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Computerspiel "The Sinking City"
Ermittlungen im Wahn

Der Horror-Pionier H.P. Lovecraft gilt als umstrittener Autor. Jetzt nimmt sich ein Computerspiel seines Werkes an – ohne seine problematischen Seiten zu verschweigen. "The Sinking City" ist voll mit Rassismus und trotzdem, oder gerade deswegen, spielenswert.

Von Christian Schiffer | 02.07.2019
Der Horror-Schriftsteller H.P. Lovecraft
Der Horror-Schriftsteller H.P. Lovecraft (Imago)
Anfang des 20. Jahrhunderts, irgendwo an der Ostküste der USA. Der Privatdetektiv Charles Reed wird von Alpträumen geplagt, in denen düster-schleimige Kreaturen eine Hauptrolle spielen. Gerade ist er in Oakmont angekommen, hier irgendwo soll der Grund für die unangenehmen Visionen liegen. Dieses Oakmont ist eine seltsame Stadt, eine deprimierende Stadt, rostig, fischig, vernebelt, eine echte H.P. Lovecraft-Stadt eben. Auf der Straße irren apathische, unfreundliche und in sich gekehrte Menschen herum, manche von ihnen halbnackt und seltsam tätowiert. Außerdem ist halb Oakmont überflutet, manchmal kommt Reed nur mit dem Boot voran. Gleich nach seiner Ankunft der erste Fall.

"Niemand verlässt den Hafen, bis mein Sohn gefunden wurde und dabei bleibt es!"
"Verzeihen Sie, aber sind Sie Robert Throgmorton?"
"Ja, aber ich habe jetzt kein Zeit, gehen Sie!"
"Verzeihen Sie, ich heiße Charles Reed und bin gerade aus Boston angekommen. Man sagte mir, Sie könnten mir vielleicht helfen…"
"Privatdetektiv sagten Sie? Vielleicht können wir und gegenseitig helfen…"
Neuankömmlinge und Flüchtlinge werden verachtet
Der reiche Geschäftsmann Robert Throgmorton möchte, dass man seinen Sohn findet, soweit, so klassisch. Allerdings sieht dieser Robert Throgmorton aus wie ein Affe, andere Menschen in Oakmont haben hingegen die Züge von Fischen. "Innsmouther" werden die Fischähnlichen genannt, sie gehören zur niederen Gesellschaft und werden genauso verachtet, wie Neuankömmlinge.

"Diese fischgesichtigen Verrückten fallen in diese Stadt ein! Dreckige Migranten sind das, die schon die halbe Stadt an sich gerissen haben! Den Hafen, die Bezirke… sie sind einfach überall!"

H.P. Lovecraft selbst galt als Rassist und Antisemit, sein Horror ist auch eine Metapher für diffuse Ängste vor dem Außen, vor dem Fremden, vor dem Unverständlichen. In Lovecafts literarischer Vorlage sind die fischähnlichen Innsmouther verschlagene und mächtige Kreaturen, in "The Sinking City" mutieren Sie zu Flüchtlingen, die versuchen, sich einfach nur - nunja – über Wasser zu halten.
Das Spiel geht dabei clever mit dem lovecraftschen Horror um: Es verleugnet seine politisch fragwürdigen Elemente nicht, deutet diese aber um. Als Spieler wird man Zeuge von Hass und Ausgrenzung, und manchmal sogar selbst zum Ziel davon.

"Wenn Sie einfach nur Flüchtlinge wären! Sie haben angefangen für die hiesigen Fischer zu arbeiten und stellen sich gegen uns! Und die Verbrechensrate hat schwindelerregende Höhen erreicht! Ein stinkender Misthaufen ist das, der nur Ärger macht…!"
Das zur Zeit beste Lovecraft-Spiel
Unterdessen greift der Wahnsinn in Oakland weiter um sich. Charles Reed bekommt es mit glitschigen und bizarren Kreaturen zu tun, und mit seltsamen Kulten.
Als Spieler suchen wir Tatorte ab, recherchieren in Zeitungsarchiven und kämpfen mit dem Horror des Alltäglichen, der so typisch ist für H.P. Lovecraft. Monster können hier überall hervor kriechen, die Decke zwischen dem Übernatürlichen und der Realität ist wie gewohnt dünn.

Das ukrainische Spielestudio hinter "The Sinking City" verlangt dem Spieler für ein Spiel im Jahr 2019 zudem etwas fast schon Unerhörtes ab: Wir müssen uns selbst zusammenreimen, wo wir den nächsten Hinweis finden, den Protagonisten genau zuhören, das Spiel verzichtet auf allerlei Komfort, an den wir uns in den letzten Jahren gewöhnt hatten.
Das macht "The Sinking City" zu einem sperrigen Spiel, aber auch zu einem interessanten Spiel. Es ist kein Meisterwerk und sicherlich nicht das beste Computerspiel. Aber es ist das beste Lovecraft-Spiel.