Dienstag, 19. März 2024

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Coronavirus und Medien
Christian Drosten bei #formate20

Vor der Coronavirus-Pandemie war Christian Drosten einer breiten Öffentlichkeit nahezu unbekannt. Heute gilt er vielen Menschen als kompetenter Erklärer der Welt der Viren und hat dabei immer wieder mit der medialen Berichterstattung zu kämpfen.

16.11.2020
Christian Drosten bei den "Formaten des Politischen"
Christian Drosten berichtet über den Unterschied zwischen Wissenschafts- und Politik-Journalismus (Deutschlandradio / Simon Detel)
"Mir ist zum ersten Mal klar geworden, dass es einen Unterschied gibt zwischen Wissenschaftsjournalismus und der großen Politikjournalismus-Bühne, wo man auch mal gezielt provoziert", sagte der Virologe Christian Drosten bei den "Formaten des Politischen". Die Herausforderungen der Pandemie sollten für ihn eigentlich die zentralen sein. Der Institutsdirektor für Virologie an der Berliner Charité hat sich aber einer zweiten gestellt – mit all ihren Nebeneffekten, auch vielen unerwünschten: Im Coronavirus-Update, einem Podcast von NDR info, stellt er seit Ende Februar neue Studien vor, beantwortet Fragen zum Virus, zur Pandemie – letztlich zu allen Themenbereichen, in denen er sich als Virologe kompetent genug fühlte.

Formate des Politischen 2020

Dadurch bekam er die Folgen der medialen Berichterstattung zu spüren: Die einen hoben ihn auf ein Podest, andere feindeten ihn an. Immer wieder fühlte er sich falsch verstanden oder unzulässig verkürzt dargestellt. Die knappe Ressource Aufmerksamkeit, der Drang mancher Medien, mit möglichst polarisierenden oder vereinfachenden Überschriften Klicks zu generieren – das alles vertrug sich manchmal sehr wenig mit der sehr komplexen Welt der Virologie, der Epidemiologie und allen daran anknüpfenden Bereichen aus Wissenschaft. Auch dem vorgeblichen "Virologen-Streit" kann Drosten nichts abgewinnen: "Was Alexander Kekule sagt, ist fast immer richtig. Und er sagt das Gleiche wie ich. Aber das ist nicht der Eindruck der Leute, die nur Überschriften lesen."
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin
Wieder Streit um eine Studie zu Corona
Wissenschaft findet meist eher im Verborgenen statt. In Coronazeiten ist das anders. Studien-Ergebnisse wie etwa die zum Infektionsrisiko von Kindern aus Heidelberg werden umgehend öffentlich diskutiert. Was bedeutet das für die Wissenschaft?
Der Unterschied zwischen typischer Wissenschaftskommunikation und der bisweilen hektischen Berichterstattung in Krisenzeiten wird hier besonders deutlich. Wissenschaft lebt vom Streit, von der Auseinandersetzung um Daten und Analysen. In "normalen Zeiten" gibt es wissenschaftliche Experimente, die oft keine eindeutigen Ergebnisse bringen. In einem langwierigen Prozess werden Kontrollexperimente gemacht, wissenschaftliche Gutachter hinzugezogen, weitere Daten erhoben – und am Ende gibt es eine Veröffentlichung, die nur ein Mosaiksteinchen in der Wissenschaftswelt darstellt und keineswegs in Stein gemeißelt ist. Während der Pandemie wurden viele Studien auf Pre-Print-Servern veröffentlicht, damit möglichst viele Menschen daran weiter forschen konnten – aber diese Studien waren noch viel vorläufiger als alles, was in "normalen Zeiten" publiziert wurde. Diese vorläufigen Ergebnisse waren keinesfalls gesichertes Wissen. Wissenschaftlern war das klar. Medien und Menschen mussten das erst lernen.
Bei den "Formaten des Politischen" sprach Christian Drosten mit Corinna Buschow (epd) und Stephan Detjen (Deutschlandfunk) zur Berichterstattung über das Virus, über den "Virologen-Streit" und eben die Unterschiede zwischen Wissenschaftskommunikation und Kommunikation in Krisenzeiten.
Drosten: "Im Alltag eher aufs Lüften konzentrieren als auf ständiges Desinfizieren"
Die Übertragung des Coronavirus durch Aerosole, also Schwebeteile in der Luft, gerät immer mehr in den Fokus. Sie könnte gleichbedeutend mit der Tröpfchenübertragung sein, sagte der Virologe Christian Drosten im Dlf.

Das Gespräch im Wortlaut
Stephan Detjen: Ich erinnere mich, es war Anfang März, glaube ich, als Sie das erste Mal hier in die Bundespressekonferenz, in diesen Saal gekommen sind, vor die blaue Wand, die viele Zuschauerinnen und Zuschauer der Abendnachrichten auch aus dem Fernsehen kennen. Von Ihrem Arbeitsplatz, von Ihrem Labor in der Charité hierüber sind es ja nur ein paar Schritte, das ist gar nicht weit, Sie sind vorhin mit dem Fahrrad hierhergekommen. Aber trotzdem ist es eigentlich ein Schritt in ein anderes Universum gewesen, wie haben Sie das damals erlebt?
Christian Drosten: Ja, ich hatte natürlich vorher auch hier und da mal Medienkontakte, mal ein Interview gegeben. Hier in der Bundespressekonferenz war ich noch nicht vorher. Das war natürlich etwas Neues für mich, das ist klar. Es ist aber damals auch eine Zeit gewesen, in der einfach so viel Rummel war, dass ich das nicht bewusst reflektiert habe, was da gerade passiert in der Öffentlichkeit.
Corinna Buschow: Es schien danach, das war zu lesen, war zu hören, bei Ihnen auch ein bisschen Ernüchterung über diesen Raum Raum gegriffen zu haben. Sie haben dem Medienmagazin "Zapp" zum Beispiel gesagt, das war hier zum Teil Zeitverschwendung angesichts der vielen Fragen zum CDU-Parteitag, zum Fußball. Nun mussten Politikjournalistinnen, keine Wissenschaftsjournalistinnen wohlgemerkt, natürlich auch für sich erst mal die Krise greifen, die Bedeutung herausarbeiten, womit diese Fragen vielleicht erklärbar waren. Können Sie vielleicht noch mal schildern, was hat Sie da so ernüchtert und wie betrachten Sie das vielleicht ein halbes Jahr später?
Drosten: Ja, das stimmt, das ist, das war eine ganz interessante Situation. Da saßen wir hier mit Herrn Spahn, und Herr Spahn wurde auf den Parteitag angesprochen, wie der denn jetzt stattfinden soll, während es eigentlich den anderen, die hier anwesend waren, darum ging, bestimmte Botschaften in möglichst kompakter Form auch zu transportieren, die notwendig waren zu der Zeit. Also, es war einfach vielen klar in der Wissenschaft, dass es ohne die Kooperation und ohne Verständnis bei der Bevölkerung nicht geht. Und natürlich ist das hier dann so eine Gelegenheit, wo man versucht, bestimmte Botschaften zu platzieren. Und da hat mich das tatsächlich genervt, wenn dann sowas gefragt wird und ich denke, jetzt geht es doch wieder in so eine Standard-Journalistenfrage, da will man jetzt mal den Politiker provozieren. Das kenne ich ja auch als Fernsehzuschauer, das ist ja schon auch so ein Stilmittel. Und ich hatte da wirklich das Gefühl, dafür ist doch jetzt hier eigentlich nicht die Zeit, das muss doch jetzt hier in dem Moment nicht sein. Wir haben hier begrenzte Zeit, und es gibt so viel zu sagen, Inhaltliches. Das war damals die Situation. Mir ist damals klargeworden, erstmalig, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen Wissenschaftsjournalismus, mit dem ich vorher viel Kontakt auch schon hatte, und eben der großen politischen Journalismus-Bühne, dass es da andere Arbeitsweisen gibt, die sicherlich im Politikjournalismus sein müssen. Natürlich gibt es da eine gewisse, sagen wir mal, Barriere, die man vielleicht auch durchbrechen muss durch solche Stilmittel wie Provokation, direkte Ansprache und so weiter, Personalisierung auch. Die findet im Wissenschaftsjournalismus nicht so stark statt und ist da auch nicht notwendig. Man muss Wissenschaftler nicht zu einer Aussage provozieren.
Buschow: Und trifft Ihr Vorwurf auf die Veranstaltung, die Sie hier erlebt haben, oder auch auf die Berichterstattung, die Sie danach wahrgenommen haben von dieser Pressekonferenz?
Drosten: Das kann ich nicht mehr so trennen, das bezog sich einfach hier auf die Veranstaltung, wo ich einfach dabei saß.
Detjen: Wir wollen darauf im Laufe dieses Gesprächs noch mal zurückkommen und auch sagen, ob das sozusagen Marotten, Stilmittel von politischen Journalisten sind oder was da eigentlich dahintersteckt in diesen unterschiedlichen Kommunikationsmodi, die Sie da beschrieben haben, Wissenschaftskommunikation auf der einen Seite, auf der anderen Seite politische Kommunikation, die wir hier normalerweise betreiben. Aber ich wollte am Anfang noch einmal einen Schritt zurückgehen, denn das war ja nicht Ihr Einstieg in die breite Öffentlichkeit hier. Am 26. Februar dieses Jahres hat der NDR die erste Folge des Corona-Update-Podcasts mit Ihnen veröffentlicht. Wann haben Sie für sich entschieden, dass Sie in dieser Krise in ganz besonderer Weise eine Rolle in der Öffentlichkeit, in der öffentlichen Kommunikation, in der breiten öffentlichen Kommunikation einnehmen wollen?
Drosten: Das war schon viel früher. Es war eigentlich klar, als die Münchener Patienten da waren, die Webasto-Patienten, das war ja um den 20. Januar, dass das kommen wird das Virus. Da war für mich eigentlich die Zeit des Rätselraten vorbei, ob das jetzt so eine Situation ist, wo man einzelne importiere Fälle haben wird, oder ob es eine Pandemie wird. Da war es klar, es wird eine Pandemie. Und dann war es aber, da gab es schon eine Zeit von mehreren Wochen bis vielleicht Mitte Februar oder sogar teilweise Ende Februar, das eigentlich in vielen Hauptmedien immer noch eine Vorstellung transportiert wurde, die nicht meine war. Also eben diese Vorstellung, das kommt schon nicht so schlimm, da gibt es hier und da sicherlich mal einen Reisenden, der das mitbringt, das kriegen wir aber unter Kontrolle. Und gleichzeitig kamen sehr, sehr viele Interviewanfragen. Ich hatte das Gefühl, ich muss dieselben Fragen bei sechs verschiedenen Radiosendern beantworten. Und viele von denen haben aber dann diese Dinge gekürzt, insbesondere auch im Fernsehen ist mir das aufgefallen. Ich habe immer so gesagt im privaten Kreis, da macht man eine Dreiviertelstunde Text vor einer Kamera und viele, viele Fragen, die man immer wieder beantwortet. Und am Ende bleibt die possierliche Fledermaus übrig in den Abendnachrichten und eben nicht die auch von mir bedacht gewählte Formulierung, die warnend ist.
Detjen: Medienaufgabe ist es, zu verkürzen, Komplexität zu reduzieren und Wichtiges herauszusuchen. Dann ist natürlich die Frage: Ist die Fledermaus das Wichtige oder was sind die wichtigen, die relevanten Fragen.
Drosten: Genau! Und ich hatte einfach damals zu der Zeit, das weiß ich noch ziemlich genau, da haben wir so einen drei-, viertägigen kleinen Urlaub gemacht hier irgendwo in Brandenburg. Und da war so eine Erholungsphase für mich von diesem Medienrummel. Da habe ich mir gedacht, das geht so nicht weiter, ich muss jetzt einfach einen Kanal haben. Und ein Kollege von mir hatte mal während der Ebola-Epidemie, der war auch sehr unter Mediendruck, der hatte sehr viele Anfragen, und der hat das dann so gemacht, dass er einfach jeden Mittag eine kleine Pressekonferenz per Telefonkonferenz gemacht hat. Das fand ich aber jetzt in dem Fall nicht so gut. Ich hatte darüber nachgedacht, so etwas irgendwie zu machen. Und dann kam diese Anfrage vom NDR mit dem Podcast, und da habe ich gedacht, ja, das ist es ja eigentlich. Das ist ungeschnitten, da kann man nicht falsch draus zitiert werden, aber trotzdem ist es für jeden verfügbar und es hat eben ein gewisses Sprachvolumen, nicht nur in der Verbreitung, sondern auch in der Dauer. Man muss da halt nicht so stark schneiden, sodass man differenziert sein kann.
Buschow: Dieser Podcast ging dann tatsächlich durch die Decke. Man hatte das Gefühl, jeder hört das abends, auch in einer Zeit, wo man ja auch zu Hause bleiben sollte, wo man Zeit hatte. Trotzdem die Frage: Die Macher selber waren davon überrascht, die haben das mal in einer Making-of-Folge auch geschildert im Podcast. Wie haben Sie das selber erlebt, hätten Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Drosten: Bei mir war das ganz lange Zeit so, dass ich das gar nicht realisiert habe. Mich hat das nie interessiert, wie viele Zugriffe dieser Podcast hat. Also diese Statistiken, die wahrscheinlich in den Medien ganz wichtig sind als Erfolgsparameter, waren mir ziemlich egal. Für mich hat sich dieser Podcast ganz lange angefühlt wie ein einfaches Interview oder ein Dialog mit einer Journalistin, das tut es eigentlich auch immer noch. Und ich wundere mich manchmal über das, was dann da zurückkommt aus der Öffentlichkeit, zum Teil aus den Medien. Am Anfang mit wirklich skurrilen Verkürzungen und Verfälschungen, das ist aber tatsächlich in meinem Gefühl auch viel besser geworden und viel differenzierter. Es ist aber jetzt im Moment auch nicht mehr so, dass das so eine zentrale Informationsquelle ist, habe ich zumindest den Eindruck, dass viel mehr Stimmen dazugekommen sind. Bei mir war das, glaube ich, am Anfang so, dass … Ich will nicht sagen, dass ich alleine dastand in der Öffentlichkeit, aber es waren wenig Wissenschaftler da, die wirklich was gesagt haben. Damit meine ich, von denen wirklich Inhalte kamen, nicht nur Fernsehauftritte und sagen wir mal allgemeine Beschwichtigungen, die man sonst häufig hört, der deutsche Entwarnungsprofessor, sondern einfach auf den Punkt: Was haben wir jetzt hier vor uns, was ist das Besondere, was ist das Spezifische daran?
Buschow: Aber noch mal, weil Sie gerade sagten, die Zugriffszahlen haben Sie sich am Anfang nicht angeguckt. Sie sagten ja, Sie wollten einen Kanal, weil Sie eben sagen wollten, die Lage ist ernst. Wie passt das zusammen, dass Sie zum einen sagen, Sie wollen viele Menschen erreichen, und dann aber sagen, wie viele Menschen jetzt erreicht wurden, habe ich am Anfang erst mal nicht verfolgt?
Drosten: Ja, das ist richtig. Für mich war einfach dieses Kriterium von Zugriffszahlen nicht wichtig. Und für mich ist einfach in der Zeit so eine Sortiertheit eingetreten in dem, was ich sage, das fand ich eigentlich ganz gut. Ich bin so jemand, der häufig sich sortiert, indem er Dinge anderen transportiert. Dadurch bin ich auch viel aufgeräumter geworden. Ich hatte dann so … Am Anfang war das ja täglich, dieser Podcast, und da habe ich dann tatsächlich … Wenn man so als Wissenschaftler über so etwas redet, dann merkt man ganz genau, bei welchen Aussagen man ein bisschen über den roten Strich der Korrektheit gegangen ist. Das merken andere nicht, aber als Wissenschaftler selber merkt man das. Und da habe ich dann nachmittags noch mal wieder nachgelesen, so nach dem Motto: Habe ich das jetzt falsch gesagt, so na ja. 90 Prozent war doch korrekt. Und wenn man das von Tag zu Tag macht, kommt man auch in eine ganz andere Art des Mitlesens rein, die ich eigentlich bis heute bewahrt habe und die ich nie hatte in anderen solchen Infektionsepidemien, wo ich weniger, sagen wir mal, in dieser öffentlichen Verantwortung stand, die Öffentlichkeit zu informieren und das muss auch stimmen, das darf nicht falsch sein. Das darf auch nicht freakig sein, sodass das keiner mehr versteht. Da muss man immer auf dieser Grenze wandern zwischen Vereinfachung und Verfälschung. Das ist ja auch für einen Wissenschaftler dann so. Und da war dieser Podcast für mich einfach so eine rote Linie, die auch immer noch da ist.
Detjen: Das Interessante war ja, dass Sie im Grunde eine Medienlogik durchbrochen haben mit diesem Podcast. Sie haben gesagt, ich habe eigentlich gar nicht auf Klickzahlen geschaut, als Journalist, als Sender tut man das selbstverständlich. Man will eine breite Öffentlichkeit erreichen. Und das Interessante an dieser Folge dieses Podcast, wo die Macherinnen und Macher vom NDR darüber gesprochen haben, was sie sich selber dabei gedacht, war ja, dass die gesagt haben, wir hatten eigentlich etwas anderes uns vorgestellt, nämlich kurz, fünfminütige Folgen. Kurze Erklär-Sequenzen, das ist sozusagen die klassische Denklogik eines elektronischen Mediums. Und dann kommt dieser Wissenschaftler daher und redet gleich von Anfang an eine halbe Stunde mit denen – und das Ding geht durch die Decke. Das war ein interessanter Lernprozess, glaube ich, auch für uns in den Medien, dass wir gesehen haben, das Informationsbedürfnis ist überwältigend. Der Preis aber natürlich war, dass Sie dann nicht nur, aber ganz besonders durch den Erfolg des Podcasts zu einer Medienfigur auch geworden sind. Sie sind karikiert worden, Sie sind kritisiert worden, es sind dann, auch das ist Teil der Medienlogik, Gegenfiguren aufgebaut worden. Gab es dann doch so einen Moment, wo Sie so etwas wie einen, tja, Kulturschock verspürt haben?
Drosten: Ja, das war sicherlich so kurz vor der Sommerpause, als das dann schon ziemlich skurrile Ausmaße annahm in der Öffentlichkeit. Bis dahin habe ich eine ganz lange Wahrnehmungslatenz gehabt. Bei mir war das einfach nicht so, dass ich immer geguckt habe, was wird jetzt berichtet, welche Zeitung schreibt jetzt hier was über mich. Ich klammere das schon ziemlich aus, und das ist wahrscheinlich so ein unbewusster Schutzschild damals auch gewesen zu der Zeit. Zum Beispiel in der ersten Zeit, als das dann losging, dass wirklich ich als Person anscheinend übersteigert oder überspitzt dargestellt wurde, und ich sage jetzt wirklich ganz bewusst anscheinend dazu, weil das erscheint mir wirklich immer noch sehr entfernt. Ich habe das nie so wahrgenommen, an mich rangelassen. Das haben mir dann zum Teil Bekannte, die haben mir dann so Bilder von irgendwelchen Zeitungen und so weiter geschickt, die ich gar nicht gelesen hatte, und die sind dann davon ausgegangen, dass ich das alles gesehen habe. Habe ich aber nicht. Ich schau das nicht sehr systematisch an, das war jetzt bis zu dem Zeitpunkt ein ganz gesunder Umgang, ohne dass ich das bewusst so gewählt habe. Dann, im Sommer, brauchte ich aber wirklich mal eine Pause, das war gut. Und nach dem Sommer habe ich schon auch mit ein bisschen bewusster Wahl die Frequenz runtergefahren, weil es dann eben doch … Man kann das dann nicht mehr von sich weghalten. Und es ist ja nicht so, dass ich das jemals so wollte. Also, ich mache das ja nicht, um als Person irgendwie bekannt zu sein oder so etwas, ich will damit ja nichts. Ich muss ja nicht wie ein Politiker gewählt werden und dafür bekannt sein, sondern es ging einfach wirklich … Am Anfang war es schon so eine Meinungssache, dass ich mir gesagt habe, das ist nicht, wie ich das einschätze, wie das hier in der Öffentlichkeit ist, und ich würde da gerne was zu sagen, weil ich mich da wirklich ein bisschen mit auskenne. Und dann so ein bisschen so das Gefühl, man muss so viele Anfragen bedienen und das muss man irgendwie auf eine arbeitsrationale Basis kriegen, darum dieser eine Kanal.
Detjen: Sie haben gesagt, der Sommer war so ein Moment, der Erschöpfung, jedenfalls haben Sie dann eine Pause gebraucht. Wir haben das noch mal nachgehört, da gab es eine Folge, die ist uns auch im Gehör geblieben Ende März, als Sie fast so eine Art, ja, ich würde sagen, Wutrede gehalten haben. Sie haben gesagt, ich sehe mich selber als Comicfigur und mir wird schlecht dabei, ich bin wirklich wütend darüber, wie hier Personen für ein Bild missbraucht werden, das Medien zeichnen wollen, um zu kontrastieren. Das muss wirklich aufhören. Das war ja ein sehr emotionaler Moment in der Auseinandersetzung mit uns, wo wir auch gesagt haben, das wäre eigentlich interessant, daran mal anzuknüpfen. Wenn Sie sich das selber noch mal vor Augen, vor Ohren führen, was hören Sie da aus dieser Reaktion von damals?
Drosten: Ich wäre erst mal wahrscheinlich vorsichtiger in dem, wie ich das ausdrücken würde. Aber wahrscheinlich war es gar nicht so schlecht dass ich das damals mal so roh gesagt habe. Da haben, glaube ich, viele drüber nachgedacht, gerade auch in den Medien haben darüber viele reflektiert. Einige waren auch ziemlich sauer auf mich darüber, was ich ehrlich gesagt …
Detjen: Es gab Leute auch bei uns, es gab welche, die haben gesagt, das ist ja total interessant, da müssen wir mal nachdenken, es gab andere, die haben gesagt: Der ist in die Öffentlichkeit gegangen, wer in die Küche geht, weiß, da ist es heiß, der Mann ist zu empfindlich.
Drosten: Ja, genau, aber das war ja bei mir gar nicht so, ich wollte gar nicht in die Küche gehen, darum … Das war genau der Punkt. Und ich habe vielleicht ein bisschen auch gedacht, dass das verstanden wird, dass es hier eben nicht darum geht, dass jemand etwas davon hat, in die Öffentlichkeit zu gehen, persönlich, also beruflichen Vorteil oder irgendetwas. Ich habe dadurch eher einen beruflichen Nachteil, weil das schon sehr viel Zeit kostet und weil es, sagen wir mal, für das Ansehen eines Wissenschaftlers nicht unbedingt gut ist, immer in dieser Medienöffentlichkeit zu sein – unter Wissenschaftlern.
Detjen: Ja, aber das ist natürlich, wenn ich das noch mal einfügen darf, klare Medienlogik. Jemand, der sagt, ich habe ja gar nichts davon, in der Öffentlichkeit zu sein, Aufmerksamkeit ist in dieser Gesellschaft eine ganz kostbare Ressource, das erleben wir ja ständig. Menschen, Akteure drängen sich danach, an dieser Ressource teilzuhaben, Aufmerksamkeit zu bekommen, das gehört sozusagen zu unserer Kommunikationsgesellschaft dazu.
Drosten: Ja, ich fühle mich da von Ihnen fast ein bisschen, ich will ja nicht sagen, belehrt, aber ich muss da wirklich sagen, aha, okay, ja, wenn das so ist. Aber für einen Wissenschaftler, zumindest für mich, ist das nicht die Wahrnehmung. Es ist jetzt nicht so, dass man als Wissenschaftler etwas davon hat. Und deswegen hatte ich damals in dieser Anfangszeit, als mir das auch noch nicht so reflektiert wurde von anderen, da hatte ich tatsächlich ein bisschen das Gefühl, das ist so ein Dienst am Steuerzahler, der meine Forschung seit 20 Jahren finanziert, jetzt gebe ich dem mal etwas zurück und sage mal der Allgemeinheit, wie man die Dinge einschätzen kann, wenn man seit 20 Jahren an dem Thema arbeitet. Und das haben, glaube ich, von den Rezipienten viele auch verstanden, also gerade von den Informationssuchenden in der Bevölkerung. Und ich habe das Gefühl, dass im Journalismus das gar nicht so verstanden wurde, dass da so selbstverständlich davon ausgegangen wurde, okay, der will jetzt irgendwie zu einer bekannten Figur werden. Und das ist mir, ehrlich gesagt, bis heute ein bisschen unangenehm, zu so einer bekannten Figur zu werden. Es ist mir immer noch fremd, dass mich Leute auf der Straße erkennen, und ich hoffe, dass das irgendwann auch wieder aufhört, weil ich ja nicht … Keine Ahnung, ich habe das so nicht gewählt. Es geht mir wirklich da um den Inhalt.
Buschow: Was hat Sie denn trotzdem motiviert, dann damit weiterzumachen? War das das Argument des Steuerzahlers, was Sie gerade genannt haben? Wenn man die Ernüchterung zusammennimmt, wenn man, wie Sie auch gerade gesagt haben, ich habe davon beruflich nicht mal unbedingt Vorteile, sondern ganz im Gegenteil Nachteile. Gab es Momente, wo Sie gesagt haben, dann ziehe ich mich zurück und überlasse jetzt anderen Virologen das öffentliche Feld? Und warum haben Sie genau das nicht gemacht?
Drosten: Ja, also ich habe mich ja ein bisschen zurückgezogen, in der Tat aus dem Grund, aber ich bin auch … Leute, die mich jetzt genauer kennen, die werden sagen, ja, das passt zu dem, der fühlt sich gerne schnell verpflichtet. Das ist bei mir so, das ist einfach ein Charakterzug. Und ich habe dieses Verpflichtungsgefühl, ich habe weiterhin das Gefühl, weil ich einfach jetzt in dem Feld arbeite, bin ich jetzt mal ausnahmsweise wirklich nützlich für die Gesellschaft. Ansonsten bin ich manchmal so als Wissenschaftler, da ist man wirklich in seinem Spezialgebiet drin und da hat man schon als reflektierter Mensch, der man als Wissenschaftler ja zusätzlich auch ist, man ist einerseits im Elfenbeinturm, aber andererseits ist man auch ein normaler Bürger. Und da hat man schon das Gefühl, wenn man sieht, da ist ein Klinikarzt oder eine Krankenschwester oder da ist jemand, der keine Ahnung, was für einen Beruf macht, also, viele Berufe, die man im Alltagsleben sieht, von denen man denkt, die sind eigentlich wichtiger. Das, was die an der Gesellschaft leisten, ist viel wichtiger als das, was ich mache. Wenn ich jetzt hier mich für 15 Jahre mit einem Virusprotein beschäftige, ist das schon sehr fraglich, ob die Gesellschaft irgendwann mal davon etwas hat. Für die Gesamtwissenschaft kann man das natürlich so nicht sagen. Es ist nun mal in der Natur der Wissenschaft, da sind diese 100 Arbeitsgruppen, die rackern und rackern und rackern, und nur einer davon gelingt ein Durchbruch. Aber der nützt vielleicht der ganzen Gesellschaft in breiter Front. Aber in der Innenperspektive eines Wissenschaftlers weiß man ja nicht, ob man diese eine von 100 Wissenschaftlergruppen ist. Und in dem Fall ist es dann so, wenn so etwas einem dann über den Weg läuft, so eine gesellschaftlich relevante Frage, bei der man schon weiß, da gibt es außer mir in Deutschland nur eine Handvoll von Leuten, die genauso gut darüber Bescheid wissen über den Kern des Inhalts, dann … Bei mir war das einfach so, dass ich mich dadurch schon in der Pflicht fühlte.
Detjen: Zu den Logiken eines Medienbetriebs – und zwar gerade spezifisch des politischen Kommunikationsbetriebs, dessen Teil wir hier in der Bundespressekonferenz sind –, gehört es, dass wir Polarisierung erzeugen. Auch das ist etwas, das ist uns sozusagen in ein demokratisches Blut gelegt, dass wir glauben, in einer Demokratie, in einer liberalen Demokratie entstehen die besseren Entscheidungen aus einer Kontroverse, aus der Gegenüberstellung von unterschiedlichen, konkurrierenden politischen Positionen sowie sie im Parlament mustergültig in der Gegenüberstellung von Regierung und kritischer Opposition abgebildet sind. Von daher würde ich immer sagen, das ist auch aus einer solchen Logik heraus zwangsläufig gewesen, dass mit dem Wachsen Ihres Erfolges, mit dem Zuwachs an der Ressource Aufmerksamkeit, die Sie bekommen haben, in einer liberalen demokratischen Öffentlichkeit ganz gezielt Gegenfiguren, andere Positionen gesucht, gefördert und aufgebaut werden. Wie haben Sie das erlebt, war das für Sie … Ich meine, das war ja dann der Fall, da gab es dann sozusagen die Gegenpodcasts, der Herr Kekulé hat beim MDR einen gemacht und der Herr Bhakdi hat dann seinen Youtube-Kanal gemacht. Da sind diese Gegenpositionen aufgebaut worden. Wo haben Sie das oder wo können Sie das annehmen als selbstverständlicher Teil einer demokratischen Öffentlichkeit, wo sagen Sie, da sind wir eigentlich zu Spielfiguren auf dem Schachfeld der Medien geworden?
Drosten: Ja, das ist nicht so leicht zu beantworten. Ich glaube, dass die Mehrheit aller Wissenschaftler sagen würde, das ist vollkommen unnötig, dass das gemacht wird bei so einem wissenschaftlichen Themenkomplex. Es ist nicht so, dass durch so eine Kontroverse man näher zur Wahrheit kommt. Sicherlich nicht durch die Kontroverse, die in den Medien entsteht oder auch befördert wird. Die Kontroverse im Fach liegt viel tiefer vergraben, die kann man nicht einer Medienöffentlichkeit erklären. Deswegen ist das, was in der Medienöffentlichkeit an Kontroverse produziert wird, wirklich ein Produkt und nicht mehr. Das hat wissenschaftlich null Relevanz. Das kann ich Ihnen wirklich so sagen. Und ich kann Ihnen auch sagen, Sie haben zum Beispiel den Namen Kekulé genannt, ich würde eher nicht so viel mit Namen agieren, weil das fast immer unfair ist. Die Leute, die da namentlich genannt werden und die manchmal dann auch so der Versuchung unterliegen, dann einen Kollegen, der kontrastiert wird, auch wieder namentlich zu nennen und zu sagen, was hat der jetzt Blödes über mich gesagt und so weiter. Wenn man die aber im Fachinhalt im Gespräch hat, gibt es da sicherlich hier und da auch mal Meinungsverschiedenheiten, aber die liegen auf einer ganz anderen Ebene, als das in den Medien präsentiert wird. Das Bild, was da die Medien hervorrufen, ist zu grob geschnitten. Und nur mal das Beispiel Kekulé: Das, was der sagt, ist praktisch immer richtig, das kann ich so ganz freimütig sagen. Ohne jeden Groll oder jede Schauspielleistung, das ist einfach richtig, was der sagt. Und der sagt das Gleiche wie ich. Daran sehen Sie schon, das ist gar nicht der öffentliche Eindruck. Bei den Leuten, die viel, sagen wir mal, Medienüberschriften konsumieren und nicht in den Inhalt dieser Medien einsteigen und sich nicht den Originaltext anhören von dem, was ich im Podcast sage oder was Herr Kekulé in seinem Podcast sagt, da sieht das so aus, als wären das Antipoden, aber das ist nicht der Fall.
Detjen: Ja, das Interessante, was Sie gesagt haben, im wissenschaftlichen Diskurs geht es um Wahrheit. Und das, was da an Kontroversen tatsächlich vorhanden ist, was da ausgetragen wird an Diskussion, lässt sich in so einer Öffentlichkeit eigentlich kaum übersetzen. Das paraphrasiere ich jetzt mal, was Sie gerade gesagt haben. Das wäre für uns – zugespitzt gesagt – eigentlich kaum akzeptabel, weil unser Paradigma ja nicht nur Wahrheit ist, sondern auch Akzeptanz. Wir glauben, dass in einem lebendigen, auch kontroversen Diskurs Akzeptanz für so schwierige Entscheidungen entsteht, wie wir sie jetzt …
Drosten: Ja, ich weiß genau, was Sie meinen. Ich glaube, das Problem hier ist die Ebene und das Werkzeug. Ich kann mir gut vorstellen, dass es in der Politik, dass man da die Wahrheit herauskitzelt und sich auch näher an die Wahrheit heranarbeitet über Personen. Das ist aber in der Wissenschaft eher nicht so. In der Wissenschaft könnte auch der Journalismus stärker am Inhalt arbeiten, aber das ist, glaube ich, für ein Laienpublikum dann nicht mehr zu durchsteigen und auch nicht mehr unterhaltsam. Und dieser Unterhaltungsaspekt, der muss ja doch immer auch dabei sein, damit ja das Publikum bei der Sache bleibt, das Publikum muss nebenbei wohl immer auch unterhalten werden.
Detjen: Ich würde nicht sagen unterhalten, sondern es muss ein Interesse erzeugt werden, dafür leben wir ja. Das, was wir im Moment wahrnehmen an Interesse, ist ja nicht, dass die Leute unterhalten werden wollen, natürlich hören die gerne zu, wenn Sie ein Erzähltalent oder Erklärtalent haben, aber es geht in der Politik ja auch nicht nur um Personen, wir personalisieren, aber die Personen stehen wiederum für Positionen, das amalgamiert sich da. Das wird dann natürlich auf Sie und auf die Wissenschaft übertragen.
Drosten: Genau. Und dieses Identifizieren der Person mit einer Position und das Gleichsetzen einer Position mit einem Wissenschaftsinhalt, also mit einem Befund, das ist in allen beiden Logikschritten eigentlich falsch. Es ist nicht so, dass ein Wissenschaftler eine Position hat. Es gibt sicherlich Wissenschaftler, die von ihrer persönlichen Ausrichtung her, sagen wir mal, aus dem Privatleben heraus oder wo auch immer das herkommt, bestimmte Befunde mehr in eine als in eine andere Richtung interpretieren würden. Aber solange Sie einen echten wissenschaftlich argumentierenden Menschen vor sich haben, der sagt, ich sage das deswegen, weil das so beschrieben ist, so sind die Daten, die Zahlen sehen so aus, hier sind die Verhältnisse, das sind die Untersuchungsmethoden. Wer so argumentiert, wer wissenschaftlich referenziert, der wird nicht als Person immer in eine Richtung immer referenzieren können. Dafür ist die Wissenschaft einfach zu hart. Die Wissenschaft hat ein eiskaltes Händchen, die lässt sich nicht anfassen und irgendwo hinziehen, die zieht das Händchen dann weg. Und man muss darauf achten, ob der Gesprächspartner, der da als Wissenschaftler sitzt, zum Beispiel in einer Talkshow, ob der so argumentiert. Aber wenn das der Fall ist, dann muss man nicht nach der Person schauen, sondern dann sind wirklich einfach Inhalte auf dem Tisch, und dann muss man diese Inhalte befragen. Dann muss man eben auch als Journalist jetzt Fragen stellen, die vielleicht auch mal nach Statistiken fragen, die fragen, gibt es andere Wissenschaftler, die andere Befunde bekommen haben, was ist hier an der Studie und was ist an der Studie zu kritisieren? Dann landet man leider bei diesen langweiligen Inhalten. Und das geht zum Beispiel in sehr kurzen Fernsehformaten gar nicht, da ist das nicht möglich. Und ich glaube, deswegen kommt immer wieder dieser Reflex auf die Person, weil die Person in sich so eine Verkürzung mit sich bringt, mit sich transportiert, die vor allem dann gut vermittelbar ist, wenn man das eine ganze Zeit lang schon gemacht hat mit dieser Person, wenn man der immer wieder ähnliche Attribute angehängt hat in den Medien, dann wird die Person ja zur Verkürzung. Dann kann man also schon den ganzen Vorbericht rausschneiden, weil da sitzt die Person, dann weiß man schon, in welche Richtung das geht. Das ist aber ein falscher Reflex bei Wissenschaftlern, wahrscheinlich bei Politikern ein viel richtigerer Reflex.
Buschow: Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, dann empfinden Sie das so, als hätte man Sie in der Coronapandemie auch zu einer Art Politiker gemacht, statt bei einem Wissenschaftler zu lassen. Und diese Rollenzuschreibungen, die manchmal verschwimmen, da würde ich gerne auf die Rolle der Medien noch mal zurückkommen, und wie Sie vor allen Dingen die Rolle der Medien sehen? Sie haben kürzlich die Schiller-Rede gehalten, da sprachen Sie von eigenen Kommunikationsbemühungen, so ein bisschen ist das schon angeklungen, wie Sie ihre Pflicht empfinden. Und ich greife da jetzt mal das eine Zitat raus: Wir, gemeint sind wir Wissenschaftler, wir müssen auch komplexe Sachverhalte für die Allgemeinheit aufbereiten und sie sachgerecht informieren. Gerade als Wissenschaftler haben wir hier eine gesellschaftlich wichtige Funktion, in der uns niemand ersetzen kann. Da ernten Sie jetzt von mir den Widerspruch, wo ich sage, das, was Sie beschreiben, ist eigentlich die ureigenste Aufgabe von Journalisten, Sachverhalte verständlich und sachgerecht aufzubereiten. Und ich würde dann sagen, Moment, versucht hier gerade ein Wissenschaftler uns zu ersetzen, uns die Journalisten, uns, die Medien? Und wir sind ja nicht nur reine Verbreiter einer Wahrheit, weil das ist eben, das klang ja schon an, nicht so einfach, es ist auch eine Suche nach Wahrheit, eine Suche nach Akzeptanz, eine Suche nach Kompromiss, ein Meinungsbildungsprozess, der in Medien abgebildet wird. Deswegen mal die Frage an Sie: Wie ist denn die Rolle der Medien für Sie in einer Pandemie, wie würden Sie sich die wünschen?
Drosten: Also, ich kann vielleicht noch mal andersrum anfangen von dem Anwurf, den Sie jetzt machen, den ich auch gut nachvollziehen kann. Das ist interessant, weil ich habe gerade gestern so eine kleine Veranstaltung gehabt für Nachwuchswissenschaftler, da wurde gefragt, wie soll man eigentlich Wissenschaftskommunikation machen, wie soll man als Wissenschaftler von Wissenschaft sprechen? Und da habe ich gesagt: Auf keinen Fall so, wie ein Journalist. Man darf auf keinen Fall in die Rolle kommen, ein Journalist zu sein. Und der Unterschied ist einfach, der Wissenschaftler referiert nicht über die Arbeit anderer Leute – außer im absoluten fachlichen Nahfeld. Ich arbeite mich nicht in Dinge ein, die ich nicht kenne, mit denen ich keine Berührung habe. In dem Nahfeld meines Fachs, da, wo ich, wenn ich einen Artikel schreibe in der Einleitung, da schreibe ich rein, was andere bis jetzt schon gefunden haben, das ist das Nahfeld, diese anderen. Das ist für mich als Virologe durchaus mal, was ein Epidemiologe herausgefunden hat, aber über das Virus, an dem ich arbeite, als Virologe, nicht über irgendwas anderes. Epidemiologen arbeiten auch an nicht übertragbaren Krankheiten zum Beispiel. Das ist dann zu weit in dem Nachbarfeld drin, da habe ich nichts zu suchen. Und in einer journalistischen Herangehensweise würde man ja sagen, Moment, dieses Nachbarfeld muss ich auch vollkommen durchstiegen haben, sonst bin ich nicht differenziert als Journalist, dann rede ich nur über ein Feld. Und der Journalist soll ja differenziert sein und abwägen können. Da sieht man es schon: Der Journalist oder die Journalistin arbeitet sich in etwas ein, um darüber reden zu können. Der Wissenschaftler redet über etwas, weil er darüber gefragt wurde vom Journalisten. Und die Pflicht des Wissenschaftlers ist vor allem zu sagen, da ist meine Grenze, da müssen Sie jemanden anderen fragen. In dem Moment, wo er sich über die Grenze hinaus einarbeitet, wird er Journalist. Das sollte man als Wissenschaftler nicht machen, das ist wahrscheinlich immer ein Fehler.
Buschow: Ich meine es aber tatsächlich auch ein bisschen anders. Ich meine einfach die Kommunikation, Sie müssen ja durchaus einräumen, dass Sie auf das Medienumfeld angewiesen sind, um die Botschaften, die Ihnen so wichtig sind, auch in eine Breite transportieren zu können. Ohne den NDR, der den Podcast macht, wäre der Drosten-Podcast ja nicht da. Also wie ist das Zusammenspiel für Sie zwischen Wissenschaft und Journalismus?
Drosten: Ich erlebe diesen Podcast vollkommen als journalistisches Produkt. Also dieser Podcast ist ein Interview, nicht mehr. Ich würde keinen Podcast machen ohne journalistischen Interviewpartner, davon hätte ich gar nichts, warum sollte ich das tun? Ich sage nur etwas, wenn ich gefragt werde.
Detjen: Ich will mich noch einmal daran abarbeiten an dem, was Sie eben gesagt haben über die wissenschaftlichen Diskurse und Diskussionen, die Sie innerhalb der Wissenschaft erleben. Wenn ich mal sehr zugespitzt das noch mal paraphrasiere, was ich eben verstanden habe von Ihnen – und Sie korrigieren mich dann, wenn es falsch war –, ist das so, dass Sie sagen: Die Diskussionen, die wir da führen, die kriegt ihr eigentlich gar nicht übersetzt in den Medien. Die sind so kompliziert, selbst in einem langen NDR-Podcast kriegen wir das kaum hin. Wir müssen aber als Medien eben noch mit den viel kürzeren Formen sprechen. Wichtige Erkenntnisse der Wissenschaft müssen dann unsere Kollegen in den Nachrichtenredaktion in wenige Zeilen umfassende Nachrichten übersetzen, das ist relevant. Das müssen die dann tun. Und das kann für uns eigentlich nicht befriedigend sein zu sagen, wir müssen die Wissenschaftler eben doch als Autorität hinnehmen, die uns wissenschaftliche Wahrheiten präsentiert, aber wie die dazu gekommen sind, welche Fragen die möglicherweise selber diskutieren, welche Rolle Kritik und Polarisierung, die für uns im politischen Betrieb so wichtig sind, da spielen, das kriegen wir eigentlich gar nicht abgebildet?
Drosten: Würde ich jetzt so nicht sagen. Wir hatten uns gerade einfach darüber unterhalten, soll man über die Person arbeiten oder lieber über den Inhalt. Und wir hatten da so gesagt, die Person bringt die Verkürzung mit sich, die man eigentlich braucht in den Medien. Aber es gibt schon – gerade jetzt auch gut sichtbar im Rahmen dieser Pandemie – eine sehr gute journalistische Befassung mit den Inhalten. In dem Podcast ist es so, dass ich das einfach sage, ich bin aber Wissenschaftler. Nehmen wir uns mal, ich nenne jetzt wirklich mal ein Beispiel aus einem ganz großen Medium. Wenn man sich die Informationsseite von der "heute"-Redaktion vom ZDF anschaut, die ist voller Diagramme und voller Wissenschaftsinhalte, die von Journalisten aufbereitet wurden, die wirklich im Großen und Ganzen sehr treffend sind. Da sind gar keine Personen zu sehen, da sieht man Kurven und andere Dinge. Das ist schon ein Beispiel dafür, wie gerade jetzt auch der Journalismus sich diesen Inhalten annähert. Das hat ja zum Teil auch ein bisschen gedauert, muss man sagen. Am Anfang während der ersten Welle war das nicht so. Da hat mich eigentlich auch das motiviert, dieses Fehlen dieser Inhalte und zum Teil auch das falsche Verstehen von diesen Inhalten. Sagen wir mal so, in der ersten Welle der Professor, der mit weißem Kittel im Labor sitzt und irgendeine blaue Flüssigkeit in irgendwelche Gefäße pipettiert, obwohl er das im Alltag nie macht, das ist dann das Bild über die Wissenschaft in den Medien gewesen. Heute ist dieser Professor als Person nicht unbedingt im Interview zu sehen, sondern das wird aufgearbeitet und zusätzlich zu dem Magazin- oder Nachrichtensprecher ist dann da ein Diagramm, das gezeigt wird. Das ist tatsächlich die Annäherung des Journalismus an diese Wissenschaftsinhalte, die wir in einem halben Jahr bekommen haben – und das ist gut so!
Detjen: Wir haben ja alle natürlich auch in den Redaktionen steile Lernkurven durchlaufen, haben uns in Themen eingearbeitet, von denen wir kaum, wenig Ahnung hatten. Eine Frage war natürlich dann immer, in diesem Feld der Experten, der Wissenschaftler, die da auf einmal relevant werden, zu sehen, wie werden die in ihrem eigenen Fach eigentlich wahrgenommen. Also kurz gesagt: Wer ist ein seriöser Wissenschaftler, wer hat wirklich Ahnung, wer hat das nicht? Der einfache mediale Reflex, zu sagen, Professorentitel reicht, dann kann der schon reden. Und hat er etwas mit Medizin zu tun, dann ist jeder Medizinprofessor aussagefähig. Das haben wir dann schnell gelernt, das gilt so einfach nicht, aber diese Grenzziehung zu gewichten und zu sagen, das ist eine relevante Stimme im Feld bis hin dann zur Grenzziehung, das ist eine abseitige Stimme, die genießt keine Anerkennung in der Fachwelt und deshalb blenden wir sie auch aus, selbst wenn wir dafür dann inzwischen zum Teil scharf kritisieren werden. Das ist für uns Alltag, es wird uns gesagt – Sie kennen die Namen –, warum nehmt ihr den und jenen nicht, kommt nicht vor. Wie kann man diese Grenzziehung machen, und was würden Sie sagen, wie können Journalisten, wie können Redaktionen das tun?
Drosten: Also da ist es ja so, dass es bestimmte objektive Messparameter gibt, also wie viel hat ein Wissenschaftler zu exakt diesem Thema publiziert? Hat er überhaupt etwas publiziert und wenn ja, ist das auch zu diesem Thema? Das sind zwei unabhängige Kriterien. Es gibt schon, ja, es gibt die Wissenschaftler, die gar nicht so viel publiziert haben, weil sie noch jung sind, aber exakt in dem Thema sind, die kann man wirklich auch fragen. Dann gibt es die Wissenschaftler, die auf eine lebenslange Karriere zurückblicken, nur mit dem eigentlichen Thema haben sie sich nie befasst und auch nicht mit etwas, das wirklich in der Nähe ist. Da sollte man lieber den jüngeren Wissenschaftler nehmen, der genau im Thema steckt. Und natürlich gibt es auch immer so Dinge wie Redetalent, das findet man bei einigen vor und bei anderen nicht. Das ist ja noch so ein Zusatzkriterium. Aber ich glaube, diese Wahrnehmung, wer ist eigentlich jemand, der themenrelevant arbeitet, ist von den Wissenschaftsjournalisten schon sehr gut zu verstehen, die verstehen das schon. Und ich glaube, da muss einfach auch die Qualitätskontrolle, denn das ist ja Ihre Frage, das ist eine Frage nach Qualitätskontrolle, die muss vielleicht vom Wissenschaftsjournalismus auch stärker mit geleistet werden. Die Wissenschaft selbst intern nach dieser Qualitätskontrolle zu fragen, ist schwierig. Wir leiden in der Wissenschaft ja sowieso unter dieser Bibliometrie, unter diesem Versuch, alles auf eine Skala zu stellen. Der eine hat so und so viele Punkte, der andere hat 50 Punkte mehr. Ist der deswegen besser? Das kann man so gar nicht sagen. Und ich glaube, kein Wissenschaftler würde wollen, dass jetzt zusätzlich noch so eine andere Sparte entsteht in der innerwissenschaftlichen Qualitätsbeschau, was irgendwo so Richtung Medienkompetenz oder Kommunikation ginge. Das ist, glaube ich, schon etwas, was von den Medien geleistet werden muss. Und da ist ja, da kommen wir dann in diese ganze Qualitätsdebatte um den Wissenschaftsjournalismus rein.
Buschow: Gibt es denn wissenschaftliche Positionen, die Journalisten stärker hätten wahrnehmen sollen? Vielleicht jetzt nicht unbedingt Ihre eigenen, sondern fallen Ihnen Sachen ein, wo man sagt, wie konnten die eigentlich alle so blind sein, das nicht zu sehen, das nicht mal aufzugreifen?
Drosten: Was ich mir gewünscht hätte, wäre, dass man mehr wissenschaftliche Stimmen aus dem Ausland hört zum selben Thema, dass man sich mehr auch damit befasst, wie eigentlich die wissenschaftliche Wahrnehmung und auch das Verdauen der wissenschaftlichen Kommunikation im Ausland ist. Frappierendes Beispiel: die USA. Aber auch da wurde das immer nur personifiziert über Tony Fauci, wo doch eigentlich in den USA eine breite Wissenschaftskommunikation stattgefunden hat und ständig stattfindet, das kann man auf Twitter verfolgen, von wirklich respektablen Leuten, die aber einfach nicht vordringen in diesem dortigen politischen Klima zur Trump-Zeit. Das ist zum Beispiel interessant. In anderen Ländern, auch in europäischen Ländern gab es eine Verwirrung, es gab in einigen Ländern Erscheinungen, wo man sich dann auch fragen muss, wollen wir das eigentlich hier bei uns? Ich bin da komplett neutral, einige fordern ja auch in Deutschland, es müsste ein offizielles wissenschaftliches Beratungsgremium geben, wo man weiß, diese Wissenschaftler sitzen da drin und deren Diskurs verfolgt man irgendwie in Echtzeit. Das hat aber in anderen Ländern dazu geführt, wo es diese Gremien gab, dass die Wissenschaftler da noch mehr zu Politikern stilisiert wurden, bis hin zu Rücktrittsforderungen und so weiter. Das ist auch nicht nur gut. Ich glaube auch, so eine Transparenz ist für die Bevölkerung gut, aber die Frage ist natürlich, wie das Stilmittel dafür eigentlich ist. Und dieser Aspekt, der fehlte ein bisschen in der deutschen Berichterstattung. Aber sonst kann ich nicht sagen, dass das so grob schiefgelaufen ist. Ich ärgere mich natürlich persönlich über diese Personifizierung, Personalisierung, das ist klar. Da bin ich einfach davon betroffen. Aber ansonsten machen wir das schon nicht so schlecht in Deutschland.
Buschow: Sie wurden ja auch als Person, es gibt viele Leute, die Sie zum Feind erklärt haben, das ist Ihnen nicht neu. Sie haben auch Hassbotschaften bekommen, Drohungen bekommen. Wenn Sie jetzt fordern, mehr ins Ausland zu schauen, wir hatten ja gerade, wie schwer es offenbar schon ist, in Deutschland, zumindest für uns hier in Berlin, zu erkennen, wer ist eigentlich der Experte oder nicht. Das ist natürlich über die Grenze hinausgeblickt noch einmal schwieriger. Und dann kam eben noch die Schwierigkeit hinzu, Stephan Detjen hat es gerade schon gesagt, ein Professorentitel reicht Journalisten dann oft, um eine Expertise zu vermuten. Es gab auch Professoren, die sich dagegen gestellt haben, dann gab es da Gegendemonstrationen, die Aufwind bekommen haben. Wo verläuft denn die Grenze zur Verschwörungstheorie, wie kann man die erkennen?
Drosten: Das ist für mich relativ schwer zu beantworten. Verschwörungstheorie ist ja anscheinend auch das falsche Wort. Man muss, glaube ich, sagen Verschwörungsmythen oder so. Ich kenne mich damit wirklich nicht so gut aus. Ich kenne mich natürlich mit den Inhalten aus, die da transportiert werden, die sind für mich so frappierend absurd falsch und so absichtlich falsch, dass es für mich jetzt … Für mich stellt sich diese Frage gar nicht, woran man das erkennen kann. Es wird natürlich in dem Moment schwer, wo solche Leute, die Verschwörungsideen transportieren wollen, weil sie zum Beispiel damit auch Geld verdienen zum Beispiel, wo Sie sich dann wieder so Wissenschaftler in Geiselhaft nehmen, die sich eigentlich gar nicht auskennen und die vielleicht auch aus Naivität irgendwelche Sachen sagen oder auch aus Abwegigkeit, die dann aber wieder keine Wissenschaftler sind, solche Figuren gibt es ja. Das ist für mich von außen ganz leicht zu erkennen, aber es mag sein, dass das vielleicht nicht so zu erkennen ist.
Buschow: Ich frage deshalb, weil das natürlich irgendwie hilfreich wäre. Wenn ich als Journalist, wenn mich jemand fragt, wie erkenne ich ein seriöses Medium, wie erkenne ich, ob im Internet ein Text seriös ist oder nicht, dann gibt es gewisse tatsächliche handwerkliche Anhaltspunkte. Guck dir an, welche Quellen benutzt werden, werden überhaupt Quellen benutzt, hat er mehr als eine Quelle benutzt, werden gegenteilige Meinungen gegenübergestellt, dass man noch die Freiheit hat, sich eine Meinung zu bilden zum Beispiel. Man kann sich an einem Text abarbeiten anhand handwerklicher Instrumente, um zu sagen, das ist wahrscheinlich seriös, das ist wahrscheinlich eher nicht seriös. Deswegen tatsächlich noch mal die Frage, gibt es sowas auch für Journalisten, wenn Sie auf eine Theorie blicken oder auf einen Mythos blicken, um sowas zu erkennen – für ein wissenschaftliches Thema?
Drosten: Es gibt ja so etwas von Journalisten für Journalisten. Das Science Media Center, die machen wirklich gute Arbeit und filtrieren da viele Dinge. Die holen einfach Meinungen ein. Und ich glaube, das ist vielleicht auch so ein Weg, wie man rantastet, eben doch über ein Quorum. Dass man also, wenn man einen Text hat oder auch die Inhalte von so einem Text zusammengefasst hat, dass man drei oder vier Wissenschaftler fragt, die einschlägig im Feld arbeiten, bei denen man das eben auch erkennt, dass die einschlägig arbeiten. Das ist wahrscheinlich der Weg. Natürlich gibt es auch Wissenschaftsorganisationen, die man befragen kann, es gibt ja Fachgesellschaften beispielsweise. In meinem Fach ist es die Gesellschaft für Virologie, es gibt die Deutsche Forschungsgemeinschaft, es gibt große Forschungsverbünde zu Themen, die Pressestellen haben, an die man sich dann wieder wenden kann, die vermitteln wieder weiter an die entsprechenden Mitglieder des Forschungsverbunds, die sich wirklich auskennen. Das ist, glaube ich, so der mühsame Weg, den man gehen muss. Ich glaube, es geht immer über solche Rückfragen.
Detjen: Wir haben über Medien gesprochen, über Ihre Rolle, Ihr Verhältnis zu den Medien, über das, was Sie da erfahren haben. Ich würde noch mal gerne über Ihre Rolle als Berater der Politik sprechen, in die Sie jetzt auch gekommen sind. Sie sind ja, wir haben es am Anfang gesagt, zusammen mit dem Bundesgesundheitsminister aufgetreten, mit Lothar Wieler, der Wissenschaftler ist, aber noch mal als Leiter einem Ministerium untergeordnet ist, auch noch mal in einer anderen Rolle. Wie haben Sie das gesehen, was haben Sie da auch über das Funktionieren von Politik, von Behörden, von Regierung in Deutschland gelernt in diesen letzten Monaten dieses Jahres?
Drosten: Na ja, gut, die Interessenlage der Politik ist ja immer eine andere als die der Wissenschaft. Die Wissenschaft sucht irgendwie nach Fakten und versucht, die Unschärfen links und rechts besser zu klären. Das kann sich auch ändern, man kann das wieder korrigieren, es kann neue Tatbestände geben, dann ist es eben so, während ein Politiker natürlich langfristig irgendwo so einen Kompromiss erreichen muss. Da gibt es den Zielkompromiss, da gibt es verschiedene Interessen, die man bedienen muss. Und am Ende macht man es keinem ganz recht, und das musst du lange Zeit halten, sonst wird man kritisiert von vielleicht der Opposition oder dem Gegner, das wird dann als Scheitern hingestellt, obwohl sich einfach etwas Neues ergeben hat. Das ist, glaube ich, die Spannungslage, in der die Politik ist. Das führt ja dazu, dass die Politik manchmal sich von der Wissenschaft bestimmte Aussagen wünscht, zum Beispiel die Situation der Schulen, die wir jetzt auch in diesen Tagen wieder besprechen. Wir besprechen die seit April und da ist eigentlich zum Beispiel aus meiner Sicht nicht viel Neues dazugekommen. Ich bin da immer ganz konstant in dem, was ich sage, aber man sieht doch, dass von verschiedenen Stellen in der Politik sich andere Aussagen gewünscht werden aus der Wissenschaft. Und da hört man dann selektiv hin. Das ist so ein Problem in der Politikberatung: Da sagt man etwas, das ist ein Teil des wissenschaftlichen Gesamtbildes, und das wird gehört, während das andere, was man auch gesagt hat und auch zum Gesamtbild gehört, eben nicht gehört wird. In so einer, sagen wir mal, mehr über die Öffentlichkeit laufenden Politikberatung, denn das ist es tatsächlich, was auch in Deutschland viel passiert, das muss man schon sagen. Wir haben gar nicht so viel Politikberatung in verschlossenen Kämmerchen hinter der Kulisse, sondern viel Politikberatung läuft wirklich in Echtzeit über das, was auch die Bürger mitlesen können, über das, was die Medien hervorbringen aus der Wissenschaft. Und dann gibt es eben die vertrauliche Politikberatung, und da ist es dann tatsächlich so, das kann ich aus meinem ganz persönlichen Beispiel sagen, ich habe manchmal das Gefühl, wenn ich mit Politikern spreche, die müssen das ziemlich langweilig finden, weil ich sage genau das, was ich vorgestern im Podcast gesagt habe eins zu eins. Ich sage den Politikern nichts an geheimen Informationen dazu, die ich in der Öffentlichkeit nicht sagen würde. Und ich könnte die Staatskanzlei einfach darauf verweisen, hören Sie sich doch den Podcast von vorgestern an, aber das wäre ja maximal arrogant, das kann ich ja nicht tun. Also rede ich mit denen, aber ich kann denen einfach leider keine anderen Inhalte bieten als die, die ich aus der Wissenschaft wiedergeben kann.
Detjen: Können Sie das, was die Politik da von Ihnen erwartet, Sie haben gesagt, das sind Wünsche, die Sie da hören, können Sie das tatsächlich so als unverbindliche Wünsche wahrnehmen? Denn Sie reden ja mit einer Politik, die dann letztlich auch wieder über Ressource entscheidet, die für Sie wichtig sind, nämlich über Geld. Die finanzieren Sie am Ende des Tages, und Sie sagen, die äußern Wünsche, aber es geht um wirklich existentielle, relevante Fragen für uns alle, auch um politische Schicksale. Empfinden Sie das manchmal als Druck?
Drosten: Nein. Da muss ich gar nicht drüber nachdenken, diesen Druck gibt es nicht. Das ist überhaupt nicht so, dass, wenn man jetzt mit irgendeinem Bundesministerium redet, man dann fürchten muss, wenn etwas sagt, was denen nicht genehm ist, dass man dann keine Forschungsmittel mehr bekommt. Oder andersherum gesprochen: Wenn man irgendeine Richtung argumentiert, dann kriegt man vielleicht einen großen Forschungsauftrag mit einer Million Euro, um dieses Argument dann noch mal zu erhärten, so nach dem Motto: Forschung auf Bestellung. Das findet, zumindest bei mir, nicht statt, das kann ich wirklich so sagen.
Detjen: Kann man das wirklich so sagen? Ist das dann am Ende nicht doch so, da war die Coronakrise, der Drosten ist so berühmt, so toll hat der das gemacht, dann kriegt er eben noch mal eine Million obendrauf und andere nicht, so würde ich jetzt sagen, am Ende spielt das doch eine Rolle, so tickt doch unsere Gesellschaft.
Drosten: Es ist eher das Gegenteil. Es ist so, dass Forschungsmittel vergeben werden nach einem Begutachtungsprozess im Peer-Review-Verfahren, das heißt andere Wissenschaftler schauen sich die Qualität meiner Vorschläge an, also ich muss einen Vorschlag machen, das will ich beforschen, dafür brauche ich so viel Geld, hier sind die Fragen, so will ich sie beantworten, das sind die Methoden. Und andere Wissenschaftler schauen darauf, und das ist nie ohne persönliches Ansehen, das lässt sich nicht trennen. Man begutachtet diese Forschungsanträge und man weiß, man entscheidet jetzt, kriegt der Geld oder nicht. Und da schwingt leider immer etwas mit, das so zusammenzufassen ist wie: Mag ich den oder mag ich den nicht? Das kann man manchmal nicht trennen. Und an dieser Stelle muss ich sagen, spiele ich mir gerade keine Pluspunkte ein durch eine breite Medienpräsenz, da habe ich Minuspunkte bei der Vergabe von Forschungsmitteln in der Zukunft. Das ist wirklich eine Downside von den, was ich hier gerade mache.
Detjen: Das müssen Sie noch mal erklären, warum ist das im Wissenschaftsbetrieb so? Manchmal kriegen wir das mit, dass wir auf Wissenschaftler stoßen in der akademischen Welt, auch auf junge, die sagen, ich weiß nicht, ob mir das guttut. Warum ist das in diesem Wissenschaftsbetrieb so hartnäckig, dass Öffentlichkeit nicht als Bonus wahrgenommen wird, sondern unter Umständen sogar eher als Malus
Drosten: Das liegt daran, dass jede Art von Wissenschaftskommunikation in der Öffentlichkeit ist eine Vereinfachung der Wissenschaft. Und viele Wissenschaftler, die das nicht gewohnt sind, die nicht selber auch immer diesen Salto machen, diese Verkürzung bringen und irgendwie nicht gelernt haben, diesen Schmerz, der dabei entsteht, zu unterdrücken, die empfinden das als Ohrfeige. Die hören so eine verkürzte Aussage von mir in der Öffentlichkeit und die denken sich, was ist das hier wieder für eine Hudelei, was sagt der denn da eigentlich. Das ist doch so billig und so platt, da haben andere Leute viele Jahre ihrer Arbeitszeit verschwendet und sich daran abgerackert und dann fasst der das so in einem Satz zusammen, und der ist noch nicht mal richtig präzise. Dieser Reflex, der entsteht bei Wissenschaftlern zwangsläufig. Das ist so wie der Reflex, der bei einem Kirchenmusiker entsteht, wenn Sie dem eine Bachpartitur vorpfeifen und das ist auch noch falsch. Und Sie sagen, das habe ich aber toll gepfiffen, und andere applaudieren dafür, da kriegt der auch Zahnschmerzen dabei.
Detjen: Ist das etwas spezifisch Deutsches? Ich könnte mir vorstellen, dass das in anderen Wissenschaftskulturen, vielleicht in der amerikanischen, in diskursiveren Kulturen, anders ist?
Drosten: Ja. Es ist so, dass Wissenschaftler in den USA sehr stark dazu auch hingehalten und motiviert werden auch von ihren Universitäten, stärker in die Öffentlichkeit zu gehen, darum ist einfach dieser innere Schmerz, den das für einen Wissenschaftler bedeutet, einen Wissenschaftsinhalt zu verkürzen für die Öffentlichkeit, der ist den amerikanischen Wissenschaftlern einfach bekannter, die sind daran mehr gewöhnt, darum ist da, glaube ich, gegenseitig auch mehr Toleranz.
Buschow: Vielleicht als Ausblick, können Sie vielleicht mal sagen, was sich in der wissenschaftlichen Community in Deutschland durch Ihr Wirken in der Öffentlichkeit verändert hat, wie ist Ihr Eindruck? Hat das eher junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler motiviert, in die Öffentlichkeit zu gehen oder schreckt sie das jetzt sogar ab, wäre das sogar noch mal der gegenteilige Effekt, so wie Sie das gerade geschildert haben, und was raten Sie denn Ihren jungen Kolleginnen und Kollegen?
Drosten: Bei den jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, also Post-Doc-Level oder erste Professur, da würde ich wirklich noch sagen, die erste, häufig noch befristete Professur, das ist so dieses Niveau, wo es losgeht, ja, ich bin und bleibe Wissenschaftler. Davor, die Doktorandenzeit und vielleicht auch die erste Post-Doc-Stelle, da ist es immer noch so, dass man gar nicht weiß, ob man in der Wissenschaft überhaupt bleibt, das ist ja eben doch ein enger Stellenplan, den wir haben. Und auf diesem Transitionsniveau, wo einfach klar ist, man bleibt in der Wissenschaft, da sehe ich jetzt, dass viele Leute sich motiviert fühlen, gerade diese jüngeren, aber gerade jetzt frisch etablierten Leute, da sehe ich eine hohe Aufbruchsenergie – und das ist gut so! Bei den älteren oder etablierteren Leuten, die seit langer Zeit einen Lehrstuhl haben, sehe ich Moment bei vielen eine Art Schockstarre, weil die auch sehen, was um mich herum zum Beispiel passiert ist, die wollen nicht, dass denen dasselbe passiert. Gleichzeitig ist es auch so, ich nehme das manchmal so zwischen den Zeilen wahr, diejenigen, die vielleicht gar nicht so ganz nah an den Fachinhalten sind, würden auch gerne mal eine differenziertere Gegenposition in der Öffentlichkeit vertreten, trauen sich das aber zum Teil nicht und sind darüber auch ein bisschen frustriert. Also, das ist schon etwas, das ich als einen nicht so guten Effekt empfinde von dieser ganzen Medienöffentlichkeit. Der gute Effekt ist aber, dass diese Leute, die jetzt gerade frisch etabliert sind, dass die jetzt wirklich gesehen haben, das ist doch wirklich wichtig, und jetzt überlege ich mir mal, wie ich in meinem Spezialgebiet auch besser kommunizieren könnte.
Detjen: Dann hoffen wir, dass die Schockstarre nicht anhält, nicht bei Ihren Kollegen noch bei den vielen anderen, die im Moment in der einen oder anderen Weise in Schockstarre sind in dieser ungewöhnlichen, denkwürdigen Zeit. Eines, glaube ich, jedenfalls haben wir alle, wir haben ja alle wahnsinnig viel gelernt, aber wir haben gesehen, es gibt doch sehr viel gegenseitiges Interesse. Wir haben Sie gesehen, Sie bleiben dabei, Sie bleiben in der Öffentlichkeit, Sie sind interessiert, den Dialog auch mit uns zu führen – und vielleicht gehen Sie jetzt auch raus und sagen Ihren jungen Kolleginnen und Kollegen, da auch in der Bundespressekonferenz wird man nicht nur nach Fußball und Parteitagen gefragt, da kann man auch ganz interessierte gegenseitige Gespräche führen. Herr Drosten, wir haben uns sehr gefreut, dass Sie unsere Einladung angenommen haben, das Sie sich die Zeit genommen haben. Der Rückweg ist nicht lang, wir wünschen Ihnen einen sicheren Rückweg auf die andere Straßenseite in die Charité, vielen Dank, dass Sie heute bei uns waren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.