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Coronavirus in China
"Sehr große Panik in der Bevölkerung"

Nach der weiteren Ausbreitung des Coronavirus in der chinesischen Provinz Hubei sei eine gute medizinische Versorgung offenbar gewährleistet, sagte "SZ"-Korrespondentin Lea Deuber im Dlf. Doch die Bevölkerung wisse nicht, was sie der Regierung glauben könne. Debatten in den sozialen Medien führten zu mehr Unruhe.

Lea Deuber im Gespräch mit Sandra Schulz | 24.01.2020
Der Bahnhof von Wuhan ist wegen des Ausbruch des Coronavirus gesperrt.
Der Bahnhof von Wuhan ist wegen des Ausbruch des Coronavirus gesperrt (AFP / HECTOR RETAMAL )
Das Corona-Virus breitet sich weiter aus. Bislang sind in China infolge einer Infektion mit dem Virus 26 Menschen gestorben. Laut Chinas nationaler Gesundheitskommission ist die Zahl der bestätigten Krankheitsfälle auf 830 gestiegen. Elf Städte sind mittlerweile abgeriegelt, darunter auch Wuhan, wo das Virus zuerst aufgespürt wurde.
Gerade aus Wuhan nach Peking zurückgekehrt ist Lea Deuber. Die Chinakorrespondentin der Süddeutschen Zeitung berichtet im Interview über die Reaktion der Menschen in China, die Rolle der Staatsmedien und wie Peking die Situation zu kontrollieren versucht.
Schulz: Wie sind Sie denn aus Wuhan weggekommen?
Deuber: Ich habe am Mittwochabend einen der letzten Züge, die noch nach Peking gefahren sind, gebucht, tatsächlich auch das letzte Ticket. Am Mittwochabend kam ja die Entscheidung, dass die Stadt komplett abgeriegelt werden würde. Am Tag hatte die Regierung zuerst gesagt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt die Stadt nicht mehr verlassen dürfen. Am Abend kam dann die komplette Quarantäne für die ganze Stadt und dann haben wir beschlossen, dass ich noch versuche, die Stadt zu verlassen.
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Schulz: Wie abgeschottet ist die Region jetzt? Geht da wirklich gar nichts rein und raus?
Deuber: Ab Donnerstagmorgen sind tatsächlich keine Züge mehr gefahren, keine Flugzeuge mehr geflogen und auch keine Fernbusse mehr. Am Morgen schien es noch so, dass man mit dem Auto die Stadt verlassen konnte, aber dann wurden auch die Mautstationen abgestellt. Das heißt, die Zufahrtsstraßen in und aus der Stadt heraus waren blockiert und man konnte auch kein Auto mehr nehmen, um die Stadt zu verlassen.
"In Krankenhäusern mitunter chaotische Szenen"
Schulz: Was aus europäischer Sicht ja wirklich eine ausgesprochen drastische Maßnahme ist. – Wie reagieren die Menschen dort? Haben Sie Kontakte in die Region?
Deuber: Am Mittwoch, würde ich sagen, waren die Menschen eigentlich noch recht ruhig für eine Elfmillionen-Stadt. Das heißt, dass die Leute gesagt haben, man sollte sich nicht am Fischmarkt aufhalten, in der Region, wo die Krankheit ausgebrochen ist. Ansonsten waren die Menschen eigentlich alle sehr ruhig, auch wenn sie alle Masken getragen haben. Mittlerweile scheint es, ein bisschen chaotischer geworden zu sein. Zumindest die Leute, die Symptome haben, vielleicht auch einfach nur eine Erkältung haben und versuchen, in einem Krankenhaus mit Ärzten zu sprechen.
Dort soll es mitunter sehr chaotische Szenen geben. Es gibt viele Videoaufnahmen aus Krankenhäusern heraus. Ich glaube einfach, die Unruhe und die Angst in der Stadt ist im Moment sehr hoch. Das hat natürlich die Quarantäne und den Stellenwert, den diese Situation jetzt dadurch bekommen hat, das Ganze, glaube ich, noch mal verschärft.
Schulz: Sie haben meinem Kollegen im Vorgespräch gesagt, dass Sie auch erkältet sind. Wie gehen Sie damit um?
Deuber: Ja, genau. Ich habe, glaube ich, eine kleine Erkältung mit aus Wuhan gebracht. Ich habe mich erst mal selbst unter Quarantäne gestellt und meine Verabredungen in den kommenden Tagen abgesagt und werde jetzt auch erst mal zuhause bleiben. Aber bisher habe ich kein Fieber. Insofern bin ich ganz zuversichtlich.
"Die Behörden sind in der Lage, erkrankte Menschen zu versorgen"
Schulz: Die Fernsehbilder, die uns jetzt aus Wuhan erreichen, die zeigen eine Geisterstadt. Sie waren ja wie gesagt bis Mittwochabend dort. Wie haben Sie die Stadt, wie haben Sie die Stimmung dort erlebt?
Deuber: Man muss natürlich im Hinterkopf behalten, es ist gerade Frühlingsfest in China. Das ist ein bisschen so, als würde man jetzt an Heiligabend durch deutsche Innenstädte fahren und sagen, Geisterstädte. Es hat einfach alles zu. Die meisten Leute sind nachhause gefahren.
Schulz: Jetzt hatten wir gerade einen Aussetzer, aber jetzt höre ich Sie wieder gut.
Deuber: Okay. – Ich hatte gesagt, dass man nicht vergessen darf, dass gerade Frühlingsfest ist, und da ist ganz normal, dass die ganzen Geschäfte zu haben, dass die Menschen, die Arbeiter nachhause fahren. Das heißt, wie an Weihnachten, an Heiligabend die deutschen Innenstädte zu haben, so sieht es im Moment auch in Wuhan aus. Viele Leute bleiben zuhause, ganz regulär. Ich glaube, relevant ist vor allem, sind die Behörden in der Lage, die Menschen, die erkranken, zu versorgen, und im Moment sieht es so aus, dass das so ist.
"Die Staatsmedien genießen nicht viel Vertrauen"
Schulz: Welches Bild haben Sie von der Stadt? Eine medizinische Versorgung – Sie sagen, im Moment sieht es so aus, als ob das möglich wäre. Aber was lässt sich über die medizinische Versorgung sagen?
Deuber: Ich denke schon, dass die Behörden im Moment alles versuchen, um möglichst viele Kapazitäten zu schaffen. Es wird ja gerade sogar ein ganzes Krankenhaus umgebaut. Das Problem ist, glaube ich, mehr: Die Bevölkerung weiß nicht, was sie glauben soll, weiß nicht, welchen Informationen sie trauen kann. Im Internet werden viele Gerüchte geteilt, werden viele angebliche Screenshots von irgendwelchen Ärzten aus der Stadt herumgeschickt. Millionen Leute verfolgen live diese Krise. Das spiegelt, glaube ich, nicht unbedingt die Realität in der Stadt aktuell wieder.
Ich glaube, was man jetzt gerade in China sieht ist tatsächlich, dass die Staatsmedien nicht viel Vertrauen genießen. Das ganze Jahr über verbreiten sie die Propaganda der Regierung und jetzt auf einmal sollen die Leute glauben, wenn die Regierung sagt, alles unter Kontrolle. Ich glaube, das gibt gerade diese sehr große Panik in der Bevölkerung.
"Peking versucht, die Lage unter Kontrolle zu bringen"
Schulz: Jetzt hat Peking ja Transparenz angeordnet. Glauben Sie daran?
Deuber: Ich glaube schon, dass Peking den Druck auch international spürt und die Situation unter Kontrolle bringen will. Die Frage ist, was bedeutet das für die Lokalregierung. Einige der Maßnahmen, auch die Abriegelung mittlerweile von acht Städten, ist eine Folge davon. Die Lokalbehörden stehen unter Druck, Peking zu beweisen, dass sie alles tun. Das kann zu mehr Transparenz führen.
Das kann aber auch dazu führen, dass die Lokalregierungen, wo zum Beispiel Fälle auftreten, dazu neigen werden, das zu vertuschen – aus Angst, dass Peking im Nachhinein politische Konsequenzen ziehen wird. Ich denke schon, dass man davon ausgehen kann, dass Peking versucht, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Was das auf lokaler Ebene bedeutet, das wird man in den kommenden Tagen und Wochen sehen.
"Drastische Maßnahmen typisch chinesisch"
Schulz: Gestern haben manche gesagt, die Abriegelung einer ganzen Metropole, einer Elfmillionen-Stadt - mit Wuhan war das ja zunächst -, so was geht nur in China. Was, würden Sie sagen, ist typisch chinesisch jetzt am Krisenmanagement?
Deuber: Diese sehr drastischen Mittel, wahrscheinlich kann man das eine chinesische Lösung nennen. Elf Millionen Leute in dieser Art und Weise unter Quarantäne zu stellen, ist ja auch etwas, was es bisher nicht gegeben hat, was die WHO ja auch noch mal bestätigte. Was man jetzt auch gesehen hat: Gestern gab es Nachrichten, dass Leute gesagt haben, sie haben es aus Wuhan noch mal nach Shanghai geschafft. Die Shanghaier haben dann gleich gesagt, jetzt müssen wir Shanghai abriegeln, um uns zu schützen, damit keine Wuhaner mehr in unsere Stadt kommen. Diese Illoyalität und auch die Sorge und der Ruf nach noch drastischeren Maßnahmen, das ist nicht ganz untypisch.
Ich denke schon, dass man sagen muss, dass diese Quarantäne etwas ist, was nur in China möglich ist. Gleichzeitig ist es allerdings auch so, dass durch die Situation durch die Frühlingsfeste, durch die Hunderte von Millionen, die gerade in diesen Tagen reisen, das Risiko natürlich enorm hoch ist, dass die Infektion sich verbreitet. Ich glaube, eine perfekte Lösung gibt es nicht, und Peking steht unter Druck, und ich glaube, genauso handelt es auch gerade.
Die großen Staatsmedien berichten "überraschend wenig"
Schulz: Wie präsent ist das Thema in den Staatsmedien?
Deuber: In den großen Staatsmedien ist es überraschend wenig präsent. Zum Beispiel die Volkszeitung hatte gestern keine Zeile dazu auf der Titelseite. Auch CCTV, der größte Staatssender, berichtet zum Beispiel in den wichtigen Abendnachrichten immer sehr spät darüber. Man versucht schon, die Krise ein bisschen herunterzuspielen.
Die zentralen Debatten finden gerade in den sozialen Medien statt. Das führt aber leider zu mehr Unruhe und Panik und weniger dazu, dass die Leute sich gut informiert fühlen. In den Staatsmedien könnte mehr berichtet werden, aber in China gibt es keine freie Berichterstattung. In den letzten Jahren ist man massiv gegen freie Medien vorgegangen und jetzt gerade in dieser Krise merkt man, was das in so einer Ausnahmesituation bedeutet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.