Freitag, 29. März 2024

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Corona als Unterrichtsthema
"Die ersten Schulbücher werden in zwei Jahren erscheinen"

Die Corona-Pandemie werde in Geschichts-Lehrbüchern für die Oberstufe ähnlich viel Platz bekommen wie der Zweite Weltkrieg, sagte der Schulbuchautor Frank Schweppenstette im Dlf. Schüler würden künftig beispielsweise lernen, wie unterschiedlich verschiedene Länder mit dem Virus umgegangen sind.

Frank Schweppenstette im Gespräch mit Sandra Schulz | 04.01.2021
Schulbücher der Westermann Druck- und Verlagsgruppe für das Fach Wirtschaft liegen auf einem Tisch.
Schon bald wird auch die Corona-Pandemie Eingang in Schulbücher finden (picture alliance/Hauke-Christian Dittrich)
Die Menschen werden aktuell Zeugen einer Zeit, die in das kollektive Gedächtnis eingehen wird: das Leben in der Corona-Pandemie. Ihren Platz in den Geschichtsbüchern hat die Pandemie sicher. Schon jetzt sammeln und sichten Autoren wie Frank Schweppenstette geeignete Materialen für Lehrbücher. Schweppenstette ist Geschichtslehrer, gibt Schulbücher heraus und hat bereits ganz konkrete Ideen für die Aufarbeitung und Umsetzung des künftigen Schulstoffs Corona.
Sandra Schulz: Sie sind ja schon konkret an der Arbeit – was ist die Planung, ab wann wird die Pandemie in den Schulbüchern vorkommen?
Frank Schweppenstette: Ja, wir haben geplant, dass wir die nächsten Bücher, die für die Sekundarstufe eins, sprich in diesem Fall für die Klassen neun und zehn herauskommen werden, so in etwa zwei Jahren erscheinen werden, das heißt, dass wir jetzt schon konkret Unterrichtsmaterialien sammeln. Wir sind natürlich mitten in der Pandemie nach wie vor, aber gleichwohl sammeln wir geeignete Reden beispielsweise oder auch natürlich Fotografien. Uns allen ist natürlich im Gedächtnis noch das Foto aus Bergamo beispielsweise oder das allabendlich in den Nachrichten auftauchende Zeichen oder Symbol für das Virus, das sich so in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat, ja nicht nur einer Nation, sondern in der ganzen Welt muss man sagen. Wir sind auf der Suche nach geeigneten Materialien, ich sammele die bereits, und ja, die ersten Schulbücher werden in zwei Jahren erscheinen.
Schulz: Jetzt im Moment haben wir ja jeden Tag so viel Material, dass man damit ein ganzes Buch vollschreiben könnte. Wie gehen Sie da vor bei der Auswahl?
Schweppenstette: Bei der Auswahl immer auf den Platz natürlich im Schulbuch schauen. Die meisten Geschichtsschulbücher arbeiten mit dem Doppelseitenprinzip, das heißt, links steht meistens ein sogenannter Verfassertext oder Schulbuchtext und rechts oder auf den nächsten Doppelseiten auch die Materialien. Materialien können sein Quellen, schriftliche Quellen aus der Zeit, Fotografien, Karikaturen beispielsweise. Wenn wir hier von einem Zeitraum sprechen, sagen wir mal, in 20 oder 25 Jahren, wenn wir zurückschauen auf die Zeit heute, dann erscheinen diese Texte dann natürlich für uns als historische Quellen. Das können Ansprachen sein von Regierungschefs beispielsweise oder auch große Kommentare in den großen Tageszeitungen, die sich fragen, hat Corona unsere Demokratie beispielsweise verändert, unsere Einstellung auch gegenüber Demokratie. So was könnte tatsächlich in ein Schulbuch dann kommen.
Das Foto zeigt eine Impfstoffdose von Pfizer-BioNtech.
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Schulz: Sie haben schon die ganz konkrete Schätzung genannt, dass Sie denken, dass es vier Doppelseiten ergeben könnte, wie kommen Sie auf diese Gewichtung?
Schweppenstette: Schulbücher werden nicht einfach so geschrieben. Es gibt Lehrpläne, die von den Kultusministerien in den Bundesländern verabschiedet werden. Diese sind meistens kompetenzorientiert formuliert, das heißt, es wird beschrieben, was hinten rauskommen soll, was sollen Schülerinnen und Schüler am Ende einer Doppeljahrgangsstufe oder einer Jahrgangsstufe können, und diese sind mal mehr oder mal weniger inhaltlich detailliert beschrieben. Die Schulbuchverlage und ihre Autorinnen und Autoren überlegen sich dann, wie können wir diese Kompetenzen, die dort recht abstrakt beschrieben werden, füllen, und da muss man immer abwägen, welchen Platz geben wir welchen Dimensionen. Also in diesem Fall im Fach Geschichte beispielsweise, wenn wir uns die Pandemie anschauen, auf jeden Fall große gesellschaftsgeschichtliche Themen würde ich jetzt als Autor stark machen.
Das ist zum einen der Blick auf die Welt, beispielsweise die Systemkonkurrenz zwischen den großen westlichen demokratischen Systemen und autoritär und autokratisch regierten Staaten wie beispielsweise China, Iran oder Russland. Dann würde man schauen, wie sind diese unterschiedlichen Systeme mit der Pandemie umgegangen, wie haben die versucht, die in den Griff zu bekommen, mit welchen Mitteln. Danach würde ich den Blick sicherlich auf Europa richten, weil es eine große Herausforderung für die Europäische Union ist die Verteilung der Hilfsgelder, der Unterstützungsgelder, auch die Solidarität der einzelnen Staaten in Europa untereinander. Und vielleicht der wichtigste Bereich ist der Blick auf unsere Gesellschaft. Stichworte sind hier Solidarität und auch Verantwortung sicherlich, die würde ich ganz nach oben stellen als Autor und dann versuchen, ikonische Bilder, die diese recht abstrakten Begriffe symbolisieren, zu finden.

"Den Umfang der Darstellung des Zweiten Weltkrieges"

Schulz: Okay, ich hab jetzt nicht genau mitgeschrieben, aber wir werden es ja schon in zwei Jahren bei Ihnen nachlesen können. Jetzt treffen sich logischerweise in den Geschichtsbüchern die historischen Ereignisse, Sie haben es auch gerade schon gesagt, also die Pandemie wird dann stehen vielleicht auch in Konkurrenz stehen, wenn wir um die Beschränkungen von Seiten und so weiter, wenn wir daran denken, wird in Konkurrenz stehen mit der deutschen Einheit, mit den Weltkriegen. Kann man das jetzt schon gewichten?
Schweppenstette: Ja, man kann es quantifizieren. Ich habe neulich mit meinem Redakteur tatsächlich vom Westermann-Verlag gesprochen, wie viel Doppelseiten wir denn diesem Thema widmen könnten für ein Buch, was in zwei Jahren dann auf den Markt kommen soll. Da sprachen wir dann von sechs bis acht Doppelseiten. Wenn man das vergleicht mit anderen größeren Themen, dann hätte das beispielsweise für die Oberstufe den Umfang tatsächlich der Darstellung des Zweiten Weltkrieges. Damit ist aber nicht einberechnet die Shoah, die hat einen eigenen großen Bereich der Darstellung, das sind weitaus mehr Seiten. Aber wir stecken ja noch mittendrin, wir können das nicht vorhersehen, welche Folgen das noch haben wird, auch globalgeschichtlich und auch ökonomisch. Falls das, was ich persönlich nicht glaube, aber sich weitaus verschlechtern wird, dann wird das sicherlich vom Umfang weitaus größer werden. Es kommt drauf an, auf welche Dimensionen wir gucken – Gesellschaftsgeschichtlich, globalgeschichtlich, politikgeschichtlich.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Schulz: Es spricht viel dafür, dass wir im Moment in einer Zeit leben, die auch eine Zeit für die Geschichtsbücher ist, das läuft im Hintergrund natürlich mit auch. Wie interessieren Sie in diesen Zeit Ihre Schülerinnen und Schüler für das, was ja eigentlich Ihr Fach ist, das, was war, die Geschichte?
Schweppenstette: Das kann man machen, indem … Ganz konkret mache ich das mit meinen Schülerinnen und Schülern im Leistungskurs Geschichte in Köln, wenn ich sie frage, welche Begriffe aus der Pandemie, aus der jetzigen, aus der Gegenwart ihnen so ins Gedächtnis gebrannt sind, dass man die in 20 Jahren einer anderen, also der nächsten Schülergeneration vorlegen könnte. Was wäre denn wichtig, welche Bilder bleiben hängen, welche Begriffe, auch welche Namen bleiben hängen, und die notiere ich mir dann. Genannt worden sind von meinen Schülern beispielsweise jetzt ganz konkrete Namen. Jeder kennt den Namen mindestens zweier Virologen – Drosten und Streek, Frau Brinkmann –, aber auch natürlich die Maskenbegriffe wie Maskenpflicht, Abstand, Social Distancing. Das sind Begriffe, mit denen wir vorher so nicht viel anfangen konnten, auch natürlich Homeoffice. Aber wenn wir uns überlegen, in 20 Jahren wird das Homeoffice wahrscheinlich eine ganz große Selbstverständlichkeit sein, und wir werden dann als Historiker und Historikerin dann zurückgucken und sagen, ja, das hat so einen Schub gegeben in der Zeit, in der sich die Menschen doch isolieren mussten, um das Virus zu bekämpfen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.