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Computerspiel "The Outer Worlds"
Futuristische Kapitalismus-Dystopie

Grell, bunt und zynisch: Das Computerrollenspiel "The Outer Worlds" entführt uns in eine Zukunft, in der sich der Kapitalismus zu Tode gesiegt hat. Eine Zukunft die nicht besonders lebenswert ist – aber dafür umso spielenswerter.

Von Christian Schiffer | 28.10.2019
Zu sehen ist ein Ausschnitt aus dem Computerspiel "The Outer Worlds". Der Spieler blickt aus der Ego-Perspektive auf eine magische Welt
Ein Screenshot aus dem Computerspiel "The Outer Worlds" (Obsidian Entertainment / Private Division)
Tja, was hat man uns nicht alles versprochen? Nachdem wir uns den Kälteschlaf aus den Augen gerieben haben, sollten wir auf einer wunderschönen Weltraumkolonie unser Tagewerk verrichten. Doch irgendetwas läuft schief. Und so stolpern wir offenbar ein paar hundert Jahre zu spät aus der Raumkapsel und statt blühender Weltraum-Landschaften empfängt uns eine pervertierte Ayn Rand-Utopie.
Die libertäre Philosophin und Erfolgsautorin predigte freien Markt und ungehemmten Kapitalismus, bei ihr sind zupackende Großindustrielle die eigentlichen Helden der Geschichte. Ganz anders im Rollenspiel "The Outer Worlds": Die Großindustriellen hier sind korrupt und moralisch verkommen. Und der Kapitalismus erfreut sich zwar eigentlich allerbester Gesundheit, leidet aber unter akuter Oligopolbildung und kann zudem nur noch selten richtigen Enthusiasmus bei den Menschen entfachen.
Auf der örtlichen Raumstation spult mancher Händler die Werbebotschaften so unmotiviert ab, wie ein Heizungsableser: "I can see all on a top quality merchandise in the spacers choice catalog which is available here at a reasonable price. Spacers choice regrets that we don't sell toothpaste at this time, but we're always working on delivering exciting new products to our customers."
Zukunft mit Groschenheft-Flair
Die bunte Welt in "The Outer Worlds" wirkt wie eine Mischung aus vergilbtem Quelle-Katalog und Pulp-Groschenheften aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Jenen Heften also, die damals vielversprechende Namen tragen wie "Air Wonder Stories", "Science Wonder Stories", "Amazing Stories" oder "Astounding - Stories of Super-Science" und damals eine ganze Generation von Science Fiction-Schriftstellern prägen werden, etwa Isaac Asimov.
Sie helfen vor allem jungen Männern dabei, sich in eine andere Welt zu, nun ja, zu beamen und das vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise und des aufkommenden Totalitarismus.
In "The Outer Worlds" wird diese Welt nun erlebbar, allerdings als zynische, kleine und gemeine Gesellschaftssatire. Unsere Aufgabe als Spieler ist es nun, das Sonnensystem aus den Klauen einer Gruppe zu befreien, die gemeinhin nur "Der Vorstand" genannt wird. Dabei sind wir nicht alleine, sondern scharen bald eine kleine Crew um uns. Mit dabei ist etwa die lesbische und asexuelle Mechanikerin Parvati, die sich unsterblich in die Kapitänin einer Raumstation verliebt: "It's like something out of a serial (…) I like the ones with grand romances and I think … I think, I don't know what to do about us….!"
Das zweitbeste Rollenspiel des Jahres
Solche kleinen Geschichten sind es, die das grell überzeichnete Universum von "The Outer Worlds" so lebendig erscheinen lassen und den Titel zu einem richtig guten Computerspiel machen. Und so müsste man wohl The Outer Worlds zum besten Rollenspiel des Jahres ausrufen, wenn, ja wenn nicht ausgerechnet vor Kurzem mit dem überragenden "Disco Elysium" schon das beste Rollenspiel des Jahres erschienen wäre.
Konkurrenz belebt eben das Geschäft und es ist eine gute Nachricht für das Medium Computerspiel, dass der Kapitalismus bei uns auf der Erde diesbezüglich besser funktioniert als in den unendlichen Weiten von "The Outer Worlds".