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Constanze Kurz: Netzpolitik braucht mehr Weitblick

Heute geht das Jahrestreffen des Chaos Computer Clubs zu Ende. Mittlerweile habe sich ein Bewusstsein für die Risiken des Netzes auch im Alltag etabliert, meint Constanze Kurz, die Sprecherin des Clubs. Dennoch wünscht sie sich eine vorausschauendere Netzpolitik, die zukünftige Entwicklungen vorwegnimmt.

Constanze Kurz im Gespräch mit Anne Raith | 30.12.2011
    Anne Raith: Zwischen Frieden und Krieg liegt beim Chaos Computer Club nur ein Jahr, und beim Chaos Computer Club sind beide Begriffe auch mit einer ordentlichen Portion Ironie gewürzt. Vergangenes Jahr lud der Hacker-Verein unter dem Motto "We come in Peace", also "Wir kommen in Frieden" zum Jahreskongress. Dieses Jahr hieß es "Behind Enemy Lines", "Hinter feindlichen Linien". Vier Tage lang wurde in Berlin diskutiert, oftmals über sehr politische Themen: über Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner und über westliche Sicherheitssysteme, die Diktatoren nutzen. Ich habe mit CCC-Sprecherin Constanze Kurz gesprochen und wollte von ihr wissen, wie politisch der Chaos Computer Club eigentlich ist.

    Constanze Kurz: Ich denke schon, dass der Club eigentlich schon lange Zeit immer aus diesen zwei Fraktionen bestand: einmal diejenigen, die technisch ganz intensiv Software oder Hardware untersuchen, und dann noch diejenigen, die politisch die Technikfolgen versuchen abzuschätzen. Ich glaube, das ist auch eine große Stärke des Clubs, diese beiden Dinge zu vereinen. Insofern war der Club auch von Anfang an immer politisch.

    Raith: Ist denn auf der anderen Seite auch das Internet mit seinen Möglichkeiten, also die Netzpolitik im weitesten Sinne im politischen Leben angekommen?

    Kurz: Man merkt schon, gerade in diesem Jahr war das aus meiner Sicht sehr deutlich. Dass das alltäglicher geworden ist, dass auch alle Parteien mittlerweile Abgeordnete in ihren Fraktionen haben, die sich mit diesen oder jenen Techniken gut auskennen oder netzpolitische Sprecher haben. Letztlich ist ja auch der Erfolg der Piratenpartei durchaus ein Zeichen, dass Netzpolitik ein wesentliches Politikfeld geworden ist. Aber man sieht natürlich zum anderen auch, dass nicht unbedingt immer eine nachhaltige Politik passiert, dass Gesetzgebungsverfahren oft nicht nur, na ja, den aktuellen Rahmen, den man gerne politisch setzen will, abdecken, dass sie eben nicht weit genug hinausschauen. Da wünscht man sich manchmal ein bisschen mehr Weitblick.

    Raith: Zum Beispiel in welchem Fall?

    Kurz: Na, es gab ja eine große Debatte um die Netzneutralität, also die Frage: Unter welchen Bedingungen und zu welchen Konditionen dürfen Provider Inhalte, die übers Netz verschickt werden, diskriminieren oder priorisieren, irgendwie einschätzen. Und da ist natürlich schon, muss ich sagen, eine Debatte entstanden, die sehr stark nur auf die kommerziellen Interessen guckt und wenig …

    Raith: Sie sprechen die Debatte an um zum Beispiel kinderpornografische Inhalte, diese Seiten zu sperren?

    Kurz: Nein, die Netzneutralität ist ja eigentlich auch eher noch eine grundsätzlichere Frage. Die Netzsperren waren auch eine große Debatte, aber die Neutralität betrifft ja jeden Inhalt, und inwieweit auch kommerziell die Netze genutzt werden dürfen unter welchen Bedingungen. Die Netzsperren sind ja eigentlich nur ein Teilbereich, wo ja auch die Provider verpflichtet werden sollten. Aber gerade gestern ist ja das Netzsperren-Gesetz, was ja eigentlich Zugangs-Erschwerungs-Gesetz heißt, aufgehoben worden.

    Raith: Das heißt, Sie kritisieren sozusagen, dass zwar Einzelmaßnahmen getroffen werden in diesem aktuellen, in diesem speziellen Fall, aber nicht das große Ganze betrachtet wird.

    Kurz: Man sieht oft nicht die etwas langfristigen Auswirkungen, und man tut sich noch im politischen Raum schwer damit, abzuschätzen, wo Entwicklungen technisch hingehen werden und wo man da möglichst eben die Leitplanken setzen sollte. Und außerdem gibt es natürlich wie in anderen Bereichen in diesem Bereich auch eine starke Dominanz der wirtschaftlichen Interessen. Das sind wir natürlich aus anderen Bereichen ja auch gewohnt, aber die Netze sind natürlich in den letzten Jahren sehr stark kommerzialisiert worden.

    Raith: In welchem Bereich zum Beispiel?

    Kurz: Na, das betrifft einerseits die Dienste, die über das Netz benutzt werden, aber auch den Ausbau der Netze natürlich selbst. Wir sehen da schon aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung, aber auch der Bedeutung in allen anderen Bereichen der Gesellschaft, dass natürlich die Netze heute viel stärker auch im Fokus dieser wirtschaftlichen Unternehmen sind.

    Raith: Sie haben die Veranstaltung überschrieben "Behind Enemy Lines", also hinter den feindlichen Linien sozusagen. Das heißt, das Internet wird in vielen Bereichen immer noch mehr als Gefahr gesehen, als dass es als Chance begriffen wird?

    Kurz: Ich glaube schon, dass es eine gewisse Dominanz gibt, die Risiken zu sehen, was ja auch erst mal nicht falsch ist. Wenn man die Risiken sieht, kann man sich dagegen ja auch versuchen zu schützen. Dennoch sind natürlich auch aus unserer Sicht die Chancen weit größer, und wir versuchen, die ja auch stets zu nutzen.

    Raith: Befeuern Aktionen der Gruppe Anonymous diese Denkweise, indem die Gruppe Anfang der Woche aufmerksam gemacht hat auf sich durch Datenklau, eben dass ja Daten geklaut wurden und mit diesen Daten Geld an wohltätige Organisationen gespendet wurde?

    Kurz: Ja, aus meiner Sicht ist eigentlich Anonymous als Phänomen nur sehr schwer zu fassen. Denn wir haben ja in dem aktuellen Fall, wo es ja um die Daten des Anbieters Stratfor geht. Da haben wir ja zwei sehr unterschiedliche Aussagen: einmal ein recht glaubwürdiges Dementi, aber zum anderen eben auch ein Statement, wo eine andere Anonymous-Gruppe sagt, wir waren das, und aus diesen oder jenen Gründen. Es ist schwer zu sagen, ob das überhaupt mit Anonymous zu tun hat, denn das ist eine sehr konfuse Gruppe, die aber trotzdem, glaube ich, eine Form von virtuellem, digitalen Protest etabliert hat, der, glaube ich, in den nächsten Jahren uns begleiten wird. Das sind ja oft politische Aktionen. Dennoch ist aus der Sicht der Hacker-Ethik, die der Chaos Computer Club sich ja auch selbst gegeben hat, natürlich diese Aktion zu verurteilen, weil hier ganz klar auch Menschen geschädigt wurden, und private Daten sind halt zu schützen.

    Raith: Hat sich eigentlich in den vergangenen Jahren auch die Sichtweise auf den Chaos Computer Club geändert in der Politik? Sie beraten jetzt immerhin die Bundesregierung, sitzen in der Enquete-Kommission – nimmt man Sie ernster?

    Kurz: Na ja, aus meiner Sicht hat sich schon sehr stark dieses Außenbild gewandelt. Ich glaube aber auch andererseits, dass die ganze Expertise, auch eine technisch und wirtschaftlich unabhängige Expertise, die der Club bietet, wichtiger geworden sind, da einfach in allen Bereichen, mit denen man zu tun hat, in vielen Gesetzgebungsverfahren Techniken eine viel größere Rolle spielen. Und zusätzlich ist natürlich Computer, Mobiltelefone, all die Digitaltechnik in die Alltage eingezogen, auch bei den Wählern. Insofern, also es hat sich eigentlich eher die Welt um den Club herum stark verändert, aber wir sind natürlich, glaube ich, auch mehr geworden – also die Mitgliedschaft hat sich ja mehr als verzehnfacht –, wir sind aktiver. Und insofern sind es, glaube ich, zwei Veränderungen, die sich da so parallel zeigen.

    Raith: Heute steht ja wie immer ein Vorausblick an: "Nightmares 2012" ist der überschrieben. Können Sie schon verraten oder andeuten, was da laut Chaos Computer Club im Netz auf uns zukommt?

    Kurz: Ja, ist schwierig. Der Referent sitzt gerade neben mir. Ich weiß nicht, ob er schon was verraten darf, was in "Security Nightmares" wohl der wichtigste Punkt ist – nein, er schüttelt mit dem Kopf. Das wird, glaube ich, nicht vorher verraten.

    Raith: Es bleibt also auch heute noch spannend, wenn es um die Sicherheitsalpträume 2012 geht. Das war Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, dessen Jahrestreffen heute in Berlin zu Ende geht.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.