Dienstag, 19. März 2024

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Corona-Maßnahmen
"Es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche in die Schule gehen können"

Erneute Schulschließungen in Deutschland müssen nach Ansicht von Stefanie Hubig, Präsidentin der Kultusminister und Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz, unbedingt vermieden werden. Das Recht auf Bildung werde am besten im Präsenzunterricht umgesetzt - und das habe oberste Priorität, sagte sie im Dlf.

Stefanie Hubig im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 22.10.2020
21.08.2019, Rheinland-Pfalz, Mainz: Stefanie Hubig (SPD), Ministerin für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz, spricht während der Plenarsitzung des Landtags Rheinland-Pfalz. Foto: Arne Dedert/dpa | Verwendung weltweit
Stefanie Hubig (SPD), Ministerin für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz (picture alliance/dpa/Arne Dedert)
Die Schulen sollen in der Corona-Pandemie so lange wie möglich geöffnet bleiben. Eines der Patentrezepte gegen Viren im Klassenzimmer heißt dabei: lüften. Auch die Maskenpflicht wird in einigen Bundesländern wieder eingeführt. Die Präsidentin der Kultusminister und Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz, Stefanie Hubig, betonte im Dlf noch einmal, dass Kinder und Jugendliche nicht die Treiber der Pandemie seien. Das Recht auf Bildung müsse deshalb weiter Priorität haben. Man müsse dafür sorgen, dass der Betrieb in Schulen und Kitas auch bei weiteren Einschränkungen so gut wie möglich weiterlaufen könne.
Kein bundesweiter Automatismus
Der Lehrerverband kritisiert diese Haltung. Man habe jedoch den Gesundheitsschutz der Menschen in Schulen im Blick, sagte Hubig. Die Situation vor Ort sei unterschiedlich. Dort, wo es das Infektionsgeschehen notwendig mache, müssten die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. "Einen Automatismus im Sinne von 'alle müssen das Gleiche machen' halten wir nicht für richtig.
Schülerinnen und Schüler sitzen mit Maske und Laptop im Schulunterricht. 
Schulen in NRW - Besser Lüften und zurück zur Maskenpflicht
Nordrhein-Westfalen führt nach den Herbstferien die Maskenpflicht im Unterricht wieder ein. Das betrifft Schüler ab der fünften Klasse. Zudem gibt es von der Landesregierung 50 Millionen Euro für Luftreinigungsanlagen. Opposition und Lehrerverbänden reicht das nicht.

Das Interview im Wortlaut:
Münchenberg: Frau Hubig, über 11.200 neue Infektionsfälle innerhalb eines Tages meldet das Robert Koch-Institut heute Morgen. Wie bedrohlich ist damit auch die Situation für Schulen und Kitas geworden?
Hubig: Wir sehen natürlich auch genau wie alle Menschen in diesem Land die Entwicklung der Infektionszahlen mit großer Sorge, wir sehen aber auch, dass die Kinder und jungen Jugendlichen nicht die Treiber der Pandemie in Schulen sind. Deshalb haben wir auch am vergangenen Freitag uns mit Blick auf die Zahlen – das war ja auch ein Stück weit absehbar, dass die weiter steigen – noch mal darauf geeinigt, dass das Recht auf Bildung einfach Priorität haben muss in dieser Situation. Es ist eine andere Situation als im März, und wir müssen dafür sorgen, dass auch, wenn es weitere einschränkende Maßnahmen gibt, die Schulen, die Kitas möglichst in der Situation ihren Betrieb weiter haben können, dass Kinder und Jugendliche ihr Recht auf Bildung in der Schule im Präsenzunterricht verwirklichen können.
"Wir haben den Gesundheitsschutz der Menschen im Blick"
Münchenberg: Vom Lehrerverband, muss man sagen, kommen da aber ganz andere Töne, Zitat: Schulen sollen auf Teufel komm raus offengehalten werden. So drastisch hat das Lehrerverbandschef Meidinger formuliert.
Hubig: Das ist keinesfalls der Fall. Wir haben natürlich den Infektions- und auch den Gesundheitsschutz der Menschen, die in Schule sind – Lehrerinnen und Lehrer genauso wie die Schülerinnen und Schüler –, mit im Blick, das ist völlig klar, aber wir sehen natürlich auch, dass die Situation vor Ort unterschiedlich ist. Wir halten Schulen nicht auf Teufel komm raus offen, sondern wir kümmern uns darum, dass dort, wo das Infektionsgeschehen es notwendig macht, dass dort die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, dass wir aber nicht einfach eine Maßnahme für alle drüberlegen. Wir brauchen die Schulen, und wir wissen auch, dass wir ganz viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer haben, die genau das auch so sehen. Sie wollen ihre Schülerinnen und Schüler im Präsenzunterricht haben, weil wir auch wissen, dass das für Schülerinnen und Schüler eben auch psychische Folgen haben kann, mit Blick auf die sozialen Entwicklung es wichtig ist, dass sie in Schule lehren, lernen können.
Münchenberg: Also ist diese Wortmeldung von Herrn Meidinger sozusagen eine Minderheitenposition.
Hubig: Ich nehme die Lehrerinnen und Lehrer in Rheinland-Pfalz anders wahr. Sie sind sehr verantwortungsbewusst, da kann ich jetzt nur für meine Lehrerinnen und Lehrer sprechen. Sie sind sehr verantwortungsbewusst, und sie haben den Präsenzunterricht nach den Ferien, nach den Sommerferien sehr gut umgesetzt. Wir starten am Montag wieder, nach den Herbstferien, und wir haben genau ein Auge darauf. Wir haben an einzelnen Orten, wo wir hohe Schwellenwerte haben und wo die Situation vor Ort zum Beispiel diffus ist, wie hier in der Stadt Mainz, haben wir ab Montag auch die Maskenpflicht in weiterführenden Schulen angeordnet. Wir tun das zusammen mit den örtlichen Behörden, mit einer Taskforce, die vor Ort die Situation genau anguckt, dann eben auch passgenau, weil wir wirklich wollen, dass natürlich wichtige Maßnahmen ergriffen werden, dass auch Prävention betrieben wird, aber wir wollen auch nicht überschießend reagieren.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Wechselunterricht stellt Eltern und Schüler vor große Herausforderungen
Münchenberg: Frau Hubig, nun hat sich nicht nur der Lehrerverband kritisch zu Wort gemeldet, auch die Lehrergewerkschaft GEW hat betont, mit dem Wechselunterricht, also halb in der Schule, halb zu Hause, habe man eigentlich ganz gute Erfahrungen gemacht.
Hubig: Ja, da haben wir andere Erkenntnisse. Wir sehen natürlich, dass bei älteren Schülerinnen und Schülern, die sozusagen vollständig selbstbestimmt lernen können, viele Schülerinnen und Schüler mit der Situation gut umgehen konnten. Aber wir sehen auch, dass dieser Wechselunterricht, das heißt also eine halbe Woche oder eine ganze Woche im Wechsel zu Hause zu sein, natürlich auch die Eltern vor extrem große Herausforderungen stellt und für die Schülerinnen und Schüler schwieriger ist, als wenn sie einen geregelten Tagesablauf im Präsenzunterricht in der Schule haben.
Münchenberg: Nun empören sich aber auch manche darüber, dass jetzt alle 20 Minuten stoßgelüftet werden soll, das sei für Lehrer wie Kinder im bevorstehenden Winter eigentlich unzumutbar. Was sagen Sie diesen Kritikern?
Hubig: Wir sehen, dass die Schulen auch damit gut umgehen können vor Ort und dass sie einfach sich auf diese Situation, die in der Pandemie anders ist, als sie es im letzten Jahr noch war, das ist ja gar keine Frage, dass sie mit der Situation aber gut umgehen können. Wenn man nach 20 Minuten drei bis fünf Minuten die Fenster weit aufmacht zum Stoßlüften, dann sinkt die Zimmertemperatur ungefähr zwei bis drei Grad, das heißt, das sind jetzt auch keine erschreckend kalten Verhältnisse. Wir brauchen einfach die frische Luft, weil wir auch den CO2-Austausch brauchen, und das funktioniert gut und da können die Schulen auch gut mit umgehen.
"Einen Automatismus halten wir nicht für richtig"
Münchenberg: Aber da hört man ja auch immer wieder, dass in vielen Klassenzimmern die Fenster überhaupt nicht zu öffnen seien, also sprich, man kann diese Vorgabe gar nicht erfüllen.
Hubig: Wir haben in unserem Rahmenhygieneplan der Kultusministerkonferenz klar festgelegt, da, wo nicht stoßgelüftet werden kann, so wie das Umweltbundesamt uns das empfiehlt, da können Klassenräume auch nicht gebraucht werden. Man kann dort, wo zum Beispiel nur eine Kipplüftung möglich ist, ergänzend Luftreinigungsgeräte, mobile Luftreinigungsgeräte einsetzen, wenn der Unterrichtsraum gebraucht wird. Aber es ist richtig, wenn nicht gelüftet werden kann, können Unterrichtsräume nicht genutzt werden.
Münchenberg: Nun sind die Zahlen ja trotzdem auf Deutschland bezogen insofern dramatisch, dass eben immer mehr Regionen zu Krisenregionen werden. Nordrhein-Westfalen hat jetzt zum Beispiel ab der fünften Klasse wieder die Maskenpflicht eingeführt. Wäre es dann nicht sinnvoll angesichts eben steigender Corona-Infektion, in ganz Deutschland eine solche Regelung eigentlich bundesweit einzuführen?
Hubig: Wenn wir auf die Karte gucken, die auch das Robert Koch-Institut immer wieder veröffentlicht, dann sehen wir, dass die Farben sozusagen und die Flecken in Deutschland sehr unterschiedlich sind. Einen Automatismus im Sinne von, alle müssen das Gleiche machen, halten wir nicht für richtig. Wir haben in Rheinland-Pfalz eine Taskforce, die zusammentritt aber einer Inzidenz von 35, und dann wird vor Ort genau beraten, wie das Infektionsgeschehen aussieht. Es macht ja auch einen Unterschied, ob Sie ein Infektionsgeschehen in einem abgetrennten Betrieb haben oder eines, das sich sozusagen komplett durch die Bevölkerung entwickelt, und da werden passgenau dann auch entsprechend die Maßnahmen getroffen. Ich glaube, dass das der bessere Weg ist, weil wir auch mit Augenmaß vorgehen müssen, und wir müssen auch immer rechtfertigen, dass die Maßnahmen, die getroffen werden, verhältnismäßig sind. Natürlich ist es wichtig, Prävention zu betreiben, gar keine Frage, aber wir müssen in unsere Entscheidung eben auch verschiedene weitere Faktoren miteinbeziehen und auch diese Entscheidung begründen können.
"Recht auf Bildung hat oberste Priorität"
Münchenberg: Frau Hubig, Sie haben am Anfang des Interviews gesagt auch noch mal, Schulen so lange wie möglich offenhalten, aber was sind eigentlich solche Bekenntnisse wert, wenn ja doch am Ende ständig über Schulschließung geredet wird oder zumindest auch über eine Einschränkung des Unterrichts, und das kommt ja oft eben auch von der Politik, Stichwort zum Beispiel Verlängerung Weihnachtsferien.
Hubig: Ich denke, was sich gegenüber dem März deutlich verändert hat, ist, dass wir insgesamt in der gesamten Gesellschaft das Bekenntnis dazu haben, dass das Recht auf Bildung am besten im Präsenzunterricht umgesetzt wird und dass es vorrangig sein muss und dass es eine hohe, wenn nicht sogar – für uns hat es eine klare oberste Priorität, und das hat sich deutlich verändert. Dass wir natürlich auch bei dem Infektionsgeschehen immer die verschiedenen Maßnahmen im Blick haben müssen, so wie das Robert Koch-Institut das auch empfiehlt – Maskenpflicht bei weiterführenden Schulen, bei kleineren auch die Frage, muss man irgendwann Klassen teilen, muss man feste Kohorten bilden, muss man, so wie es ja jetzt auch in Bayern passiert ist, da wo das Infektionsgeschehen vielleicht sehr hoch ist, auch zeitweilig wieder Schulen schließen –, all diese Maßnahmen müssen wir in Erwägung ziehen. Aber ich glaube, es macht keinen Sinn – und davon sind wir Kultusministerinnen und Kultusminister überzeugt –, einfach zu sagen, wir gehen jetzt nur auf die sichere Seite, machen alles zu, und dann gehen wir wieder auf Anfang so wie im März. Wir sehen, dass die Kinder und die Jugendlichen, die jungen Jugendlichen, nicht die Treiber der Pandemie sind. Wir sehen auch in Rheinland-Pfalz bei unseren Zahlen, dass das Infektionsgeschehen sich nicht maßgeblich in den Schulen abspielt, dass es keine Hotspots sind. Wir beobachten das natürlich weiter, das tun übrigens auch die anderen Länder, wir haben alle ähnliche Erfahrungen in unterschiedlichen Graden, aber die Erfahrungen sind die gleichen, und wir sehen das und wir werden natürlich immer auch Maßnahmen entsprechend nachsteuern. Aber es ist so wichtig, dass Kinder und Jugendliche in die Schule gehen können, dass auch Eltern diese Planungssicherheit haben, dass man im Präsenzunterricht miteinander lebt und lernt, dass wir das nicht einfach, ich sag mal, hintendran stellen können und sagen können, das ist uns egal, wir machen einfach überall die Schulen dicht. Das kann nicht sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.