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Corona-Krise
Ein Virus namens Apokalypse

Nicht nur in sozialen Medien fällt in Zeiten der Corona-Epidemie immer öfter der Begriff "Apokalypse". Dabei hat die aktuelle Entwicklung mit der biblischen Apokalypse kaum etwas gemeinsam. Experten raten, sich von Erzählungen vom Weltuntergang nicht anstecken zu lassen.

Von Christian Röther | 20.03.2020
Geisterhaft wirkende Zombies wandeln über eine Wiese.
Wenn heute der Begriff Apokalypse fällt, denken viele an Zombies, Seuchen oder den nuklearen Winter (Imago / Prod.DB)
"Es gibt allgemein die Idee, dass die Veranlagung zur apokalyptischen Deutung von Krisenzeiten eine zutiefst menschliche Veranlagung sei, und dass deswegen auch immer wieder Phänomene als apokalyptisch gedeutet worden sind", sagt Alexander-Kenneth Nagel.
Nagel ist an der Universität Göttingen Professor für sozialwissenschaftliche Religionsforschung. Er befasst sich auch mit apokalyptischen Stimmungen und Bewegungen.
"Corona-Apokalypse"
Aktuell muss er dafür nur ins Internet schauen, in die Sozialen Netzwerke. Dort fällt massenhaft das Schlagwort "coronapocalypse" - Corona-Apokalypse:
"Ich war überrascht von dem, was sich dahinter verbarg. Weil das nämlich überwiegend satirische Einlassungen sind von Usern. Insbesondere zum Thema Klopapier. Zum Thema ‚Was macht Ihr denn so zu Hause?‘"
Nagel: "Dass die Apokalypse etwas Komödiantisches haben kann, das – würde ich sagen – ist eher etwas modernes."
"Das Gericht Gottes über die Welt"
Der Begriff Apokalypse kommt ursprünglich aus der Bibel – genauer: aus dem letzten Buch des Neuen Testaments, der Offenbarung des Johannes.
"Das letzte Buch der Bibel ist darauf gerichtet, das Gericht Gottes über die Welt zu beschreiben", so Jens Schröter. Er ist Professor für Neues Testament an der Humboldt-Universität Berlin:
"Die Welt wird in schrecklichen Ereignissen zugrunde gehen, die dort in mehreren Visionsschilderungen erzählt werden."
Jens Schröter ist an der Humboldt-Universität Berlin Professor für Neues Testament
Jens Schröter ist an der Humboldt-Universität Berlin Professor für Neues Testament (privat)
Das verstehen die meisten Menschen wohl auch heute unter der Apokalypse: das Ende der Welt. Dabei geht die biblische Geschichte ganz anders weiter.
Schröter: "Am Ende steht die Vision von einem neuen Himmel und einer neuen Erde und einem neuen Jerusalem. Also die Sicht dieses Buches ist, dass die gegenwärtige Welt vergehen muss, und dass eine neue Welt an deren Stelle treten muss."
Die Apokalypse wird verkürzt
Die Bibel wollte den Menschen damit keine Angst machen, sagt der Theologe Jens Schröter, sondern ganz im Gegenteil:
"Diese Art von Literatur zielt darauf, zu schildern, dass das Ende der Geschichte darin enden wird, dass Gott den Sieg davonträgt. Und zwar so, dass er das Böse vernichtet und etwas Gutes an dessen Stelle setzt. Dass er die Sünder bestraft und die Gerechten belohnt."
Die biblische Erzählung von der Apokalypse sollte den Menschen also Hoffnung machen – Hoffnung auf ein göttliches "Friedensreich". Denn diese Schrift richtete sich an die junge christliche Gemeinde. Sie wurde im Römischen Reich verfolgt.
Schröter: "Wenn heute landläufig von Apokalypse als einem Schreckensereignis gesprochen wird - oder auch in Filmen oder so als Apokalypse etwas bezeichnet wird, was den schrecklichen Untergang beschreibt, dann ist das natürlich etwas viel Verkürzteres als das, was die jüdische und die christliche Literatur mit diesen sogenannten apokalyptischen Schriften meint."
"Auf den Weltuntergang beschränkt"
Der Begriff Apokalypse kommt aus dem Griechischen. Er bedeutet ursprünglich auch nicht "Weltuntergang", sondern "Enthüllung" oder "Offenbarung". Doch diese Bedeutung hat "Apokalypse" heute eben weitgehend verloren. Das beobachtet auch der Religionswissenschaftler Alexander Nagel:
"Was Soziologen und Kulturwissenschaftler immer wieder beschrieben haben, ist, dass die moderne Apokalyptik – oder auch Post-Apokalyptik – diese Vorstellung eines Friedensreichs nicht mehr hat, sondern die apokalyptische Deutung vor allem auf die Katastrophe und den Weltuntergang beschränkt. Diese Form der sogenannten ‚kupierten Apokalypse‘ - wie Klaus Vondung das genannt hat – ich denke, das trifft auch ganz gut die Wahrnehmung einiger Zeitgenossen von den Prozessen, die wir jetzt gerade haben."
Alexander-Kenneth Nagel ist Professor für Religionswissenschaft an der Universität Göttingen
Alexander-Kenneth Nagel beobachtet eine inhaltliche Verkürzung des Apokalypse-Begriffes (D.Teetz)
Die Corona-Krise als moderne Apokalypse. Der Begriff fällt nicht nur in den Sozialen Netzwerken, sondern auch in den etablierten Feuilletons. Und auch wenn oft Humor dabei ist und Ironie: Eine Krise wie die aktuelle lässt viele Menschen offenbar ziemlich schnell zu dem alten biblischen Begriff greifen.
Die Apokalypse als Komplexitätsreduktion
Doch warum haben apokalyptische Vorstellungen auch heute noch Konjunktur, wenn Unheil droht – in unserer säkularen und angeblich rationalen Gesellschaft? Alexander Nagel nennt zwei Erklärungen:
"Die eine ist, dass in modernen, differenzierten Gesellschaften die ganzen Prozesse für den Einzelnen immer uneinsehbarer werden und immer unübersichtlicher werden. Da gibt es die eine These, dass Apokalypsen in modernen Gesellschaften die Zentralperspektive zurückbringen, indem sie die Komplexität der ganzen Gesellschaften auf eine Dualität projizieren: gut und böse, krank/gesund zum Beispiel."
"Angstlust"
Die Apokalypse als Komplexitätsreduktion. Das liegt nahe bei einem Virus, das selbst die kaum verstehen, die sich auskennen.
Nagel: "Es gibt auch eine psychoanalytische Deutung, warum Menschen sich immer wieder apokalyptischen Erzählungen aussetzen, und das ist die Idee der ‚Angstlust‘, die der Psychoanalytiker Balint vertreten hat – die Idee, dass sich Menschen ganz gezielt einer fundamentalen Angsterfahrung aussetzen, um dann gestärkt und gekräftigt daraus hervorgegangen zu sein. Wie so eine Art Katharsis. Und ich glaube, das macht die Faszination der apokalyptischen Terminologie in Zusammenhang mit Katastrophen-Pandemien, wie wir sie heute erleben, aus."
"Aus der Zeit das Beste machen"
So verbreitet sich Weltuntergangsstimmung, auch wenn gar kein Weltuntergang droht. Alexander Nagel hat viele solche apokalyptischen Phänomene untersucht. Sein Tipp: Wie kommt man gut durch "apokalyptische Zeiten"?
Nagel: "Gerade in Zeiten von Social Media sollte man sich nicht zu stark mit den Untergangs- und Katastrophenwahrnehmungen der anderen beschäftigen. Schlicht und ergreifend deswegen, weil natürlich die schweigende Masse, die jetzt gerade in Ruhe ihr Ding macht und im Garten sitzt und keine Katastrophenwahrnehmung hat, natürlich der viel größere Anteil der Bevölkerung ist. Deswegen: in den eigenen Routinen bleiben, neue Routinen aufbauen und aus der Zeit einfach das Beste machen, scheint mir die beste Strategie zu sein."