Freitag, 29. März 2024

Archiv

Corso-Spezial "Johannesburg"
"Johannesburg war und ist eine Stadt für die Elite"

Regisseur Rehad Desai dokumentierte 2010 mit seinem Film "The Battle for Johannesburg" die Zwangsräumungen besetzter Gebäude, die Macht von Investoren und die Gentrifizierung in der südafrikanischen Metropole. Der Kampf setze sich auch heute fort, sagte er im Interview mit dem DLF.

Rehad Desai im Gespräch mit Leonie March | 09.06.2014
    Reporterin Leonie March im Interview mit dem Dokumentarfilmer Rehad Desai.
    Reporterin Leonie March im Interview mit dem Dokumentarfilmer Rehad Desai. (Deutschlanfunk/Marietta Schwarz)
    Leonie March: Im Zentrum Johannesburgs wird ein Gebäude geräumt - Männer in roten Overalls stapeln die wenigen Habseligkeiten der Bewohner auf dem Bürgersteig. Keiner weiß wohin damit. Ganze Familien sind auf einen Schlag obdachlos geworden. Es ist die Anfangsszene des Dokumentarfilms "The Battle for Johannesburg" - der Kampf um Johannesburg - der sich schon 2010 mit dem Wandel der Stadt beschäftigte. Mit Zwangsräumungen besetzter Gebäude, der Macht von Investoren und Gentrifizierung. Während der Apartheid wurden dunkelhäutige Südafrikaner zwangsumgesiedelt, sagte mir der Regisseur des Films, Rehad Desai damals, heute würden die Armen aus der Innenstadt vertrieben.
    Wir treffen Rehad Desai wieder, um mit ihm über die aktuellen Entwicklungen zu sprechen. Er sitzt rauchend in seinem Garten, in einem ruhigen Vorort der Stadt. Setzt sich der Kampf um Johannesburg fort?
    Rehad Desai: Ja, aber er ist nicht mehr so intensiv wie damals. Ich schätze, dass noch immer etwa 200.000 Menschen im Zentrum der Stadt leben, die nach und nach in andere Viertel verdrängt werden. Sie haben sich in alten Büro- oder Fabrikgebäuden einquartiert, die nie als Wohnblocks konzipiert worden sind. Es gibt weder genügend Toiletten noch Wasser. Häufig ist die Stromversorgung gekappt worden. Nachts ist es stockdunkel, also perfekt für Kriminelle, die in den armen Bewohnern leichte Beute sehen. Das lässt sich eigentlich nur als Hölle auf Erden beschreiben.
    "In Südafrika lebt die Hälfte der Bevölkerung in Armut"
    March: Wir fühlen uns an das Eckhaus in der Fox Street nahe Arts on Main erinnert - können diese Menschen in der Vision eines Investors wie Jonathan Liebmann überhaupt Platz haben?
    Desai: Arts on Main ist ein interessanter Fall: Eine Gruppe sehr junger Unternehmer, die so viele Gebäude aufkaufen, wie sie können. Ihr Plan ist es, die Lücken zwischen den von ihnen neu entwickelten Vierten zu schließen und dazu müssen die armen Leute aus ihren oft illegalen Unterkünften verschwinden. Manchmal bekommen sie Geld dafür, wenn sie ausziehen. Das ist die Revanche der Mittelschicht, die die Innenstadt für sich will, als ihre Spielwiese. In Südafrika lebt jedoch die Hälfte der Bevölkerung in Armut. Die Leute leben in der Stadt, weil hier Einrichtungen wie Krankenhäuser gut erreichbar sind und weil sie es nicht weit zur Arbeit haben. Selbst wenn es nur ein informeller Job ist, wie ein kleiner Marktstand auf dem Bürgersteig. Für sie rechnet es sich nicht, jeden Tag vom Stadtrand ins Zentrum zu pendeln. Die Benzinpreise steigen, eine Fahrt mit dem Minibustaxi kostet um die drei Euro. Das ist so viel, wie diese Leute am Tag verdienen.
    March: Wir denken an die hitzige Schwarz-Weiß-Diskussion am Abend zuvor - welche Rolle spielt die Hautfarbe im Hinblick auf den Bevölkerungsmix in der Innenstadt?
    Desai: Johannesburg sollte seit seiner Gründung eine kosmopolitische Stadt sein. Sie wurde nach den Vorstellungen weißer Kolonialisten gebaut. Und mit diesem Vermächtnis leben wir noch heute. Johannesburg war und ist eine Stadt für die Elite. Der einzige Unterschied ist, dass die Elite heute nicht mehr nur weiß ist. Davon kann man sich überall überzeugen. Das Spannungsfeld besteht darin, dass wir auf der einen Seite sichere Gegenden brauchen, wo die Leute sich wohlfühlen können, aber auf der anderen Seite öffentlicher Raum zunehmend privatisiert wird. Parks schließen, private Sicherheitsleute sorgen dafür, dass jeder, der etwas heruntergekommen aussieht, schnell verjagt wird.
    Gentrifizierung ist ein Phänomen in allen Großstädten der Welt. Der Unterschied in Johannesburg, Rio, Sao Paulo oder anderen Städten des Südens ist, dass es wesentlich brutaler zugeht und die Kontraste harscher sind. Das ist sowohl politisch eine Herausforderung, aber auch im täglichen Leben. Ich meine, Ihr besucht mich heute in meinem Haus, ich lebe in einer schönen, sauberen Straße, um die Ecke gibt es einen kleinen Park und ein paar nette Cafés. Aber das ist eine Blase, weil die meisten anderen Leute, drei oder vier Kilometer von hier in einem riesigen Slum hausen. Extreme Armut existiert direkt neben relativem Reichtum.
    "Das Ganze ist ziemlich zynisch"
    March: Vielleicht ist Johannesburg auch aus einem anderen Grund anders: In Städten wie London, New York oder Berlin begann die Aufwertung eines Viertels stets damit, dass Künstler und Studenten kamen und ihre eigene Subkultur mitbrachten. Erst dann folgten Immobilienhaie und Investoren. Verläuft diese Entwicklung in Johannesburg genau umgekehrt?
    Desai: Ja, sie wird von den Investoren vorangetrieben, Leuten mit Geld. Maboneng ist ein Beispiel dafür: Die Investoren sprechen zunächst Künstler und andere an, die bereit sind, Neuland zu betreten. Wenn das Viertel dann erst mal beliebt ist, schwenken sie um auf Einzelhandel, weil sich damit mehr Profit machen lässt. Die Künstler und Kulturschaffenden bilden also nur den Brückenkopf, um die Stadt zurückzuerobern. Das Ganze ist ziemlich zynisch.
    March: Wie stellt sich der Filmemacher Rehad Desai eine nachhaltigere Entwicklung der Stadt vor?
    Desai: Für echte Nachhaltigkeit muss man sich ernsthaft mit der Ungleichheit befassen, indem man Wohnungen für alle Einkommensklassen anbietet. Dafür jedoch mangelt es an politischem Willen. Die Regierung wird von einer kleinen schwerreichen, schwarzen Elite dominiert, deren einziges Ziel darin besteht, mehr Geld zu scheffeln. Und dementsprechend beeinflusst sie die Politik. Die Lösung besteht also darin, den politischen Willen wieder zu erlangen: Sozialwohnungen mit festgelegten Mieten zu bauen, finanziert durch höhere Steuern für die großen Immobilienbesitzer. Die Politik sollte also weniger zaghaft sein, wenn es um den Umgang mit großen Unternehmen geht und ein paar klare Regeln für sie formulieren.