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Coronavirus in Großbritannien
Britisches Gesundheitssystem kurz vor dem Zusammenbruch

Zu wenige Betten, ausgedünntes Personal, Ärzte fühlen sich "wie Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank" - die Lage in britischen Krankenhäusern angesichts der Corona-Pandemie ist katastrophal. Die Politik steht nun massiv unter Druck.

Von Friedbert Meurer | 23.03.2020
Ein Mann läuft vor dem Londoner Krankenhaus St Thomas entlang
Auch Großbritannien kämpft mit der Ausbreitung des Coronavirus (Imago/ Zuma Press)
Dr. Lisa Anderson ist Herzspezialistin am St. George's Hospital in Süd-London. Vier Abteilungen in ihrem Krankenhaus sind inzwischen ausschließlich belegt mit Corona-Patienten, berichtet sie. In einer Station lägen nur infizierte Patienten, die zum Sterben verurteilt seien. Und das alles, befürchtet die Ärztin, ist nur der Anfang.
"Meine Kollegen haben auch das Gefühl, das ist die Ruhe vor dem Sturm. Unsere Intensivbetten sind jetzt fast alle belegt."
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"Ärzte fühlen aich wie Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank"
Die britischen Krankenhäuser wappnen sich für den Ernstfall. Die allermeisten Bereiche werden nur noch für Corona-Patienten freigehalten, das Personal trainiert an den Beatmungsgeräten. Von denen gibt es aber viel zu wenige, die Regierung hat sie reichlich spät nachbestellt. Intensivbetten sind auch Mangelware. Und was die Ärzte auch aufbringt: sie selbst werden nicht getestet.
Rinesh Parmaar, der Chef der britischen Ärztevereinigung: "Die Ärzte fühlen sich wie Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank oder wie Kanonenfutter. Hausärzte fühlen sich im Stich gelassen. Wir appellieren an den Premierminister, wir müssen die Leute hier an der Front schützen."
Ärzte und Krankenschwestern werden im Moment zwar für zwei Wochen nach Hause geschickt, wenn jemand in der Familie krank wird. Das dünnt das Personal aus. Gleichzeitig stecken sich Ärzte aber an ihren Patienten an und niemand bekommt es mit.
Britische Politik steht massiv unter Druck
Gesundheitsminister Matt Hancock verspricht moderne Schnelltests und Schutzkleidung für Ärzte und Krankenschwestern, die ebenfalls fehlt: "Jetzt im Moment sind Lastwagen unterwegs, um die Schutzkleidung an 150 Krankenhäuser zu liefern. Bis Ende der Woche sind sie da."
Dr. Lisa Anderson, die Herzspezialistin, wird gestern am Sonntag gefragt, ob die Schutzkleidung bei ihnen am St. George's Hospital angekommen ist: "Absolut nein. Sie haben jetzt stattdessen die Vorschriften für die Schutzkleidung so abgeschwächt, das sie nicht mehr denen der Weltgesundheitsorganisation entsprechen."
Solche Klagen hört man viele. Die britische Politik steht massiv unter Druck, um die Katastrophe abzuwenden. Einen Erfolg verbucht die Politik: Alle Kapazitäten der privaten Krankenhäuser stehen jetzt dem NHS, dem nationalen Gesundheitssystem, zur Verfügung. 4.500 Krankenschwestern und Ärzte im Ruhestand haben sich gemeldet, um zu helfen.
July 4, 2017 - Weston-Super-Mare, North Somerset, UK - Weston-super-Mare, North Somerset, UK. A protest against the overnight closure of Weston General Hospital Accident and Emergency department is held before the Weston Area Health NHS Trust  Board meeting at Weston General Hospital which is to agree the temporary overnight closure of the Accident & Emergency department because of staffing levels, with no projected date given for a return to 24hr service. It was announced last month the A&E unit would be closing between 10pm and 8am from Tuesday 04 July, after a Care Quality Commission inspection raised concerns over the long-term sustainability of staffing levels. The decision has been made on patient safety grounds because the trust cannot provide enough specialist hospital doctors to safely staff the A&E department overnight. Patients arriving by ambulance will instead be taken to either the BRI or Southmead in Bristol, or Taunton’s Musgrove Park hospitals, and anyone who would otherwise turn up to the A&E department themselves is being urged to either try to get to Bristol or ring the NHS helpline on 111. Unison, the trade union representing health workers, said it was vital the NHS bosses running Weston’s hospital had a plan in place to reinstate the 24 hour service as soon as possible, so the temporary closure didn’t become permanent. Unison says the closure comes from a staffing shortage that is the direct result of the government running down the NHS, and that on the week of the NHS' 69th birthday, they value this national treasure and the staff who keep it going more than ever. A hospital spokesman said they had no choice to close the unit after the CQC report rated the A&E department ‘inadequate’, and that A&E has been fragile for several years as a result of ongoing challenges around medical recruitment and a national shortage of A&E doctors which has made this position worse. They have become heavily reliant on locum and agency workers and ...
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