Dienstag, 23. April 2024

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Coronavirus-Epidemie in China
"Sehr große Unzufriedenheit mit Krisenmanagement"

In China schwele der Frust über den Umgang von Regierung und Behörden mit der Coronavirus-Epidemie, sagte China-Experte Nis Grünberg im Dlf. Auch Staatschef Xi Jinping sei dadurch in eine politische Krise geraten, Folgen werde das für ihn aber nicht haben. Dazu müsste sehr viel mehr passieren.

Nis Grünberg im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.02.2020
Menschen sitzen mit Schutzmasken in der U-Bahn von Peking/China
"Bei aller Kritik sollte man China jetzt einfach unterstützen", sagte Nis Grünberg im Dlf (MAXPPP)
Die radikalen Maßnahmen, die China zur Eindämmung der Cornavirus-Epidemie ergriffen hat, wirken, sagen Experten. Trotzdem steigen die Zahl der Ansteckungen und der Toten täglich weiter. Von mehr als 1800 Todesfällen in Folge des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 geht die chinesische Regierung offiziellen Angaben zufolge inzwischen aus. Die Zahl der bestätigten Infektionen wird mit mehr als 72.000 angegeben. Fachleute gehen aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.
Ende Januar riegelte Peking die Region um die am stärksten von dem Virus betroffene Stadt Wuhan ab. Doch nun wurde bekannt, dass Staatschef Xi Jinping offenbar schon früh von der Gefährlichkeit des Erregers wusste.
Das Coronavirus kann überall sein - Reportage aus Peking von Axel Dorloff (03:16)
Besuchsverbote, Zugangssperren und das ständige Messen der Körpertemperatur. In Chinas Hauptstadt Peking gibt es derzeit keinen normalen Alltag mehr. Mit allen Mitteln versucht China, die Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus in den Griff zu bekommen. China-Korrespondent Axel Dorloff mit einem Rundgang durch eine Stadt, die sich selbst nicht wiedererkennt.
Im Interview mit dem Dlf gibt Nis Grünberg vom Mercator Institute for China Studies in Berlin eine Einschätzung zur politischen Situation in der Volksrepublik.

"Man hat viel Zeit verschwendet"
Sandra Schulz: Xi Jinping wusste offenbar schon um die Gefährlichkeit des Virus, als in der betroffenen Region noch alles heruntergespielt wurde. Ist dieses Eingeständnis nicht politisch hoch brisant?
Nis Grünberg: Es kommt sehr überraschend. Es ist vor einigen Tagen erst herausgekommen, dass er dem Report nach schon Anfang Januar sehr viel wusste und auch sehr viel schon delegiert hat. Und das ist eigentlich ungewöhnlich, dass es so spät und so detailliert noch herauskommt. Es gibt gerade in China sehr große Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement besonders in den ersten wichtigen Wochen. Man hat da viel Zeit verschwendet und das ist systemisch, aber auch auf menschliches Versagen zurückzuführen. Jetzt scheint man von zentraler Seite klarmachen zu wollen, dass alles getan wurde und die Schuld bei der Lokalregierung liegt.
Schulz: Wie kanalisiert sich diese Unzufriedenheit?
Grünberg: Die Unzufriedenheit und der Frust war am größten, oder die größte Welle kam Anfang Februar, als Dr. Li Wenliang, ein Arzt aus Wuhan, starb. Er war einer der ersten, die das Virus mit Kollegen diskutierten und sich da auch eine polizeiliche Verwarnung einhandelte. Als er starb, gab es eine enorme Welle an Trauer und Wut, besonders online durch ganz China, und man war sehr frustriert.
Schwarz-weiß-Foto des verstorbenen chinesischen Arztes Li Wenliang
Er hatte frühzeitig vor dem Coronavirus gewarnt: Li Wenliang (1986 - 2020) (AFP)
Die Zensur, die lange zentrale Informationen der hohen Ansteckungsgefahr und auch der Möglichkeit von Mensch-zu-Mensch-Übertragungen unter Verschluss hielten, haben zu sehr viel höheren Opferzahlen geführt, so ist die Kritik. Besonders die medizinischen Fachkräfte haben, das muss man sagen, vor diesem Hintergrund auch Enormes geleistet, schlecht informiert, wenige Ressourcen. Und ich glaube, dieser Frust, der ist nicht verschwunden, der schwelt weiter, auch wenn man jetzt von der zentralen Seite auch Berichte zensiert, und man versucht jetzt, die Narrative auf die positive Entwicklung zu lenken.
"Es ist unklar, was gerade passiert"
Schulz: Aber wie kann man dieses Narrativ denn bedienen, wenn man gleichzeitig mitteilt, dass Peking schon früh Bescheid wusste? Dann klappt das ja eigentlich nicht mehr, das auf die Kommunen abzuwälzen, der Verantwortung nach.
Grünberg: Das ist die große Frage, die man sich gerade stellt in den Kreisen, mit denen ich diskutiere. Auf der einen Seite stellt er sich ein bisschen auf die gleiche Ebene wie die Lokalen. Er sagt, ich habe alles getan, das hat nicht funktioniert. Da öffnet er sich für Kritik. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch eine klare Schuldzuweisung: Ich habe von Anfang an alles getan, was ich konnte, und die Schuld liegt bei der Lokalregierung. Es kann auch sein, dass er Druck von internen Kräften bekommen hat, vielleicht auch der älteren Parteiführer. Es ist sehr unklar, was da gerade passiert, aber es ist auf jeden Fall eine Entwicklung, die man weiter verfolgen sollte.
Coronavirus
Schulz: Ist es in irgendeinem Punkt im Bereich des Vorstellbaren, dass diese Corona-Krise jetzt auch zu einer politischen Krise für Xi Jinping wird?
Grünberg: Ich glaube, in gewisser Weise ist es das schon. Allerdings erwarte ich nicht, dass das an seinem Status und an seiner politischen Führungsrolle etwas verändern kann. Dazu muss noch sehr viel mehr passieren.
"Ausbruch noch nicht ganz völlig unter Kontrolle"
Schulz: Jetzt würde ich mit Ihnen gerne noch mal in diese am stärksten betroffene Region schauen, in die Hubei-Region. Wir haben von Anfang an ja Überforderungen des Gesundheitssystems gesehen. Was ist zu sagen über die Lage aktuell dort?
Grünberg: Die Lage ist sehr angespannt, so wie ich das von hier einschätzen kann. Die Provinz ist seit Sonntag in einem totalen Lockdown. Es gibt Quoten dafür, wie viele Male man pro Woche raus darf aus dem Haus, um das Notwendigste einzukaufen. Alle Aktivität außen ist mehr oder weniger verboten, Verkehr, öffentlicher Transport und so weiter. Die meisten Geschäfte sind geschlossen und es gibt sehr viele Posts auf den sozialen Medien von sehr frustrierten Menschen, die sich da wortwörtlich fast zu Tode langweilen. Es gibt viele, die es mit Humor nehmen, aber man sieht auch, dass sehr viel Druck auf den Menschen steht. Die Machtlosigkeit und der Frust nimmt auf jeden Fall zu und dass man jetzt noch zu so drastischen Mitteln greift und das auch noch verstärkt, zeigt auch, dass der Ausbruch noch nicht ganz völlig unter Kontrolle ist.
Schulz: Sie schildern Frustration. Geraten Menschen auch in dieser Isolation, die ja auch die Versorgung betrifft, die Versorgung mit Lebensmitteln, geraten die Menschen da auch in echte Notlagen?
Grünberg: Das ist schwer zu sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles ganz reibungslos vonstattengeht. Man hat ja relativ Hals über Kopf die Provinz am 23. Januar schon unter Quarantäne gesetzt. Und wenn man sich die Lage in den Krankenhäusern anguckt und in anderen Bereichen, die Logistik war da auf jeden Fall nicht völlig durchdacht. Ich glaube, fürs Notwendigste ist gesorgt, aber man wird da wahrscheinlich auch an Grenzen stoßen demnächst.
China künftig beim Krisenmanagement unterstützen
Schulz: Wir haben am Anfang ja sogar Lob gesehen, zum Beispiel von der Weltgesundheitsorganisation, für das Pekinger Krisenmanagement. Diese drastischen Maßnahmen, die sind da ja auf ganz positives Echo gestoßen in Genf. Was muss die internationale Gemeinschaft jetzt machen, wie muss sie vorgehen, um China auch möglicherweise zu unterstützen im Kampf gegen das Virus?
Grünberg: Ich glaube, bei aller Kritik sollte man einfach jetzt China unterstützen. Das ist eine Krise, die egal wie man sich verhält die Menschen einfach sehr hoch belastet. Ich denke, man muss mit China auch im weiteren Verlauf an Mechanismen arbeiten, an Früherkennungsmechanismen, Krisenmanagementmechanismen, und da mit den Chinesen zusammenarbeiten, um das in Zukunft besser zu gestalten und die Reaktionsgeschwindigkeit da zu erhöhen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.