Donnerstag, 18. April 2024

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Coronavirus-Folgen für die Wirtschaft
"Man hätte der Krise zuvorkommen können"

Die Coronakrise wird nach Ansicht des Ökonoms und Wachstumskritikers Niko Paech zum Lehrmeister eines Wandels, vor dem sich die Gesellschaft lange Zeit gedrückt habe. Die Erschütterung der Globalisierungsstrukturen durch eine Krise sei nur eine Frage der Zeit gewesen, sagte Paech im Dlf.

Niko Paech im Gespräch mit Sandra Schulz | 08.04.2020
Menschenleere Fußgängerzone in Essen
Die Coronakrise ist Teil einer Rechnung unseres "nicht stabilisierungsfähigen Wohlstandsmodells", sagt Niko Paech. Das moderne Leben müsse künftig genügsamer werden. (Imago/ Jochen Tack)
Deutschland befindet sich im Shutdown. Das Ziel der weitgehenden Maßnahmen ist, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem vor dem Corona-bedingten Kollaps zu bewahren und so Leben zu retten. Für die Wirtschaft bedeutet der Zustand empfindliche Wachstumseinbußen. "Das ist jetzt ein Lerneffekt", sagt Niko Paech, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Siegen und Wachstumskritiker.
Schulz: Nach allem, was wir wissen, stehen wir jetzt vor einer tiefen Rezession. Ist das aus Ihrer Sicht jetzt eine gute Nachricht?
Paech: Nein! Das ist deshalb keine gute Nachricht, weil ein Bruch mit dem Wachstumsdogma natürlich im geplanten Sinne danach verlangt, dass in angemessenen Schritten und nicht als Schocktherapie oder Rosskur die Wirtschaft in einen Shutdown versetzt wird. Das heißt, die sozialpolitische Angemessenheit einer Rücknahme von Wachstumsraten muss schon gegeben sein.
Was wir jetzt erleben ist natürlich, dass eine Krise zum Lehrmeister jenes Wandels wird, vor dem wir uns die ganze Zeit gedrückt haben. Und jetzt erkennen wir, dass auch für die Wirtschaft oder für die Wirtschaftspolitik leider gilt: Wer nicht hören will, muss fühlen. Man hätte einer Krise wie die, die wir jetzt gerade erleben, natürlich immer auch zuvorkommen können, indem man über Globalisierungsstrukturen nachdenkt, die nicht zukunftsfähig sein können, weil es nur eine Frage der Zeit ist, dass diese komplexen Gebilde, die wir da aufgebaut haben und die zum Fundament auch unseres Wohlstands geworden sind, früher oder später erschüttert werden würden durch irgendeine Krise. Das ist jetzt in diesem Fall eine Corona-Pandemie geworden. Das hätte aber auch eine Verteuerung der Erdölpreise sein können. Das hätte eine weitere Finanzkrise sein können. Das hätte auch eine Krise sein können, die daher rührt, dass ganz bestimmte essentielle Ressourcen, Mineralien beispielsweise, knapp werden.
28.02.2020, Hessen, Frankfurt/Main: Die DAX-Kurve an der Frankfurter Börse (Fotografiert mit Wischeffekt). Der wichtigste Deutsche Leitindex Dax ist am morgen um mehr als 5 Prozent gefallen. Die Sorgen um eine Corona-Epidemie belasten seit Tagen weltweit die Finanzmärkte. Foto: Boris Roessler/dpa | Verwendung weltweit
Folgen der Pandemie - Finanzmärkte in Turbulenzen
Wegen der Corona-Pandemie sind derzeit viele Unternehmen zum Stillstand gezwungen. Die Börsen reagierten darauf mit dem größten Kurssturz seit der Finanzkrise von 2008. Wie gefährlich das Virus für die weitere Entwicklung ist, lässt sich kaum erahnen.
"Wenn sie weniger investieren, gibt es weniger Einkommen"
Schulz: Was jetzt immer wieder gesagt wird, das ist, dass viele Verbraucher im Moment in dieser Krisensituation sich im Konsum auf das Nötigste beschränken, vielleicht wenn wir mal vom Klopapier absehen. Wieso bringt das die Wirtschaft zum Einsturz?
Paech: Weil wenn auf einem bestimmten Markt die Nachfrage prägnant und auch dauerhaft zurückgeht, dann heißt das, dass die Unternehmen natürlich ihre Produktionskapazität anpassen. Sie investieren weniger. Und wenn sie weniger investieren, gibt es weniger Einkommen. Wenn dann auf diesem betreffenden Markt weniger Einkommen da ist, heißt das, dass die dort beschäftigten Menschen auch auf anderen Märkten dann weniger kaufen können oder wollen. Man spricht von Multiplikator-Effekten. Man könnte auch sagen, das ist wie so ein Domino-Spiel. Das heißt, dass damit andere Märkte mitgerissen werden, und das ist eine Abwärtsspirale und die darf natürlich nicht zu schnell verlaufen. Sonst ist es gefährlich, weil dann die Wirtschaft so weit in den Keller sinkt, dass dann sozialpolitisches Ungemach droht. Das ist schon richtig.
Schulz: Was jetzt aus aller Welt gemeldet wird, das sind auch Rückgänge bei den CO2-Emissionen. Wäre das, was jetzt gerade passiert, für Sie eine Folie auch für den Klimaschutz?
Paech: Wissen Sie, wenn man irgendwo in einer modernen Gesellschaft das Minimum dessen umgesetzt hätte, was als Überlebensprogramm bezeichnet werden kann, angesichts des Wegbrechens unserer ökologischen Lebensgrundlagen, dann hätte das langfristig ein ähnliches Aussehen gehabt wie das, was jetzt die Coronakrise herbeiführt. Nur ich betone das ausdrücklich: Es hätte gestreckt werden müssen. Es hätte sozialpolitisch abgefedert werden müssen. Und man hätte vor allem wirtschaftspolitisch erreichen können, dass die Nachfrage nicht sofort überall so stark reduziert wird.
Aber um die Ökosphäre überleben zu lassen, wäre ohnehin im Prinzip das, was man jetzt kurzfristig als Shutdown bezeichnet, ein Rückbau globalisierter industrieller Strukturen vonnöten gewesen, vor allem auch ein Rückbau des Verkehrs. Wir wissen ja, dass Weltreisen oder die globale Mobilität im Hinblick auf ökologische Schädlichkeit den Konsum schon fast abgelöst haben.
Coronavirus
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"Jetzt holt uns das Schicksal ein"
Schulz: Aber Sie sagen, es ist ein Minimum dessen umgesetzt worden, was eigentlich nötig gewesen wäre. Wir wissen aber gleichzeitig, in allen Volkswirtschaften, in allen freiheitlichen Ländern ist genau das durchgesetzt worden, was gesellschaftlich mehrheitsfähig war. Ist da nicht das Maximum geleistet worden?
Paech: Das ist richtig. Wir halten uns für so wahnsinnig modern und progressiv und glauben, dass wir unsere Mittelalterlichkeit, die Schicksalsabhängigkeit unserer Existenz überwunden haben, indem wir demokratisch über Mehrheitsentscheidungen das Geschick unseres Lebens, vor allem unserer Gesellschaft bestimmen. Aber das hat wohl nicht so ganz geklappt. Das heißt, jetzt holt uns das Schicksal ein, weil wir unkluge Entscheidungen getroffen haben. Das ist schade. Das ist auch nicht das Ende der Demokratie. Aber das ist jetzt ein Lerneffekt. Ich sagte es bereits: Wer nicht lernen will, muss fühlen. Dieser Lerneffekt hat vielleicht den Vorteil, dass zukünftig demokratische Entscheidungen oder auch individuelle Lebensentscheidungen anders ausfallen, weil klar ist, dass nach der Krise vor der Krise ist. Selbst die Wahrscheinlichkeit, dass nach der Überwindung dieser Corona-Pandemie eine neue Pandemie ausbricht – denken wir alleine an die afrikanische Schweinepest, über die jetzt keiner redet, die aber auch schon Mitteleuropa erreicht hat -, allein darüber können natürlich auch immense Schäden etwa in der Landwirtschaft ausgelöst werden und auch gesundheitliche Folgen sind nicht gänzlich auszuschließen.
Und ich sagte bereits ja auch schon, dass neben reinen Virus-basierten Pandemien ganz andere Sollbruchstellen unseres globalisierten, auf Wachstum beruhenden Wirtschaftssystems erkennbar sind. Das heißt, wir fangen inzwischen an zu begreifen, dass Corona Teil einer Rechnung ist, Teil einer Rechnung unseres nicht stabilisierungsfähigen Wohlstandsmodells, und wir tun gut daran, vorsorglich dieses Modell kleinschrittig zurückzubauen auf ein Maß, das uns immer noch verhilft zu einem modernen Leben, das frei und demokratisch ist, aber das muss wesentlich genügsamer sein, denn sonst stellen wir fest, dass wir zugrunde gehen an einem Zielkonflikt. Der Zielkonflikt ist, wenn wir Effizienz, wenn wir materiellen Wohlstand und immer mehr Digitalisierung und auch sonstigen technischen Fortschritt voranbringen, dann geht das logischerweise zu Lasten der Krisenstabilität und damit auch der Sicherheit.
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Stunde der Wahrheit nach der Krise
Schulz: Herr Paech, jetzt müssen wir an der Stelle ein bisschen aufpassen, dass wir nicht zynisch werden. Wir sprechen ja über ein Virus, das weltweit schon viele zehntausende Menschenleben gefordert hat, weil Sie sagen, wer nicht hören will, muss fühlen. Wir sehen, dass in dieser konkreten Situation mit dieser konkreten Bedrohung Menschen auch dazu in der Lage sind, den von Ihnen ja auch an anderer Stelle geforderten Verzicht zu üben. Ist das nicht der Beweis dafür, dass die Menschen nach Priorität auch differenzieren können?
Paech: Noch nicht ganz, weil unter Zwang in der Lage zu sein, sich auf das Nötige zu beschränken oder etwas genügsamer zu werden, das ist die eine Sache. Aber wenn diese Krise vorbei ist, dann wird auch eine Art Stunde der Wahrheit aus der Sicht einer nachhaltigen Entwicklung in Erscheinung treten, weil dann werden wir sehen, ob wir wirklich das, was wir in der Krise geübt haben, auch fortsetzen, oder ob Leute umgekehrt sagen und sich dann in Wohlstandstrotz üben, jetzt haben wir nach dieser Zwangspause eigentlich unseres Steigerungsprozesses das Recht damit auch erworben, jetzt wieder richtig zu prassen und weiter loszulegen. Ich würde sagen, die Antwort liegt irgendwo in der Mitte. Ich glaube, dass ein großer Teil der jetzt von den Corona-Maßnahmen betroffenen Bevölkerung sicherlich in der Lage sein wird, vielleicht etwas kritischer zu reflektieren, was wir da eigentlich treiben. Aber es wird auch andere Teile der Gesellschaft geben, die sich nicht so leicht davon abbringen lassen, alles zu tun, um zum Business as usual zurückzukehren.
Aber noch mal zu dem Zynismus. Es war nicht so gemeint, dass ich kein Mitleid mit den Menschen habe, die von der Corona-Krise betroffen sind. Dieses "wer nicht hören will, muss fühlen" oder "nicht lernen will, muss fühlen" bezieht sich auf die Gesellschaft als Ganzes, und dasselbe hätte man auch sagen können, als die Lehman-Brothers-Krise ausbrach.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.