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Corona und Vorerkrankungen
Sind bestimmte Medikamente eine Eintrittspforte für das neue Virus?

Am Wochenende sorgte eine Fake-News für Aufregung. Eine Whatsapp-Nachricht warnte vor einem Schmerzmittel, welches die Infektion mit dem neuen Coronavirus erleichtern würde. Dies wirft den Blick auf die Frage, ob es ein höheres Risiko durch Vorerkrankungen oder durch eingenommene Medikamente gibt.

Von Volkart Wildermuth | 16.03.2020
Ein Arzt begutachtet CT-Bilder eines Patienten mit einer durch den Coronavirus ausgelösten Lungenentzündung.
Sterblichkeitsdaten aus China in Bezug auf Covid-19 zeigen, dass Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen ein höheres Risiko haben. Liegt dies an den Krankheiten oder an den benutzten Medikamenten? (Chogo/XinHua/dpa )
Zahlreiche Whatsapp-Nutzer bekamen die Nachricht zugespielt: Eine weibliche Stimme erzählte, dass es nicht veröffentliche Erkenntnisse gäbe, die einen Zusammenhang zwischen der Einnahme eines bestimmten Schmerzmittels und der Anfälligkeit an Corona zu erkranken aufzeigen würden.
Natürlich beunruhigt so eine Aussage, Schmerzmittel nimmt schließlich jeder. Aber die Meldung war schon so seltsam formuliert, angeblich könne die Studie nicht veröffentlicht werde aus Angst vor der Pharmaindustrie. Das klang direkt nach Verschwörungstheorie. Was steckt dahinter?

Tatsächlich gab es vor fünf Tagen einen Brief in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet", der das Schmerzmittel mit COVID-19 in Verbindung brachte, aber ziemlich über die Bande. Die Autoren spekulieren da ziemlich frei herum und nennen auch keine Quellen, was das Schmerzmittel betrifft. Was bedenkenswerter ist: Sie verweisen darauf, dass breit verschriebene Medikamente gegen Bluthochdruck und gegen Diabetes sozusagen die Eintrittspforte für das neue Virus ein wenig weiter öffnen könnten.
Coronavirus
Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Wo ist da die Verbindung?
Die Autoren haben sich die Sterblichkeitsdaten aus China angesehen. Da haben Patienten mit Herzkreislaufproblemen, Bluthochdruck und auch der Zuckerkrankheit ein höheres Risiko. Das wird meist so interpretiert, dass diese Patienten einfach schon vorgeschädigt sind und dass die Infektion mit dem neuen Coronavirus deshalb problematischer ist. Aber die Autoren dieses Briefs an "Lancet" drehen den Spieß sozusagen um und sagen: Diese Patientengruppen werden alle mit Medikamenten behandelt, die in denselben Regulationsweg eingreifen - also sind nicht die Grunderkrankungen das Problem, sondern die Medikamente.
Um welchen Regulationsweg geht es hier?
Das Renin-Angiotensin-Aldosteron System. Ein komplizierter Name für einen komplizierten Regulationsweg, der einen Einfluss auf das Blutvolumen, den Salzhaushalt und den Blutdruck hat. Ein Element dieses Regulationswegs ist ein Enzym namens ACE2, das sitzt unter anderem auf der Oberfläche der Lungenzellen. Und genau dieses ACE2 nutzt das neue Coronavirus sozusagen als Eintrittspforte für die Infektion.
Bestimmte Blutdrucksenker, die ACE-Hemmer, greifen an einem Enzym aus demselben Regulationsweg an. Das gilt auch für einige Medikamente für Diabetiker, die Angiotensin-Rezeptorblocker. Die Sorge lautet nun: Wenn diese Medikamente in diesem Regulationsweg für ein an sich heilsames Ungleichgewicht sorgen, vielleicht versucht der Körper da gegenzusteuern, in dem er mehr ACE2 bildet.
Tatsächlich hat man das in Experimenten an Ratten und in einer Studie bei Menschen gesehen, allerdings war der Effekt sehr klein. Auch bestimmte Diabetesmedikamente sollen diesen Effekt zeigen. Es gibt aber bislang überhaupt keine Hinweise darauf, dass das bei der COVID-19 tatsächlich relevant ist. Das sind bislang theoretische Überlegungen.
Aber theoretisch gibt es ein Risiko?
Die Deutsche Hochdruckliga sagt nein und das aus zwei Gründen: Erstens sitzt dieses ACE2-Enzym nicht nur auf der Oberfläche der Lungenzellen, es wird auch ins Blut abgegeben. Dort könnte es das neue Coronavirus sogar abfangen. Es gibt sogar einen medikamentösen Ansatz, der versucht, das Virus so unschädlich zu machen - übrigens ausgerechnet von der Universität Wien.
Ob etwas mehr ACE2 eine Infektion also wahrscheinlicher macht oder im Gegensatz vielleicht ausbremsen kann, das weiß man noch nicht. Zweitens sind die Blutdruck-Medikamente aber nach einer Infektion sinnvoll, weil sie dazu beitragen, dass die Patienten das gefürchtete Lungenversagen besser überstehen. Die Deutsche Hochdruckliga rät also allen Patienten, ihre Blutdruck-Medikamente wie gewohnt weiter einzunehmen. Sie schützten ja auch vor anderen Krankheiten.
Auch die Amerikanische Gesellschaft für Kardiologie betont, wie wichtig es für Herzpatienten gerade in Corona-Zeiten ist, ihre Medikamente einzunehmen, um ihre Krankheit zu stabilisieren. Das gleiche gilt im Übrigen auch für Zuckerkranke.
Woran liegt die Gefährdung bei Hochdruck- und Zuckerkranken?
Erst einmal ist jede chronische Krankheit ein Problem, wenn der Körper mit einer schweren Infektion kämpft. Die Patienten haben einfach nicht so viele Reserven, kommen schneller an ihr Limit. Aber bei Herzpatienten ist es so, dass auch das Herz viel ACE2 bildet. Die erste Ansteckung läuft über die Lunge. Wenn die Infektion aber sehr aggressiv verläuft und das Virus ins Blut gerät, dann ist es in der Lage, auch direkt das Herz zu schädigen.
Zusätzlich kann die Infektion zu einem sogenannten Zytokinsturm führen. Das heißt, es werden zu viele Botenstoffe des Immunsystems unkontrolliert ausgeschüttet und auch das ist problematisch für das Herz. Also es gibt leider Gründe, warum gerade Herzpatienten schlecht mit dem neuen Coronavirus zurechtkommen. Das liegt aber an ihren Grundkrankheiten und nicht an den Medikamenten, die sie deswegen einnehmen.