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Corona-Proteste
Krishna und die Krise

Die Krishna-Bewegung ist in den 1960er Jahren bekannt geworden – auch durch Stars wie die Beatles. Jetzt taucht ihr Mantra bei den Corona-Protesten wieder auf. Doch die größte Krishna-Gruppe distanziert sich. Ein anderer Krishna-Prediger sieht die Krise als Chance, viele Menschen zu erreichen.

Von Christian Röther | 14.09.2020
29.08.2020, Berlin: Teilnehmer eines Protests gegen die Corona-Maßnahmen tanzen vor dem Brandenburger Tor. Foto: Christoph Soeder/dpa | Verwendung weltweit
Teilnehmer des Protests gegen die Corona-Maßnahmen tanzen am 29. August 2020 vor dem Brandenburger Tor (dpa)
Die sogenannten Corona-Proteste vereinen seit Monaten ganz unterschiedliche Menschen und Milieus. Aber dass Ende August in Berlin am Brandenburger Tor "Hare Krishna" gesungen wurde, ein Mantra zu Ehren des Hindu-Gottes Krishna - das hat dann doch so manchen überrascht.
Wer ist "Harry Krischner"?
So erging es auch Peter Wilke, 19 Jahre jung und Reporter der Bild-Zeitung:
"Hier tanzen die Menschen, singen 'Harry Krischner, Harry Krischner'. Das sind Harry-Krischner-Jünger. Ich persönlich kenne ihn nicht. Meine Kollegen haben mir aber gerade von ihm berichtet. Er soll eine berühmte Persönlichkeit sein, wohl nicht mehr aus meiner Zeit. Aber ja, sie singen hier 'Harry Krischner, Harry Krischner' und feiern diese Demonstration heute, die sie hier abgehalten haben."
Einige spotteten danach über den Reporter, weil er "Hare Krishna" beziehungsweise "Harry Krischner" für eine reale Person hielt. Aber in den sozialen Netzwerken meinten auch viele: Hare Krishna, dieses Mantra muss man heute nicht mehr kennen.
Immerhin ist es inzwischen schon ein halbes Jahrhundert her, dass die Hare-Krishna-Bewegung entstand, im Westen populär wurde und in den Fußgängerzonen sang und tanzte. Heute ist es deutlich ruhiger geworden um diese neue religiöse Bewegung.
Was sagt die Bewegung zu den Corona-Maßnahmen?
Warum also taucht das Mantra nun ausgerechnet im Kontext der Corona-Proteste wieder auf? Der Deutschlandfunk hat nachgefragt bei der bekanntesten Gruppe der Krishna-Szene, der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, kurz ISKCON.
Esoterik, Rechtsextreme und Proteste In den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen schließen sich unterschiedliche Milieus gegen "die da oben" zusammen, beobachtet der Religionswissenschaftler Andreas Grünschloß.

"Wir würden keine Mantra-Gesänge am Rande von Demonstrationen oder in Demonstrationszügen aufführen", sagt Kalyana Giriraja das, Pressesprecher von ISKCON in Deutschland und Österreich. Seinen bürgerlichen Namen möchte er lieber nicht im Radio hören. Aber ihm ist wichtig: Die ISKCON, also die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein, war es nicht, die bei den Corona-Protesten ohne Masken und Mindestabstand "Hare Krishna" gesungen hat:
"Wir achten in unseren Tempel sehr auf die Einhaltung der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie. Und vor allem: Innerhalb unserer ISKCON in England, in dem größten dortigen Tempel, sind mehrere Todesfälle aufgrund von COVID-19 aufgetreten. Deshalb fühlen wir uns besonders verpflichtet, das wirklich optimal in unseren Einrichtungen umzusetzen."
Die Berliner ISKCON hat auch eine offizielle Erklärung veröffentlicht, in der sie sich von den Corona-Protesten distanziert.
Wer hat am Brandenburger Tor "Hare Krishna" gesungen?
Wer also hat am Brandenburger Tor das Mantra angestimmt und die Aktion organisiert? Die Recherche führt zu einem Akteur der Krishna-Szene, der sich mit vollen Ehrentiteln Mahatma Sri Prem Prayojan Prabhu nennt. Er hat vor dem Mantra-Singen eine Rede auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor gehalten, und ein Video mit einem Auszug aus dieser Rede hat er auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht.
Prayojan: "The calamity, that is falling upon us now, is because in the last 50 years or more our society has become more and more materialistic." Übersetzer: "Die Katastrophe, die uns nun schlägt und nun straft, kommt deswegen, weil wir, unsere Gesellschaft immer mehr materialistisch geworden ist."
Es tobe eine Schlacht zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und Satan, verkündete Prayojan auf Englisch.
Prayojan: "It is an epic battle between God and Satan."
Wie passt das Mantra zu den Protesten?
Wer ist dieser Prem Prayojan? Wir haben nachgefragt bei mehreren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zu Hinduismus und/oder neuen religiösen Bewegungen forschen. Doch sie alle antworten in etwa so wie der Bild-Reporter:
"Ich persönlich kenne ihn nicht."
Ein Grund dafür: Die Krishna-Szene sei inzwischen ausgesprochen vielfältig und komplex, es gebe nicht mehr nur die ISKCON.
"Die Krishna-Szene hat sich vor allen Dingen seit den 1990er Jahren sehr stark erweitert im Westen", sagt Frank Neubert.
Meditation als Protestform
Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen sieht man sie inzwischen in vielen deutschen Städten: Menschen, die öffentlich meditieren. Etwa "für das Grundgesetz" und "gegen Impfzwang", wie sie selbst sagen.
Neubert ist Religionswissenschaftler, Dozent an der Universität Luzern in der Schweiz und gilt als einer der besten Kenner der Krishna-Szene. Ähnliches wie in Berlin hat er zuvor auch schon in Zürich beobachtet: Bei Corona-Protesten sangen manche "Hare Krishna", und die Züricher ISKCON distanzierte sich. Wie aber passt das Mantra zum Corona-Protest? Neubert:
"Ich glaube, inhaltlich geht es denen zunächst mal tatsächlich darum, die Gelegenheit zu nutzen - die offenbar günstige Gelegenheit zu nutzen, möglichst viele Leute anzusprechen mit Krishna-Bewusstsein. Mit dem Mantra, mit der Verteilung von Büchern und Schriften."
Gab es zuvor bereits ähnliche Krishna-Aktionen?
Ähnliche Aktionen von Krishna-Gruppen seien auch schon früher zu beobachten gewesen, so Neubert, denn:
"Das erste und wichtigste Ziel ist die Verbreitung des Namens von Krishna. Und das haben auch in der Frühzeit die Anhänger der ISKCON gemacht in den USA. Und die sind dafür zum Teil auch in die Kritik geraten, dass sie sich wirklich an allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten beteiligt haben, um Krishna-Bewusstsein zu verbreiten."
Inzwischen distanziert sich die deutsche ISKCON nicht nur von solchen Aktionen, Frank Neubert erkennt auch weitere Anzeichen dafür, dass ISKCON sich gemäßigt und institutionalisiert hat. Das deckt sich mit dem Selbstverständnis der ISKCON, wie es deren Pressesprecher zum Ausdruck bringt:
"Wir sind hier im Land Berlin auf unterschiedlichsten Ebenen quasi anerkannt im Kanon der etablierten Religionsgemeinschaften."
Warum spricht ein Krishna-Anhänger bei den Corona-Protesten?
Es gibt aber eben auch noch andere Gruppen in der Krishna-Szene. Etwa eine Berliner Gruppe, die sich "Hindugemeinde e.V." nennt. Sie hat zu der Aktion am Brandenburger Tor aufgerufen - zumindest findet sich ihr Name auf einem entsprechenden Aufruf, den der spätere Redner Prem Prayojan bei Facebook verbreitet hat.
Auf eine Interviewanfrage reagierte diese Gemeinde nicht – Prem Prayojan allerdings schon. Bei Facebook schreibt er von "lügenden Medien", die "fake news" verbreiten würden über die Corona-Proteste. Einem Interview mit dem Deutschlandfunk per Skype willigt er aber ein. Warum hat er am Brandenburger Tor gesprochen?
"We see that many people are dissatisfied and upset about various issues."
Viele Menschen seien derzeit unzufrieden und verärgert, sagt Prem Prayojan, und seine Rolle sei es, zum Frieden zwischen den verschiedenen Gruppen beizutragen - auf der Basis einer spirituellen Perspektive.
Wer ist der Redner vom Brandenburger Tor?
Prem Prayojan gibt an, 1969 in Großbritannien geboren zu sein. Er lebe heute in Indien, sei aber viel in der Welt unterwegs. Unter anderem habe er in verschiedenen Ländern Einrichtungen gegründet, die Chaitanya-Akademien, mit denen er Krishna-Bewusstsein verbreiten wolle.
Prayojan ist im interreligiösen Dialog engagiert und hat dafür in verschiedenen Ländern Auszeichnungen erhalten. Das lässt sich überprüfen. Sein Engagement bei den Corona-Protesten erklärt er so:
"All the problems of life have their roots in the absence of the consciousness of God, you see?"
Die Wurzel aller Probleme: Es fehle das Gottesbewusstsein, meint Prayojan – also das Krishna-Bewusstsein. Dieses Bewusstsein habe er am Brandenburger Tor verbreiten wollen.
Verbreitet sich mit dem Gesang auch das Corona-Virus?
Wer das aber ohne Masken und Mindestabstand tut, der verbreitet eben nicht nur Krishna-Bewusstsein, sondern möglicherweise auch ein gefährliches Virus. Oder sieht Prayojan das anders?
"Well you know, that's a debate and there are many opinions on that."
Das sei eine Debatte mit unterschiedlichen Meinungen, sagt Prayojan. Er wolle sich aber gar nicht beteiligen an der Diskussion darüber, welche Maßnahmen richtig seien und welche falsch – denn er sei kein Wissenschaftler. Ihm gehe es um die spirituelle Entwicklung der Menschen. Und diese Veranstaltung sei eben eine wundervolle Gelegenheit gewesen, um viele Menschen zu erreichen.
"This particular opportunity was a very wonderful opportunity to reach many people. So as far as we are concerned it was a great success."
Wie viele Menschen waren bei den Corona-Protesten?
Ein großartiger Erfolg sei das gewesen. Denn er habe dort vor zwei Millionen Menschen gesprochen, schreibt Prayojan auf Facebook. Laut Behördenangaben waren bei den Berliner Corona-Protesten vom 29. August insgesamt 38.000 Menschen versammelt.
"Well, I just went with the numbers that were given by the organizers themselves."
Er habe sich eben an den Zahlen der Veranstalter orientiert, so Prayojan – der auch sonst nicht spart an Ausschmückungen und Superlativen. Und dann betont er noch, wie wichtig es sei, dass die Menschheit sich befreie von der – so wörtlich – "Tyrannei des empirisch-logisch-positivistischen Weltbildes".
"Once we become free from the tyranny of the empirical logical-positivist world-view."
Wogegen richtet sich der Mantra-Gesang?
Am Ende seiner Rede am Brandenburger Tor rief er die Menschen dazu auf, zu singen und zu tanzen.
"Singing and dancing in the glorification of God." "Dann kommt mit uns. Wir werden heute den heiligen Namen singen. Schließt Euch uns an." "By this all the bad karma of globalism will be washed away." "Dadurch wird all das schlechte Karma des Globalismus von uns weggewaschen werden."
Und so sangen und tanzten sie gegen Globalismus und Materialismus, gegen moderne Wissenschaft und Maskenpflicht. Doch genauso, wie laut Umfragen nur eine Minderheit der Gesamtbevölkerung die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie ablehnt, so sind auch diese Krishnas nur eine Minderheit innerhalb der Krishna-Bewegung. Sie nutzen eine Pandemie, um ihre Botschaft zu verbreiten.