Donnerstag, 18. April 2024

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Corona-Impfstoff
„Eine schnellere Zulassung ändert nichts an der Pandemie-Situation“

Noch mehr Tempo bei der Zulassung des Corona-Impfstoffes ist nach Ansicht von Wolf-Dieter Ludwig nicht sinnvoll. „Ich befürchte eher, dass die Impfskepsis der Bevölkerung dann zunimmt“, sagte der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft im Dlf.

Wolf-Dieter Ludwig im Gespräch mit Jasper Barenberg | 15.12.2020
Blick in den Wartebereich des Impfzentrums in Köln. Zu sehen ist ein Schild mit der Aufschrift "Impfzentrum" und viele leere Stühle, die auf Abstand zueinander aufgestellt sind.
Damit Impfzentren wie dieses in Köln irgendwann einen hohen Zulauf bekommen, müsse die Bevölkerung möglichst genau über die Impfstrategie aufgeklärt werden, sagte Wolf-Dieter Ludwig. (Picture alliance: Jens Krick – Flashpic )
Über die Debatte, dass Deutschland und die EU bei der Zulassung eines Impfstoff den USA und Großbritannien hinterherhinkten, zeigte sich Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), irritiert. Schließlich handele es sich bereits um eine beschleunigte Zulassung, die von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) voraussichtlich ausgesprochen wird. Zudem gebe es in Großbritannien und in den USA ausschließlich Notfallzulassungen.
"Ich denke, die vier Wochen, die die EMA jetzt für diese Prüfung der Unterlagen, insbesondere aus der Phase III – der letzten klinischen Phase – dieses Impfstoffes benötigt, sollte man ihr auch geben", sagte Ludwig, der auch als Vertreter der europäischen Ärzteschaft Mitglied der EMA ist.
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"Ich glaube nicht, dass wir der Öffentlichkeit einen Gefallen tun, wenn wir jetzt zu sehr aufs Gaspedal drücken, wir wollen ja am Ende ein großes Vertrauen in diesen Impfstoff haben", so der Mediziner.

Impfskepsis durch Transparenz abbauen

Derzeit seien etwa 50 Prozent der Bevölkerung skeptisch, sagte Ludwig. "Und um dieser Impfskepsis zu begegnen, sollten wir auch alle verfügbaren Daten aus den Zulassungsstudien öffentlich zugänglich machen und eine Diskussion führen über Sinn und Zweck der Impfstrategie. Nur so werden wir erreichen, dass wir dann am Ende die meisten Leute wirklich impfen und auch irgendwann mal eine sogenannte Herdenimmunität erreichen."
Eine noch frühere Zulassung des Impfstoffes – beispielsweise am 23. Dezember – bezeichnete Ludwig als ein "schönes Weihnachtsgeschenk, vielleicht auch an die Politik", das aber am Verlauf der Pandemie und an der Durchführung der Impfungen nichts ändern werde.
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Das Interview in voller Länge
Jasper Barenberg: Professor Ludwig, was halten Sie von dieser Debatte rund um die Frage, wie lange wir noch auf diesen Impfstoff warten müssen, wann die europäische Behörde diesen Impfstoff zulassen wird?
Wolf-Dieter Ludwig: Ich bin ehrlich gesagt etwas irritiert über diese Debatte, weil es handelt sich ja bereits um eine beschleunigte Zulassung, die von der Europäischen Arzneimittel-Agentur ausgesprochen wird. Ich denke, die vier Wochen, die die EMA jetzt für diese Prüfung der Unterlagen, insbesondere aus der Phase III, der letzten klinischen Phase, dieses Impfstoffes benötigt, sollte man ihr auch geben. Ich glaube nicht, dass wir jetzt, wenn wir eine Woche früher eine Zulassung haben, irgendetwas sich an der Pandemiesituation ändert, im Gegenteil: Ich befürchte eher, dass die Impfskepsis in der Bevölkerung zunimmt, wenn man immer wieder auf das Tempo drückt und sagt, wir wollen jetzt sofort eine Zulassung haben, nur weil in Großbritannien und in den USA eine Notfallzulassung ausgesprochen wurde. Ich halte das für nicht angemessen.
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Barenberg: Sie sagen nur deswegen, weil eben in den USA und in Großbritannien man gewissermaßen einen Schritt weiter ist. Verstehen Sie aber nicht Menschen, die auf die täglichen Meldungen der Todesfälle schauen, sich da Sorgen machen und sagen, wenn es Behörden mit einem so guten Ruf wie die FDA in den Vereinigten Staaten oder die Behörden in Großbritannien, wenn es denen gelingt, diesen Impfstoff als sicher und zuverlässig zuzulassen, warum braucht dann die EMA in Europa mehr Zeit?
Ludwig: Gut, zunächst sollte man noch mal ganz klar betonen, sowohl in Großbritannien als auch in den USA handelt es sich um Notfallzulassungen. Die EMA spricht für Gesamteuropa eine sogenannte bedingte Zulassung aus, das sind Zulassungen für Arzneimittel, die in Krisensituationen die öffentliche Gesundheit bedrohen, so wie das natürlich in dem aktuellen Fall der Pandemie auch der Fall ist, und man bei diesen Zulassungen natürlich noch nicht umfangreiche Daten zur Langzeitwirksamkeit und Sicherheit hat – deshalb diese bedingte Zulassung.

Noch viele offene Fragen hinsichtlich des Impfstoffs

Ich persönlich glaube, dass das ein vernünftiges Verfahren ist, weil wir sehr viele offene Fragen hinsichtlich des Impfstoffes haben, der jetzt zugelassen werden soll, aber auch hinsichtlich der beiden anderen Impfstoffe, die sich in fortgeschrittenen Phasen der klinischen Prüfung befinden. Ich glaube nicht, dass wir der Öffentlichkeit einen Gefallen tun, wenn wir jetzt zu sehr aufs Gaspedal drücken, weil wir wollen ja am Ende ein großes Vertrauen in diesen Impfstoff haben. Wir wollen, dass wir als Ärzte mit unseren Patienten vernünftig darüber kommunizieren können und vor allen Dingen alle wesentlichen Fragen zur Wirksamkeit und Sicherheit auch beantworten können. Dafür brauchen wir eine gründliche Beurteilung. Schauen Sie, es sind etwas mehr als drei Wochen, die die EMA jetzt wahrscheinlich benötigen wird für die Zulassung. Das ist sehr, sehr schnell und ist auch nur möglich, weil man halt dieses Rolling-Review-Verfahren hat, in dem man quasi bereits während der klinischen Studien Daten auswertet.
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Barenberg: Das wird ja dann auch noch weitergeprüft in den nächsten Monaten, ich würde mal sagen in den nächsten Jahren, nehme ich an, je mehr Forschungsergebnisse dann auch reinkommen, sobald geimpft wird. Ich wollte Sie aber noch fragen, wenn Sie sagen, es soll gründlich sein, es soll natürlich sicher sein – Sie sagen, Notfallzulassung wäre nicht der richtige Weg –, können Sie dann für alle, die das vielleicht annehmen, ausschließen, dass es nur deswegen etwas länger dauert, weil es eben in Europa immer darum geht, dass sich 27 Mitgliedsstaaten organisieren müssen und dass bisher wir immer alle gelernt haben, am 29. Dezember frühestens kann man sich zusammensetzen. Spielt da Bürokratie und Langlauf durch die europäischen Mechanismen da keine Rolle?
Ludwig: Aufgrund meines Einblicks auch in die Tätigkeit des Managementboards und der EMA kann ich das definitiv ausschließen. Dieser Termin am 29. Dezember mit diesen 27 europäischen Staaten, die dann die Zulassung aussprechen, ist nicht der entscheidende Termin. Der entscheidende Termin ist, dass die Fachleute in der EMA und die hinzugezogenen Fachleute anderer Zulassungsbehörden in Europa sich die Unterlagen wirklich sehr gründlich anschauen und dann ihr Votum treffen. Das heißt, es ist nicht Bürokratie, im Gegenteil, gerade bei der Zulassung dieses Impfstoffes ist die Bürokratie weitgehend heruntergefahren worden vor dem Hintergrund der Bedrohung dieser Pandemie, und ich halte das auch für absolut vertretbar.

Noch schnellere Zulassung ändert nichts an der Durchführung der Impfungen

Barenberg: Wir haben jetzt aktuell eben die Ankündigung von Jens Spahn, zumindest hat er in den Raum gestellt, dass es möglicherweise – Sie haben das auch schon angedeutet – dann statt dem 29.12. der 23.12., ein Tag vor Weihnachten, sein könnte. Wie müssen wir uns das erklären – das ist ja auch noch nicht bestätigt von der EMA, aber wenn es so kommen sollte, dass man eine Woche vorher dann zur Tat schreiten kann –, wie ist das gekommen?
Ludwig: Ich kann mir das schwer erklären. Es ist sicherlich natürlich ein schönes Weihnachtsgeschenk und vielleicht auch für die Politik dann ein schönes Geschenk, wenn man so schnell die Zulassung bekommen hat, aber es wird am Verlauf der Pandemie, es wird vor allen Dingen an der Durchführung der Impfungen nichts verändern. Schauen Sie, wir haben derzeit die Situation, dass wir diese Impfzentren aufbauen, das ist eine enorme logistische Aufgabe. Wir haben große Schwierigkeiten bei diesem Impfstoff aufgrund der erforderlichen minus 70 Grad und der Logistik, die damit zusammenhängt. Ich denke, das muss in Ruhe vorbereitet werden, und ich wiederhole noch mal sehr gerne: Wir müssen ein großes Vertrauen in diese Impfung haben in der Bevölkerung. Derzeit sind etwa 50 Prozent skeptisch, und um dieser Impfskepsis zu begegnen, sollten wir auch alle verfügbaren Daten aus den Zulassungsstudien öffentlich zugänglich machen und eine Diskussion führen über Sinn und Zweck der Impfstrategie. Nur so werden wir erreichen, dass wir dann am Ende die meisten Leute wirklich impfen und auch irgendwann mal eine sogenannte Herdenimmunität erreichen, das heißt erreichen, dass die Pandemie gestoppt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.