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Copa América
Das Herz des FIFA-Skandals

Im FIFA-Korruptionsskandal hat die USA die Auslieferung der in der Schweiz festgenommen Funktionäre beantragt. Ein Großteil der Anklage bezieht sich auf Deals in Nord- und Südamerika - besonders deren wichtigstes Turnier, der Copa América, steht im Fokus.

Von Carsten Upadek | 04.07.2015
    Fans der chilenischen Nationalmannschaft bejubeln den Finaleinzug ihres Teams bei der Copa América.
    Fans der chilenischen Nationalmannschaft bejubeln den Finaleinzug ihres Teams bei der Copa América. (Carsten Upadek)
    "Chi, Chi Chi, le, le le!" rufen die chilenischen Fans immer wieder und feiern den Siegtreffer gegen Peru im Halbfinale der Copa América 2015. "La Roja", die Roten stehen zum ersten Mal nach 28 Jahren wieder in einem Finale.
    In der gleichen Nacht Ende Juni feiern im Zentrum der Hauptstadt Santiago de Chile zehntausend Fans, als hätten sie die EM Südamerikas schon gewonnen.
    "Das ist phantastisch! Wir sind im Finale! So viele Jahre warten wir schon! Chile wird gewinnen!" Ein anderer: "Ein historischer Moment! Ein wahres Glück für das ganze Land!" Und sie sagt: "Das ist ein großer Triumph, der uns viel bedeutet und an dem wir wachsen. Ich bin überglücklich!"
    Noch nie hat Chile ein bedeutendes Turnier gewonnen
    Umso größer ist das Bedürfnis nach dem Titel. Die Erwartungen der oft fanatischen Fans haben viel mit chilenischer Identität zu tun, mit Nationalstolz und Abgrenzung gegenüber den südamerikanischen Nachbarn, sagt Professor Eduardo Santa Cruz. Er untersucht seit 30 Jahren Fußball als kulturelles Phänomen.
    "Der Fußball soll der Welt zeigen, dass wir groß sind, mächtig-, besser als die anderen. Nach meiner Meinung ist das aber eine relativ neurotische Einstellung."
    Dabei haben die Chilenen wenig Grund, sich minderwertig zu fühlen. Im Vergleich mit den südamerikanischen Nachbarn, ist das Land eines der entwickeltsten. Doch die Ressourcen sind ungleich verteilt, sagt Santa Cruz. Die chilenische Gesellschaft sei tief gespalten.
    "Wir haben alles privatisiert. Die Gesundheitsvorsorge, die Bildung, die Wohlfahrt, sogar den Fußball. Gesellschaftliche Teilhabe und Zugang zu sind extrem ungleich. Das birgt eine psychische Last, die in bestimmten Situationen durch Gewalt sichtbar wird. Eine davon ist der Fußball."
    Randale chilenischer Fans nach dem Finale
    Nach dem Spiel gegen Peru passiert im Zentrum von Santiago das, was in den letzten Wochen immer passiert bei chilenischen Siegesfeiern: einige Fans fangen an zu randalieren. Von allen Seiten rücken nun gepanzerte Polizeiwagen an und vertreiben die Menge mit Wasserwerfern und Tränengas.
    Nach dem Finale werden viel mehr Fans erwartet - zehntausende. Der Journalist Victor Ortega erwartet Schlimmes:
    "Das wird eine Katastrophe! Wahrscheinlich gibt es Verletzte oder sogar Tote. Chilenen kennen beim Feiern keine Grenze. Sie haben kein Maß. Das endet immer im Chaos. Der Grat dahin ist sehr schmal."
    Spannend wird nach dem Finale zwischen Argentinien und Chile noch etwas anderes: Wer überreicht dem Sieger feierlich die Medaillen und den Pokal? Denn die Chefs der Südamerikanischen Fußball-Konföderation Conmebol, die Organisatoren der Copa América, sind verschollen.
    Wartet auf mehr südamerikanische Fußball-Bosse Haft?
    Professor Santa Cruz: "Wird irgendwer die chilenische Präsidentin begleiten, wenn sie die Trophäe überreicht? Macht sie es allein? Das ist sehr ungewöhnlich! Man hört, die Bosse sind nicht in Chile, weil sie Angst haben, Interpol nimmt sie auf dem Flughafen fest. Gegen mehrere existieren internationale Haftbefehle."
    Wer auf der Liste der Strafverfolger steht - neben den 14 bereits angeklagten Sportfunktionären und -vermarktern - ist nicht bekannt. In der Anklageschrift der US-Behörden stehen jedoch 25 sogenannte "Mit-Verschwörer". Sieben von ihnen sind oder waren hochrangige Conmebol-Funktionäre. Obwohl für die Bosse Suiten im Luxushotel Grand Hyatt in Santiago gebucht sind, traf der Deutschlandfunk niemanden an. In seiner Heimat Uruguay sagte Conmebol-Vize Wilmar Valdez dem Sender "TNU":
    "In Chile ist selbstverständlich Party solange der Ball rollt - aber aus operativer Sicht, aus administrativer und finanzieller - gibt es in Wirklichkeit für die Conmebol nichts zu feiern."
    Denn die hat die weltweiten Rechte an der Copa América für 75 Millionen US-Dollar an den Sportvermarkter Datisa vergeben, aber nur gut die Hälfte des Geldes auch bekommen. Die Datisa-Chefs sitzen wegen des FIFA-Korruptionsskandals inzwischen in Haft und ihre Bankkonten sind eingefroren. Die Conmebol will nun die Prämien für die Siegermannschaften aus einer Notreserve bezahlen.
    100 Jahre Copa América - der ganz große Coup
    Die Fußball-Konföderation ist der Zusammenschluss aus den südamerikanischen Verbänden. Ihr widmet sich ein großer Teil der US-Anklageschrift. Die Conmebol-Bosse streichen laut FBI seit 25 Jahren Schmiergelder in Millionenhöhe ein - eine nicht ganz neue Erkenntnis für Fußball-Forscher Santa Cruz: "Das ist lange bekannt. Es ist nur nie bewiesen worden!"
    Das Premium-Produkt der Conmebol ist die Copa América: das drittgrößte Turnier der Welt nach WM und EM - und das älteste: nächstes Jahr feiert es sein hundertjähriges Bestehen. Zum Jubiläum wollten die Conmebol-Spitzen den ganz großen Coup landen, ein Multimillionen-Geschäft. Dafür verbündeten sie sich mit der Konföderation aus Nordamerika, der Concacaf. Deren damaliger Präsident Jeffrey Webb begrüßte die Gäste bei der offiziellen Verkündung am 1. Mai 2014 mit: "Willkommen zu diesem historischen Tag für Conmebol und Concacaf!"
    Webb war außerdem ein Stellvertreter und Vertrauter von FIFA-Präsident Sepp Blatter, der ihn gar als möglichen Nachfolger ins Gespräch brachte. Webb galt zunächst als Reformer und Saubermann.
    "Nach fast einem Jahrhundert können wir bestätigen, dass die Copa América die Einleitung zu dem war, was Fußball heute überall auf der Welt geworden ist und eine Blaupause für Internationale Turniere."
    110 Millionen Dollar Schmiergeld
    Eine teure Blaupause: der Sportvermarkter Datisa erwarb die weltweiten Rechte am Jubiläumsturnier und den drei regulären Copa Américas 2015, 2019 und 2023 für 352,5 Millionen US-Dollar. Außerdem versprach er den Funktionären von Conmebol und Concacaf 110 Millionen Dollar Schmiergeld. Darunter neun der zehn Verbandspräsidenten aus Südamerika.
    Nach der Presskonferenz 2014 in Miami trafen sich die Datisa-Chefs und berieten über das Schmiergeld-Schema. An einem Punkt sagte der Argentinier Alejandro Burzaco: "Das kann uns allen weh tun. Dafür gehen wir ins Gefängnis." Er sollte Recht behalten.
    Dass es die Copa América weiter geben wird, steht außer Frage. Zuviel Geld steckt dahinter. Offen ist bisher aber, wer zukünftig daran verdienen wird.