen aus weiblicher Sicht

Frauen haben in Teilen der traditionellen indischen Gesellschaft immer noch einen schweren Stand. Mehrere indische Comic-Autorinnen berichten im Sammelband "Spring" von ihrem Alltag in dem Land mit seinen konservativen Konventionen - und dabei sind die Zeichnerinnen alles andere als zurückhaltend.

Von Mechthild Klein | 31.05.2016
    Cover der 13. Ausgabe des Spring Magazins mit dem Namen "Elephant in the Room"
    Das Zeichnerinnen-Kollektiv "Spring" hat mit mehreren Comic-Autorinnen aus Indien sozialkritische Graphic Novels gestaltet (Spring Magazin / Prabha Mallya 2016)
    Comic-Zeichnerinnen sind in Deutschland schon lange keine Ausnahmeerscheinung mehr. Der Verlag Reprodukt schätzt, dass rund ein Drittel der Comics hierzulande von Frauen gezeichnet wird. Tendenz steigend. Das Zeichnerinnen-Kollektiv "Spring" - vor zwölf Jahren in Hamburg gegründet, weil es damals nur wenige Comic-Zeichnerinnen gab - ist dennoch eine besondere Talent-Schmiede. Jedes Jahr experimentieren die Netzwerkerinnen und bringen Comics und freie Zeichnungen zu einem anderen Thema heraus. Für die aktuelle Ausgabe trafen sich die Spring-Frauen mit indischen Comic-Zeichnerinnen. Die Comic-Zeichnerin Barbara Yelin:
    "Das Thema waren bei dem Heft tatsächlich wir selber. Also worum es uns ging: Wie wollen wir uns weiterentwickeln und wohin? Thema war: Vorbilder, 'role models'. Und letztlich hat es einen neuen Titel gefunden - role models war uns dann zu steif. Und es hieß dann 'Elephant in the Room'. Was bedeutet: Dinge zu behandeln, die nicht ausgesprochen werden, aber im Raum stehen."
    Herausgekommen ist wieder ein bunter kreativer Mix. Die Comic-Zeichnerin Archana Sreenivasan aus Bangalore erzählt beispielsweise kritisch, aber sehr humorvoll über die familiären Zwänge in Indien: dass Frauen unbedingt heiraten müssen und Kinder bekommen sollen. Ihre Heldin, übrigens recht realistisch gezeichnet, aber weigert sich und wird von allen Seiten, von Verwandten, der Vermieterin bis hin zur Putzfrau gefragt, ob sie nun endlich schwanger sei - obwohl sie und ihr Mann sich gegen eigene Kinder entschieden haben.
    "Ja, mein Comic ist autobiografisch. Es wird allgemein angenommen, dass eine Frau eine Mutter sein will und dass es natürlich wäre, dass jede Frau Kinder haben will und sich auf ihre Mutterrolle freut. Diese Vorstellung existiert bis heute in Indien. Viele Geschichten in der Anthologie erzählen von kleinen Dingen, die uns wirklich stören. Und plötzlich erkennen wir, dass nicht nur wir damit hadern."
    Lustige und ernste Themen
    Bei "Spring" gehen die Zeichnerinnen mit viel Humor ans Werk. Sie waren erstaunt über die vielen Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel ist Haarentfernung bei Frauen in Indien genauso ein Thema wie in Deutschland. Wie überhaupt Schönheitsideale gerne aufs Korn genommen werden.
    Thema in vielen Comics ist aber auch, dass Frauen in ihrem Leben physische Gewalt erfahren haben. Die Inderin Priya Kuriyan blickt für ihren Comic tief in die eigene Familiengeschichte. Ihre Großmutter hatte erst am Ende ihres Lebens offenbart, dass sie sich einst von ihrem Mann scheiden ließ - weil er sie schlug.
    "Sie waren schon lange getrennt. Aber sogar meine Eltern wussten nichts von der Trennung. Ich denke, damals wurde die Trennung als etwas sehr Beschämendes betrachtet, besonders wenn du eine Frau bist. Deshalb hatte Großmutter ihr Geheimnis sehr lange bewahrt, nur um ihre eigenen Kinder vor dieser vermeintlichen Beschämung zu schützen."
    Die Comics der indischen Zeichnerinnen helfen, die Rolle der Frau in ihrer Heimat zu stärken. Deshalb ist auch eine Publikation in Indien geplant. Aber auch für deutsche Leser können die Zeichnungen aufschlussreich sein. Die Illustratorin Larissa Bertonasco ist eine der Initiatorinnen des deutsch-indischen Austauschs der Zeichnerinnen.
    "Ich finde, wenn man so in einer anderen Kultur ist und ganz viele Geschichten hört, von den Frauen in Indien, dass man natürlich auf seine eigene Geschichte zurückgeworfen wird. Sowohl auf die eigene Biographie als auch auf die eigene Kultur und merkt einfach, es sind ganz viele Dinge, die man als selbstverständlich ansieht, es vielleicht auch nicht sind. Es reflektiert auch die eigene Sicht auf die Welt."
    Zurückhaltender sind die indischen Zeichnerinnen aber keinesfalls in ihren Comics. Die indische Illustratorin Prabha Mallya belegt das sehr eindrucksvoll mit ihren holzschnittartigen freien Zeichnungen von einer Straßenhündin namens "Bitch" - zu Deutsch "Schlampe". Vergleicht man die indischen und deutschen Bildergeschichten, so ist da kein typisch westlicher oder gar östlich-folkloristischer Stil auszumachen.
    "Ich kann jetzt nicht sagen, da gibt es den indischen Stil oder Strich oder den deutschen. Ich glaub, da unterscheidet sich jede einzelne voneinander, individuell."