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Computerspiel "Occupy White Walls"
Der virtuelle Kurator

Kunstvermittlung mal anders: Das Computerspiel "Occupy White Walls" lädt Kunstinteressierte ein, sich virtuell eine Galerie zu bauen und dort Kunstwerke auszustellen. Die Spieler können eigene kuratorische Ansätze entwickeln und untereinander teilen.

Von Tobias Nowak | 19.07.2018
    Eine Szene aus dem Computerspiel "Occupy White Walls". Zu sehen ist eine antike Skulptur, die auf einem Podest steht. Sie wird in einer futuristisch anmutenden Galerie ausgestellt.
    In "Occupy White Walls" schlüpft der Spieler in die Rolle eines virtuellen Kurators (StikiPixels)
    Yarden Yaroshevski: "Momentan haben wir etwa 3.000 Gemälde in der Datenbank, tolle Sachen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Aber wir sind sehr ehrgeizig und planen, innerhalb des nächsten Jahres einige Millionen Kunstwerke online zu stellen."
    Yarden Yaroshevski, Gründer des kleinen Londoner Spielentwickler-Studios StikiPixels, berichtet vom aktuellen Zustand des Spiels "Occupy White Walls", in dem sich alles um Kunst drehen soll. Denn Yaroshevski und seine Mitstreiter sind der Meinung, dass die Kunst schon viel zu lange in den Museumsdepots der Welt eingesperrt ist:
    "Die meisten Museen stellen nur 5 oder 10 Prozent ihrer Sammlungen aus, alles andere liegt im Keller. Solange aber der Auftrag eines Museums lautet, Kunst auszustellen, ist dieser Ansatz nicht sehr wirkungsvoll."
    Spektakuläre Bauten
    "Occupy White Walls" soll dieses Problem lösen, denn alle User können sich in dieser virtuellen Umgebung ihre persönliche Kunstgalerie gestalten und ausstatten. Zwei Tätigkeiten machen damit auch den Kern des Spiels aus: Kunst anschauen und Galerien bauen. Obwohl "Occupy White Walls" bisher nur in der unvollständigen Beta-Version spielbar ist, wurden schon einige tausend Galerien von Usern geschaffen: Aus einer beeindruckend großen Sammlung von Architektur-Versatzstücken kann man das eigene Traummuseum zusammensetzen: Wände, Türen, Treppen, Fenster, Balkone, Fuß- und Deckenleisten, alles in verschiedenen Stilen, bilden zusammen einen Architektur-Baukasten, wie man ihn in Spielen selten sieht.
    "Viele Designer und Architekten kommen ins Spiel, und wir können beobachten, dass manche in ihren Galerien gar keine Kunst aufhängen, sondern nur die reine Architektur wirken lassen."
    Aber auch viele der Amateur-Galeristen lassen sich von den architektonischen Gestaltungsmöglichkeiten davontragen, in deutlichem Gegensatz zum klassischen, musealen "white cube". So hängen in manchen Galerien die Gemälde vor byzantinischen Tapetenmustern, an Glassäulen oder vor arabesken Kacheln. Hier zeigt sich die große Herausforderung, mit denen Architekten realer Museumsbauten konfrontiert sind: Einen spektakulären Bau schaffen, der gleichzeitig die Kunst wirken lässt. Aber Yarden Yaroshevski ist stolz, dass das nur die eine Seite von "Occupy White Walls" ist:
    "Viele Leute kommen erstmals zu uns, weil sie gestalten wollen, denn es ist ein richtig cooles Architektur-Game. Aber sie bleiben wegen der Kunst."
    Jeder Künstler verdient eine Gelegenheit
    Um sich eine "eigene" virtuelle Gemäldesammlung zuzulegen, kann man durch die in der Spieldatenbank hinterlegten Bilder stöbern, jedoch nicht willkürlich, sondern geleitet von der spieleigenen künstlichen Intelligenz "D.A.I.S.Y.". Sie schlägt Gemälde vor, die von den Usern kommentiert, geliked, oder – virtuell − für die eigene Kunstgalerie im Spiel gekauft werden können. "D.A.I.S.Y." steht für "Discover Art Intended Specifically for You" Übersetzt: "Entdecke Kunst, die genau für Dich gemacht ist". Die Entwickler von stiky pixels haben den Anspruch, dass D.A.I.S.Y. den Spielenden, je länger sie sich durch den Gemälde-Pool klicken, immer besser auf den individuellen Geschmack zugeschnittene Bilder vorschlägt, sowohl was den Stil angeht, als auch die Motivik. Eine Art Spotify für historische Gemälde. Allerdings soll "Occupy White Walls" bald auch sehr aktuelle Kunst bieten:
    "Wenn es mal gut läuft, wollen wir die Schleusen öffnen und allen erlauben, ihre eigene Kunst ins Spiel hochzuladen. Dabei wollen wir ausdrücklich nicht kuratierend eingreifen; das wird D.A.I.S.Y. übernehmen. Also selbst, wenn jemand ein Penis-Gemälde hochlädt, würde die künstliche Intelligenz das Bild nur Leuten vorschlagen, für die es aufgrund ihrer vorherigen Präferenzen relevant sein könnte. Einer unserer Slogans ist "Jeder Künstler verdient eine Gelegenheit."
    Demokratisierung des Kunstdiskurses
    Auffällig ist der Ton in den Kommentarbereichen, die jedes Gemälde und jede Galerie bietet: Nicht nur herrscht hier weitgehend eine im Netz heutzutage seltene Freundlichkeit, sondern der Umgang mit der Kunst ist auch unbefangen und natürlich. Da darf mal geschrieben werden: "Das ist aber ein tolles Blau", ganz ohne kunsthistorischen Überbau oder Fachbegriffe aus der Museumsdidaktik. Hier könnte "Occupy White Walls" tatsächlich zu einer Demokratisierung des Kunstdiskurses beitragen. Die Haltung von Yarden Yaroshevski, die sich gegen die Einkerkerung vieler Kunstwerke in Museumsdepots richtet, scheint jedoch auf dem Missverständnis zu beruhen, dass Museen "Ausstellungsmaschinen" sind. Entsprechend ist seine Wertschätzung von kuratorischer Arbeit und handwerklich gelungener Hängung gering. Aber Missverständnisse gehören für Yaroshevski dazu:
    "Eine der ersten Dinge, die man als Künstler oder Designer lernt, ist, dass die eigene Vision häufig völlig missverstanden wird. Auf einem unserer Poster, die man in den virtuellen Galerien aufhängen kann, steht sogar "Be misunderstood" – Sei missverstanden."