Freitag, 29. März 2024

Archiv

Corona und die Seele
"Mich hat Bidens Rede berührt"

Joe Biden hat in seiner ersten Rede als gewählter Präsident der USA von der Seele Amerikas gesprochen. In der Coronakrise stärker auf emotionale Aspekte zu achten, würde auch Deutschland guttun, meint der Theologe Peter Dabrock. "Wir dürfen uns heilen lassen", sagte er im Dlf.

Peter Dabrock im Gespräch mit Andreas Main | 09.11.2020
Peter Dabrock, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Ethikrats
Peter Dabrock, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Ethikrats (imago)
Peter Dabrock, Jahrgang 1964, ist evangelischer Theologe, Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er war bis April 2020 Vorsitzender des Deutschen Ethikrats.
Andreas Main: Herr Dabrock, viele haben mitgezittert in der vergangenen Woche, wie die Wahlen ausgehen in den USA. Wir beide auch. Nun hat Joe Biden in seiner ersten Rede als President-elect die Bibel zitiert, auch ein Gebet. Er hat von der Seele Amerikas geredet und davon, die gegenseitige Dämonisierung beenden zu wollen. Gleichzeitig setzt er eine rationale, von Wissenschaftlern begleitete Pandemiebekämpfung ganz oben auf die Liste. Könnten wir auch ein bisschen was gebrauchen von dieser Mischung aus Ratio und Pathos in Corona-Zeiten?
Peter Dabrock: Ja, jedes Land hat seine eigenen Traditionen. Die Amerikaner sind da vielleicht ein bisschen anders als wir. Dort ist es ja viel üblicher, auch Gott, was immer auch darunter dann verstanden wird, in Reden zu erwähnen, und - lassen wir die letzten vier Jahre weg - auch Rationalität, auch technische Rationalität immer wieder einzuklagen.
Joe Biden feiert gemeinsam mit seiner Familie den Sieg über Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl 2020
Joe Biden sprach in seiner ersten Rede als gewählter Präsident der Vereinigten Staaten von einer Heilung der amerikanischen Seele (imago images / UPI Photo)
Dennoch glaube ich, dass Sie da auf einer ganz guten Spur sind: zu sagen, dass wir uns da vielleicht ein bisschen was abschauen könnten. Denn das, was wir oder viele - bei aller Nüchternheit, die wir ja auch an der Vorgehensweise der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin schätzen - doch auch ein wenig vermissen, das ist dieser Appell an das Gemeinwohl, an den Zusammenhalt. Und zwar nicht nur auf eine rationale, sondern auch auf eine emotionale Art und Weise. Und da hat Biden mich jedenfalls in dieser breiten Kombination dessen, was er in der Rede angesprochen hat, schon auch berührt.
Solidarität der Jugend mit den Älteren
Main: Was wäre denn die Seele unseres Landes? Was droht durch Covid-19 krank zu werden jenseits der tragischen Einzelfälle?
Dabrock: Also, was mich in den hinter uns liegenden Monaten, was die Gesamtbevölkerung anbetrifft, unglaublich beeindruckt hat, ist auf der einen Seite die Bereitschaft, viele Maßnahmen mitzutragen. Wir haben ja noch immer - Leipzig hin, Leipzig her – eine große Akzeptanz der Maßnahmen, vor allen Dingen der Basismaßnahmen.
Was ich auch immer wieder beeindruckend finde, ist die Solidarität, die man bereit ist, wechselseitig zu üben. Und da fand ich vor ein, zwei Wochen sehr interessant eine Studie, die insbesondere die Solidarität der jüngeren Generation mit der älteren Generation noch einmal ganz deutlich unterstrichen hat - ganz im Gegensatz zu dem, was immer gesagt wird, dass es da nur um Party und schönes Leben ginge.
Natürlich will man ein gutes Leben haben, will auch Freude haben. Aber man hat jedenfalls in weiten Teilen in der Jugend auch eine Sensibilität, für die Sorgen und auch Verletzlichkeiten der älteren Generation, sprich auch der Hochrisikogruppen.
Deutscher Pessimismus: "Wir kritisieren erstmal"
Main: Sie haben jetzt gerade die Solidarität hervorgehoben. Sie haben nicht beantwortet, was sozusagen die Krankheit der Seele unseres Landes ist.
Dabrock: Die Krankheit - angesichts der gerade von mir genannten Stärken - besteht vielleicht darin, dass wir bisweilen eine Tendenz haben, dass wir das Wasserglas halbleer und nicht halbvoll sehen, während man bei Kamala Harris hört: "Jetzt hat jedes Mädchen die Chance, alles zu werden." Man blickt nach vorn.
Corona als Kreuzwegerfahrung - "Es ist wichtig, eine Form des Andenkens an die Krise zu finden"
Holger Zaborowski, Philosophieprofessor in Erfurt, plädiert dafür, schon jetzt darüber nachzudenken, wie wir uns später an die Erfahrung von Leid und Hilfe erinnern wollen.
Während wir in Deutschland sehr häufig die Tendenz haben, nicht zu sehen, was wir alles Großartiges geschafft haben. Auch wenn man sich beispielsweise den Umgang mit der Pandemie, die ja alle Länder trifft, anschaut, stehen wir - auch, was die gesamte Organisation anbetrifft - in Deutschland sehr, sehr gut da.
Aber wir kritisieren erstmal. Wir finden erstmal das Haar in der Suppe, statt auch die großen Leistungen, die hier von so vielen Menschen - Helden des Alltags und Verantwortlichen auch in der der großen Politik - geleistet werden. Also, da könnten wir ein bisschen mehr uns und anderen Mut zusprechen angesichts dessen, was wir wirklich alles schon geschafft haben.
"Möglichst alle mitnehmen"
Main: Peter Dabrock, ich bleibe noch ein bisschen beim Haar in der Suppe. Welche Fehler sollten in den kommenden Wochen und Monaten nicht noch mal gemacht werden in der Pandemiebekämpfung hier in Deutschland aus ethischer Sicht?
Dabrock: Aus ethischer Sicht ist es wichtig, dass wir möglichst alle mitnehmen - sowohl was die Maßnahmen betrifft als auch das Nachdenken über die Maßnahmen. Dass wir einen noch breiteren, einen organisierten zivilgesellschaftlichen Diskurs über den weiteren Verlauf der Pandemie führen.
Menschen in Pflegeheimen - "Fatale Folgen für Alte"Zur Abschottung von Altenheimen sagte der Soziologe und Theologe Reimer Gronemeyer im Dlf: "Viele Menschen sind daran kaputtgegangen, dass sie nicht besucht werden konnten."
Ich habe den Eindruck, dass die Defizite, die wir in dem ersten sogenannten Lockdown – es war ja kein vollständiger Lockdown - hatten, auch damit zu tun hatten, dass bestimmte Gruppen, insbesondere diejenigen, die Menschen in verletzlichen Situationen vertreten haben, so nicht hinreichend gehört worden sind. Da habe ich ein Defizit in der zivilgesellschaftlichen Resonanz wahrgenommen. Da müssen wir besser werden.
Und das wird nicht besser, wenn man sagt: Naja, es kann sich ja heute quasi jeder über Facebook, Twitter und sonst wie artikulieren, sondern ich glaube, dass auch vonseiten der Politik eine Holschuld da ist, sich darum zu kümmern - jenseits der bekannten Expertenzirkel, was es an Expertisen vor Ort gibt, um diese wirklich extrem schwere Situation am gemeinsam zu gestalten.
"Wir sind in einer Hochrisiko-Situation"
Main: Ich verstehe Ihr Plädoyer für mehr Diskurs. Jetzt mal noch konkreter: Die Freiheitsrechte aller zu beschränken, wenn doch klar ist, dass Infektionen dort passieren, wo Menschen in großer Zahl sich nicht an Regeln halten, also bei Demonstrationen wie in Leipzig am Wochenende, bei Großhochzeiten, bei Massenpartys. Da aber alle zu treffen, anstatt das Konkrete zu adressieren - ist das ethisch in Ordnung?
Dabrock: Das einfache Patentrezept ist nicht zu finden. Wenn wir den Eindruck hätten, wir könnten ein einfaches Patentrezept umsetzen, dann müsste man schon an der Grenze zum Verschwörungstheoretiker sein, wenn man behaupten würde, das wird jetzt nicht umgesetzt.
Es gibt natürlich immer ein Problem zwischen allgemeinen Regeln und konkreten Umsetzungen. Das Ziel muss sein, einen Weg zu finden, bei dem man möglichst zielgenau die gefährlichsten Orte und Verbreitungswege identifiziert und die anderen Grundrechte, insbesondere die der Freiheit, der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit möglichst wenig belastet.
Ich glaube, wir sind zurzeit jenseits dessen - da kann ich Ihnen nur zustimmen, was Sie gerade als Events identifiziert haben - in einer Situation, in der wir ja im Grunde in großen Teilen des Landes schon in einer Dunkelrot-Situation sind. Ich bin mal gespannt, welche Farbe in der Ampel als Nächstes gefunden wird, um jenseits des Dunkelrots noch immer irgendwelche Differenzierungen als Anreiz für Maßnahmen zu finden.
Symbolfoto: Corona-Ampel
Auf Grün steht die Corona-Ampel längst nicht mehr (www.imago-images.de)
Wir müssen schauen, wirklich auch alle Elementar-Regeln einzuhalten. Alles muss zeitlich betrachtet werden, muss immer evaluiert werden. Aber, wenn man das tut, sind wir nach meiner Auffassung jetzt gerade in einer Hochrisiko-Situation. Die Intensiv-Medizinerinnen und -Mediziner sagen uns, dass es möglicherweise nur noch drei Wochen dauert und wir kommen in die Situation, wo unsere Intensivmedizin-Kapazitäten erschöpft sind. Wir müssen wirklich überall und alle versuchen, alles dafür zu tun, dass wir die Exponentialkurve brechen.
Kirche als Anwältin der Kultur?
Main: Peter Dabrock, Sie sind Ethiker, Sie sind Theologe. Diesmal hat es die Kirchen und die Gottesdienste anderer Religionsgemeinschaften nicht erwischt beim zweiten Lockdown, sofern sie sich an ihre Hygienekonzepte halten. Gottesdienste bleiben erlaubt. War das eine richtige Entscheidung der Politik?
Dabrock: Das ist eine richtige Entscheidung - bis zum Erweis des Gegenteils. Bei Einhaltung, bei strikter Einhaltung der Hygiene-Konzepte, dass die Gottesdienste weiter ermöglicht werden. Überall dort, wo das nicht der Fall ist, muss das auch in aller Schärfe identifiziert werden und auch entsprechend sanktioniert werden.
Main: Hygienekonzepte gibt es allerdings auch in Theatern, in Museen und Restaurants.
Dabrock: Wenn man das eine für die Gottesdienste sagt, dann heißt das ja nicht im Gegenzug, dass man deswegen sagt, dass die andere Entscheidung, was Theater, was Restaurants, was andere Kulturveranstaltungen betrifft, richtig war. Und ich glaube, da ist in der Tat noch ein Nachdenken nötig - angesichts dessen, dass wir in einer wirklich hochdramatischen Situation sind.
Es hat ein kluger Journalist vor einigen Tagen gesagt, dass wir aufpassen müssen, dass wir keine Grundrechts-Kannibalisierung durchführen, dass wir ein Grundrecht gegen das andere Grundrecht ausspielen - also hier das Grundrecht auf Religionsfreiheit, positive Religionsfreiheit gegen ein Grundrecht dort der Ausübung der Kultur.
Religion und Corona - "Wir leben unter dem virologischen Imperativ"
Der Historiker Michael Wolffsohn kritisiert eine Reduzierung auf den Kampf gegen Corona. "Eindimensionale Fixierung auf das, was virologisch richtig oder falsch ist, kann es nicht sein", sagte Wolffsohn im Dlf.
Bei den Kirchen kommt sicherlich noch mal hinzu, dass sie auch als Institution - als Körperschaft – "Körperschaften öffentlichen Rechts" sind, somit da eine gewisse Privilegierung haben, die man aber nie nutzen sollte, um sich damit von anderen abzugrenzen. Von daher würde ich sagen, dass man wirklich schauen muss, dass man auch im Kulturbereich unter auch ähnlich strengen Hygienevorschriften möglicherweise auch da noch Öffnungen durchführt.
Das Wichtige ist ja in einer Zeit zunehmend pluraler werdender Gesellschaft, dass wir die verschiedenen Bedarfe und Bedürfnisse der Menschen, das, was ihrer Seele guttut, um an den Anfang unseres Gespräches zurückzukommen, entsprechend berücksichtigt und entsprechend bedient. Und wenn da Hygienekonzepte stimmen, muss auch die Kirche Anwältin sein, wenn woanders in ähnlich geordneter Art und Weise etwas Gutes für die Seele getan werden kann.
"Der Stachel aller Theologie"
Main: Herr Dabrock, warum lässt Gott eine so fiese pandemische Krankheit wie Covid-19 zu?
Dabrock: Das ist die berühmte Theodizee-Frage, warum lässt Gott das zu, die der Stachel aller Theologie ist. Und ich muss Ihnen sagen, die Theodizee-Frage, die sich ja stellt bei jedem Leben, das in einer Art und Weise geendet ist, das wir als gebrochen, als zu frühzeitig wahrnehmen - diese Frage hat mich motiviert, am Anfang meines Studiums auch Theologie zu studieren. Und ich kriege darauf keine rationale Antwort.
Das Foto zeigt einen Friedhof im Osten von Sao Paulo/Brasilien, wo Massenbegräbnisse wegen der Coronapandemie stattfinden.
Weltweit sind bereits über eine Million Menschen an Covid-19 gestorben (imago / Fotoarena)
Ich habe nur die Hoffnung, dass der Gott, der selber Leiden auf sich genommen hat, am Ende alles gut macht. Aber das ist eine Hoffnung. Das darf keine Vertröstung sein. Und ich weiß nicht, warum dieser Gott, der eine gute Schöpfung geplant hat, das zulässt. Ich könnte jetzt hier eine Vorlesung über Freiheit und metaphysische Freiheit und so weiter und sofort halten. Ich hielte das für verkopft und falsch.
"Nach Widerstandsressourcen suchen"
Main: Eine Softdrink-Firma wirbt mit dem Spruch "Hilfe beim Durchhalten. Also genau das, was wir 2020 brauchen". Was hilft Ihnen beim Durchhalten?
Dabrock: Jeder muss selber schauen, was ihm in seinem Leben wichtig ist. Man muss die Dinge, die einem wichtig sind, stark werden lassen. Und wenn das bei dem einen eine Sache ist, wo er sich auf eine Sache konzentriert, dann soll er oder sie das tun. Wenn es eine Mixtur ist, dann mag dies etwas Gutes sein.
Ich persönlich freue mich und bin froh, dass ich in einer Umgebung leben kann, die mir unter den gegebenen Bedingungen relativ viel Abwechslung bietet - sowohl was Bewegung anbetrifft, was Beschäftigung mit unterschiedlichen Dingen anbetrifft und in dem kleinen Rahmen, den man noch hat, was Begegnungen anbetrifft. Das ist das, was mir hilft. Und ich würde den Rat geben, nach den jeweiligen Widerstandsressourcen im eigenen Leben zu schauen.
Weihnachten als "Fall ins Nichts"
Main: Noch sind wir im November, da braucht man besonders viel Widerstandsressourcen. Für viele ist ja die Adventszeit - dann vor allem das Weihnachtsfest - ganz zentral, auch ein Familienfest. Und viele fragen sich jetzt schon: Wie sollen wir Weihnachten feiern? Wie werden Sie feiern?
Dabrock: Also das Interessante ist ja, wenn man sich die Kultur des Weihnachtsfestes in den letzten Jahren anschaut, dann hat sich ja die Aufmerksamkeit fast mehr in den Advent hineinverlagert – weg von der eigentlichen Weihnachtszeit, die von vielen fast wie ein Fall ins Nichts wahrgenommen wird. Denn dann wird es wirklich still und ruhig, während man im Advent doch diese eigentümliche Mischung zwischen Vorbereitung des Festes und andererseits den bunt geschmückten Innenstädten, Weihnachtsmärkten, Glühweinständen, Freunde treffen, Weihnachtsfeiern rauf und runter, erlebt.
Es ist ja eine der wirklich quirligsten Zeiten des Jahres geworden, statt einer wirklich ruhigen Zeit. Das ist das, was derzeit vielen Sorge bereitet, dass diese neue Tradition des auf Weihnachten-Zugehens plötzlich weggebrochen ist - auch gegenüber dem dunklen November, der dann durch den hell erleuchteten Dezember abgelöst wird und die dunkle Zeit etwas verkürzt.
"Tatsächlich mal innehalten"
Main: Vielleicht wären ja die Unterbrechung und das Innehalten eine Chance?
Dabrock: Genau. Das ist dieses Jahr eine Chance: tatsächlich mal innezuhalten und nachzudenken. Was ist eigentlich der Anlass von Advent, also Zugehen auf Weihnachten? Was ist der Sinn von Weihnachten? Nämlich: dass sich der geglaubte Gott nicht in großer Majestät, sondern in der Zerbrechlichkeit dieses Kleinkindes - draußen vor der den Toren der Stadt geboren - wiederfinden lässt.
Theologie und Corona - Besonnen durch die Glaubenskrise
Das geistige Leben verändert sich, wenn Gottesdienste und Gemeindearbeit wegfallen. Moderne Theologie müsse sich zwar naturwissenschaftlichen Erkenntnissen unterordnen.
Dies in diesen Zeiten, die düster sind, die erschöpfend sind, gewahr zu werden. Ich freue mich aufs Weihnachtsoratorium. Ich freue mich auf den "Messias". Vielleicht sollten wir das, was wir traditionell mit Weihnachten verbunden haben, etwas mehr tun.
Wir werden Weihnachten sicherlich nicht in dem größeren Familienkreis begehen können, mit dem Reisen hierhin und dorthin, werden es eher im kleinen Kreis der Kleinfamilie feiern und werden dann vermutlich noch stärker wieder auf die technischen Möglichkeiten zurückgreifen. Via Zoom oder Skype oder sonst wie, um die verstreuteren Teile der Verwandtschaft wenigstens zu sehen.
"Wir dürfen uns heilen lassen"
Main: Unterbrechung, Innehalten, Befristung der Zeit, das ist ja nicht nur im Christentum ein wichtiger Gedanke, auch in der Philosophie. Ich denke da an Walter Benjamins Geschichtsverständnis. Wir neigen aber dazu, in diesen Monaten zu fliehen vor dem Eigentlichen, vor den ganz großen Fragen?
Dabrock: Da würde ich ein bisschen um Nachsicht mit uns selbst werben. Es sind tatsächlich schwierige Zeiten. Wenn man in diesen schwierigen Zeiten noch die Anstrengungen der Apokalypse draufsetzt, dann kann das einen Überdruss ergeben.
Ich verstehe schon. Mir ist es auch wichtig, an Fragen von Begrenztheit, von Verletzlichkeit, von Beziehungshaftigkeit, Angewiesenheit auf Andere hinzuweisen. Gleichzeitig haben wir in dieser schweren Zeit auch alles Recht, danach zu schauen: Was tut uns gut? Dass wir eben, wenn ich noch mal an den Anfang unseres Gesprächs und an Herrn Biden denke, der ja auch die Emotionen anspricht, der das anspricht: Wir dürfen uns heilen lassen.
Nein, wir dürfen in dieser Zeit, in diesen Tagen auch verstärkt uns dem zuwenden, was uns guttut, ohne dass wir deswegen in den Verdacht geraten, dass wir nur auf Hedonismus aus wären. Wenn wir das mit einer Sensibilität für Endlichkeit tun, dann sind wir auf einem ganz guten Weg.
Main: Jetzt aber zum Schluss noch ein ganz lebenspraktischer Tipp: Was tut uns gut im November?
Dabrock: So viel wie möglich auch an die frische Luft gehen und bewegen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.