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Coronavirus
Warum ist die Sterberate in Italien so hoch?

In Italien ist die Zahl der Todesopfer innerhalb kürzester Zeit gestiegen. Forscher legen nahe, dass zwei Besonderheiten in der Struktur der italienischen Bevölkerung die rasche Ausbreitung der Krankheit begünstigt habe. Außerdem wurde zu Beginn der Coronavirus-Epidemie ein gravierender Fehler begangen.

Von Arndt Reuning | 24.03.2020
Eine Mann mit Mundschutz berührt den Sarg seiner Mutter.
In Italien sind mittlerweile mehr als doppelt so viele Menschen am Coronavirus gestorben wie in China (AFP / Piero Cruciatti)
Wahrscheinlich ist das Coronavirus schon eine ganze Zeit lang unerkannt in Italien kursiert, bevor der erste Fall entdeckt wurde. Der erste Fall war ein Mann, der am 18. Februar 2020 mit grippeähnliche Beschwerden in ein Krankenhaus in Codogno in der Lombardei ging. Er hatte zuvor allerdings keinerlei Kontakt nach China gehabt. Deshalb wurde er nicht getestet und wurde wieder nach Hause geschickt. Die Symptome verschlimmerten sich, der Mann kam wieder ins Krankenhaus, zunächst in eine allgemeine Station, dann auf die Intensivstation. Erst da wurde er positiv auf das COVID-19 getestet. Bis dahin hatte er aber schon viele Menschen im Krankenhaus angesteckt.

Dieser Patient Eins war ein sogenannter Superspreader ("Superverbreiter"), weil er viele Bekannte und Freunde in der Inkubationszeit getroffen hat. Allerdings konnte nicht nachvollzogen werden, wo er sich selbst angesteckt hat. Von daher liegt die Vermutung nahe, dass er nicht Patient Eins war, sondern eher Patient 200. Das Virus dürfte zu diesem Zeitpunkt also schon in der Bevölkerung zirkuliert haben.
Alte Bevölkerung und viel Kontakt mit den mobilen, jungen Menschen
Im Fachmagazin "New England Journal of Medicine Catalyst" haben sich zudem Mediziner aus einem Krankenhaus in Bergamo geäußert, wie sich das Coronavirus in Italien ausgebreitet hat. Sie sagen, dass sich das Virus problemlos in den Kliniken verbreiten konnte und auch durch Fahrten in den Krankentransportern übertragen worden ist. Die Mediziner plädieren deswegen dafür, die Infizierten zukünftig stärker von den Patientinnen und Patienten zu trennen, die aus einem anderen Grund im Krankenhaus liegen. Das Gesundheitssystem in Italien ist mit dem schnellen Anstieg der Fallzahlen überfordert. Die Erkrankten können alle nicht mehr angemessen versorgt werden. Das lässt die Todesrate zusätzlich in die Höhe schnellen.
Träger mit Mundschutz und Handschuhen rollen einen Sarg aus einer Leichenhalle.
Italienischer TV-Moderator: "Dieses Virus ist alles andere nationalistisch"
Die Abflachungskurven der Neuinfektionen in Italien seien mit Vorsicht zu genießen, sagte der italienische TV-Moderator Zeno Braitenberg im Dlf. Man könne diese Zahlen jetzt noch nicht interpretieren. Positiv sei aber die starke europäische Solidarität.
Zudem kommen in Italien noch zwei Besonderheiten hinzu: Die Bevölkerung in Italien gehört weltweit zu den ältesten. 23 Prozent der Menschen sind älter als 64 Jahre. Das Alter ist bei COVID-19 einer der Hauptrisikofaktoren, besonders ab 70 Jahren. Ein Team um Jennifer Dowd von der Universität Oxford hat dazu eine Studie veröffentlicht. Die Fachleute vergleichen darin Italien mit Südkorea und kommen zu dem Schluss, dass die Demographie einen großen Einfluss auf die Mortalität hat. Je älter das Durchschnittsalter der Gesellschaft, umso höher die Todesrate. Wenn es um Räumliche Distanzierung geht, das sogenannte Social Distancing, müssen die älteren Menschen also ganz besonders berücksichtigt werden.
Pendler als Überträger
Auch die Sozialstruktur Italiens hat das Team aus Oxford beleuchtet: Besonders stark betroffen ist der Norden des Landes. Mit der Lombardei und Venetien trifft die Ausbreitung von COVID-19 eine dicht besiedelte und wohlhabende Region. Die Region ist vernetzt sowie geschäftlich über die Infrastruktur eng miteinander verbunden. Mit Bergamo und Mailand gibt es urbane Zentren. Viele Berufstätige leben auf dem Land und pendeln zur Arbeit. Die Pendler könnten als Überträger fungiert haben.
Polizei und Militär überwachen die Ausgangssperre in Italien
Politikerin Garavini: "Isolation der Menschen ist der einzige Weg"
Das Coronavirus sei unheimlich ansteckend – daher seien Ausgangssperren der einzige Weg, dessen Ausbreitung zu bekämpfen, sagte die italienische Politikerin Laura Garavini im Dlf.
Pendler kommen bei der Arbeit in der Stadt mit vielen anderen Menschen in Kontakt und bringen dann das Virus zurück aufs Land. Dort wohnen sie dann oft mit Eltern und Großeltern zusammen. Über diesen engen Kontakt hätte das Virus dann die ältere Generation erreichen können, so das Team aus Oxford.
Auch zwei Wirtschaftswissenschaftler der Universität Bonn haben Zahlen und Abschätzungen vorgelegt, die diese These stützten: Es leben viele alte Menschen in der Region, und sie leben oft mit jungen, gut vernetzten Menschen im selben Haushalt zusammen.
Im Vergleich dazu wurden in Japan bisher nur etwas über 40 Corona-Todesopfer gemeldet. Und das, obwohl es bisher kaum Beschränkungen im Alltag hinsichtlich räumlicher Distanzierung gibt. Die Schulen sind landesweit geschlossen, aber der Alltag ist ansonsten kaum beeinträchtigt. Die Letalität liegt in Japan derzeit bei 3,7 Prozent. Kein geringer Wert, aber das liegt auch daran, dass die Zahl der gemeldeten Infektionen sehr klein ist, weil in Japan kaum getestet worden ist. Die niedrigen Zahlen in Japan stellen insofern noch ein Rätsel dar.
Übertragung über Feinstaub fraglich
Ein Forschungsteam, an dem Experten verschiedener italienischer Universitäten beteiligt sind, stellte zudem die These auf, dass das Virus auch über Feinstaub verbreitet werden könnte. Die Autoren bezeichnen die Veröffentlichung bisher nur als Positionspapier, das bislang auch nur auf italienisch erschienen ist. Es wurde zudem noch nicht von unabhängigen Fachleuten begutachtet.

Coronaviren sind nicht besonders stabil unter Umweltbedingungen, und der Verdünnungseffekt dürfte wohl verhindern, dass es auf diesem Weg zu einer Ansteckung kommt. Deswegen scheint es ausgeschlossen, dass über Feinstaub nennenswerte Mengen des Virus übertragen werden.