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Corona-Krise
Die Rückkehr der Geister

Geisterspiele, Geisterkonzerte, Geisterflüge. Die menschliche Gesellschaft stellt ihren Betrieb vorübergehend ein und macht Platz für die Geister. Die begleiten die Menschheit seit ihren Anfängen – und ihre massenhafte sprachliche Rückkehr zeigt, welches Ausmaß die Coronakrise hat.

Von Christian Röther | 18.03.2020
Figur mit Bettlaken und Schlitzen für die Augen als Gespenst. Der Schauspieler Casey Affleck in dem US-amerikanischen Spielfilm "A Ghost Story" aus dem Jahr 2017
Fühlt er sich gerade bestens unterhalten? Schauspieler Casey Affleck in dem US-amerikanischen Spielfilm "A Ghost Story" aus dem Jahr 2017 (picture alliance / ZUMA Press / Entertainment Pictures / )
Nach allem, was wir wissen über die Anfänge der menschlichen Kulturen, gehörten Geister von Anfang an dazu. Naturgeister in Bäumen, Felsen oder Tieren. Dann die Geister der Toten, der Ahnen.
Als die Gesellschaften dann komplexer wurden, passten sich die Geister an. Es entstanden abstrakte Konzepte, wie der Geist Gottes, der über dem Chaos schwebt, als in der Bibel die Welt erschaffen wird.
Doch die modernen Gesellschaften drängten die Geister mehr und mehr in den Hintergrund – quasi wie von Geisterhand. Ganz verschwunden sind sie aber nie. Das sieht man schon an unserer Sprache. Unzählige Begriffe und Redewendungen gibt es mit dem Bestandteil "Geist".
Entertainment für Geister
Früher geisterten Geisterschiffe über das Meer, dann Geisterfahrer über die Autobahn. Jetzt, in Corona-Zeiten, gibt es sogar Geisterflüge. Leere Flugzeuge, die umherfliegen, damit die Fluggesellschaften ihre Startrechte nicht verlieren. Ist das geistlos, ein Zeugnis geistiger Armut? Manche würden vielleicht sogar sagen: Das ist geistesgestört, geisteskrank.
Aber in der Corona-Krise werden Geister nicht nur umhergeflogen. Die Krise und die Geister sind Brüder im Geiste. Denn der Geist ist willig, es wird gehandelt: Es gibt Geisterspiele, Geisterkonzerte, Geistershows. Geistliche feiern sogar Geister-Gottesdienste. Ein ganzes Entertainmentprogramm nur für die Geister.
Die sind also auch in unserer modernen Gesellschaft noch da, und nun wird ihnen wieder gehuldigt. Opferte man ihnen früher Pflanzen, Tiere oder sogar Menschen, opfern wir ihnen heute das Rheinderby Gladbach gegen Köln, oder das James Blunt-Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie. Wir Menschen sind bei diesen Events nur im Geiste dabei.
Wann werden wir die Geister wieder austreiben?
Der öffentliche Raum wird so zum geistreichen Geisterhaus. Das ist jetzt der Zeitgeist - doch für wie lange? Denn unsere Gesellschaft wird wohl kaum den Geist aufgeben oder ihren Geist aushauchen. Und die wachen Geister ahnen schon: Wir haben sie jetzt gerufen, doch wir werden sie schon bald wieder austreiben. Vielleicht in ein paar Wochen, vielleicht in einigen Monaten. Vielleicht können Geisteswissenschaftler den Zeitpunkt schon berechnen.
Schluss also mit den Geistern, bevor sie uns auf den Geist gehen. Nur das noch: Das Wort "Geist", es kommt aus dem mittel- und althochdeutschen. Und es bedeutet ursprünglich: Erregung und Ergriffenheit. Und genau das macht die Corona-Krise ja mit uns: Sie wühlt uns auf, sie hat von uns Besitz ergriffen.
Passt also gut, dass wir nun so viel von Geistern sprechen. Und es führt uns vor Augen, wie tief diese Krise unsere Gesellschaft getroffen hat. Denn aus den Tiefen – den Tiefen des kulturellen Gedächtnisses – aus diesen Tiefen hat die Krise die Geister befreit.