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Coronapandemie in Polen
Hilfe aus Deutschland - nein, danke!

Im Schnitt der letzten Woche mehr als 25.000 Neuinfektionen täglich, zu wenig Tests und eine beunruhigend hohe Dunkelziffer: Das polnische Gesundheitssystem gerät an seine Grenzen. Trotzdem will Warschau auf deutsche Hilfe verzichten - zumindest vorerst.

Von Florian Kellermann | 11.11.2020
Coronausbruch in Polen: Stau von Ambulanzen in Breslau am 20. Oktober 2020
Ausgelaugte Ärzte und Pflegekräfte: Das polnische Gesundheitswesen gerät an seine Grenzen (dpa / NurPhoto / Krzysztof Zatycki)
Der Brief von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war allgemein formuliert. Er bot seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda Hilfe an, falls Polen mit der Corona-Pandemie nicht zurechtkommt. Wörtlich heißt es in dem Schreiben, das schon von Ende Oktober stammt: "Bitte lass mich wissen, wenn es Dinge gibt, die wir für Polen in der aktuellen Lage tun können."
Inzwischen hat sich die Infektionslage in Polen noch einmal deutlich zugespitzt. Trotzdem wolle man auf das Hilfsangebot nicht zurückgreifen, erklärte Gesundheitsminister Adam Niedzielski dem Internetportal "money.pl":
"Wir sind noch nicht in der Lage, dass wir Hilfe im Ausland suchen müssten. Wir sind dankbar für das Angebot. Es ist sehr wertvoll, aber nicht im Moment."
In diesem Sinne äußerte sich auch Staatspräsident Andrzej Duda in seinem Antwortschreiben an Frank-Walter Steinmeier.
"PiS-Regierung wohl in der Falle"
Mit dieser Haltung gerät die polnische Regierung immer stärker unter Druck. Die Opposition wirft ihr vor, verbohrt zu sein. So Pawel Zalewski, Parlamentsabgeordneter der rechtsliberalen Partei "Bürgerplattform" im privaten Radiosender TOK FM:
"Die Regierungspartei PiS sitzt hier wohl in der Falle ihrer eigenen antideutschen Propaganda. Über Jahre ist die PiS mit dieser Propaganda auf Stimmenfang gegangen. Das heißt aber auch, dass die Regierung die Verantwortung dafür trägt, wenn ein Patient deshalb sterben sollte."
Noch einen Schritt weiter ging der ebenfalls mit der "Bürgerplattform" verbundene ehemalige Außenminister Dariusz Rosati. Den Regierungsmitgliedern drohe eine Gefängnisstrafe, wenn ihr Verhalten Leben kosten sollte, schrieb auf seinem Konto bei Twitter.
Wie Hilfe aus Deutschland aussehen könnte, wurde bisher von keiner Seite konkretisiert. Aber die Zusammenarbeit mit anderen Nachbarländern gibt Beispiele. So hat die Bundeswehr Ärzte in ein tschechisches Militärkrankenhaus entsandt. Und Corona-Patienten aus Belgien werden in deutschen Krankenhäusern behandelt.
Fast jeder zweite Test positiv
Solche Hilfe könnte auch Polen bald gut gebrauchen, meinen Ärzte, wie Bartosz Fialek von der Ärztegewerkschaft OZZL:
"Fast 50 Prozent der Corona-Tests bei uns fallen positiv aus. Und das heißt, dass unsere Dunkelziffer enorm ist. Man geht hier vom Faktor zehn aus. Wir wissen also überhaupt nicht, wie sich die Epidemie in Polen tatsächlich entwickelt. Deshalb ist unser Gesundheitssystem so ineffektiv."
Deshalb ist laut Experten auch die Zahl der insgesamt Gestorbenen im Oktober sprunghaft angestiegen. Sie lag 40 Prozent über dem Mittelwert der Monate Oktober in den vergangenen vier Jahren.
Führende Epidemiologen schlagen schon seit geraumer Zeit Alarm. So Krzysztof Simon, Leiter einer Infektionsklinik in Breslau, vor einer Woche im Fernsehsender TVN24:
"Wir können neue Patienten nur dann an Beatmungsgeräte anschließen, wenn ein anderer Patient gestorben oder gesund geworden ist. Freie Geräte gibt es nicht mehr. Deshalb müssen wir schon immer wieder die Entscheidung treffen, welchen Erkrankten wir anschließen und welchen nicht – je nach dem, wie die Aussichten auf Genesung sind."
Regionale Umwege
Es fehle vor allem an geschultem Personal, so Simon. Die Ärzte und Pflegekräfte seien inzwischen völlig ausgelaugt und teilweise selbst erkrankt.
Polnischen Medien zufolge haben einige Krankenhäuser an der Regierung vorbei schon Wunschzettel zusammengestellt – mit Dingen, die sie gerne aus Deutschland beziehen würden. Darunter Corona-Tests und Arzneimittel. Die Zeitung "Rzeczpospolita" berichtet, in westlichen Regierungsbezirken hätten die regionalen Behörden sogar schon Kontakt aufgenommen mit den Regierungen von Brandenburg und Sachsen.