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"Così fan tutte"

Der Choreograph Joachim Schlömer hat sich ein Werk vorgenommen, das die Definition von Liebe auf komplexe Weise aufzuklären versucht. Ein grausames Spiel zwischen den frisch verlobten Freunden Guglielmo und Ferrando, die sich nach materiellem Aufstieg und gesellschaftlicher Anerkennung sehnen. Bloß fehlen ihnen die Mittel, so dass sie die Treue ihrer Verlobten dem reichen Don Alfonso verpfänden, zum Preis einer Wette. Mit "Così fan tutte" zollt man in Hannover dem Mozartjahr Tribut.

Von Georg-Friedrich Kühn | 15.01.2006
    Techniker in Isolieranzügen mit Glassturzhelmen und Greifern sondieren das Gelände: eine riesige, schräg gestellte weiße Scheibe. Sie finden eine Perücke, einen Fetzen Papier mit der Aufschrift "Ehevertrag". Die Ansage ist klar. Hier wird ein Reinraum bereitet für einen neuen Laborversuch. Eine Petrischale in Sachen Liebe.
    Die Grundanordnung für seine Mozartsche "Così fan tutte" macht Regisseur Joachim Schlömer sehr deutlich. Auch im ersten Akt, wenn die Testpersonen seiner "Schule der Liebenden" auf ihre Reaktionen auf erotische Reize geprüft werden sollen, bleibt das noch – im wörtlichen Sinn – im grünen Bereich.

    Die beiden männlichen Spezies, Guglielmo und Ferrando, die da von einem älteren Zuhältertypen Alfonso – stets mit der Weinflasche am Mund – einerseits auf ihre Verführungskünste und andererseits deren Verlobte auf ihre Resistenzfähigkeit getestet werden sollen, scheinen eher tumb, stattdessen ziemlich rauflustig. Sie werden handgreiflich bei den geringsten Differenzen.

    Die beiden Frauen andererseits, die Schwestern Fiordiligi und Dorabella, die ihren jeweiligen Mann gold gerahmt anhimmeln und bei sich tragen, scheinen kaum ein Wässerchen zu trüben. Fiordiligi allerdings, die länger dem Werben widersteht, hat schon tiefer von den Segnungen der Liebe genippt. Sie ist sichtlich und spürbar schwanger.

    Die Verwandlung der Männer in ihre eigenen Nebenbuhler wird hier mittels einer kleinen Garderobe auf der Bühne von der als Helferin angeheuerten Zofe Despina bewerkstelligt. Wie Soldaten einer Pioniereinheit mit Tarnanzug und MG präsentieren sich die so genannten "Albaner" dann ihren Frauen. Das Ergebnis ihrer Künste nach mehrmaligen Anläufen kennt man. Beide Frauen werden "schwach", und die Männer geraten sich wieder mal in die Haare.

    Zur "Hochzeit" mit vertauschten Rollen ist die Scheibe in einen Tisch verwandelt. Die Paare darauf werden angefunzelt von bezahlten Zuschauern. Die Männer bocken beim Hochzeitstrank, die Frauen signieren zügig den Ehevertrag – bis der ganze Schwindel auffliegt. Alle vier gehen zerstritten auseinander.

    Dass "Così fan tutte" die am schwersten zu inszenierende der großen Mozart-Opern ist – kein Geheimnis. Mit der Unwahrscheinlichkeit, dass frisch Verliebte sich dem nächstbesten Mann an den Hals werfen und den eigenen beim Liebestturteln nicht erkennen, kämpfte schon das 19. Jahrhundert.

    Joachim Schlömer versucht die Klippe zu umschiffen, indem er das in der Musik verankerte parodistische Element, in immer "schwindelndere" Höhen treibt. Der Preis ist, dass die Szene mehr und mehr an Zauber verliert. Der zum Komplizen des schmierigen Strippenziehers Alfonso gemachte Zuschauer verliert das Interesse. Die Spannung schwindet statt zu steigen.

    Dazu hat Schlömer in Hannover für die Rollen nicht sonderlich geeignete Sänger. Die Stimmen sind zu schwer, insbesondere der Fiordiligi der Francesca Scaini fehlt es an Leichtigkeit. Und es wird generell nicht sehr sauber intoniert. Die Sänger sind auch, um den Laborversuch halbwegs glaubwürdig zu machen, nicht jugendlich genug. Dabei versucht das Hannoversche Staatsorchester unter Mihkel Kütson einen durchaus luftigen Mozart-Klang, wozu auch die Begleitung der Rezitative am Hammerklavier statt am Cembalo beiträgt.

    Vom Publikum gab’s am Ende die gewohnten Bravos für die Sänger. Joachim Schlömer und sein Team mussten viele Buhs einstecken. Enthusiasmiert klang der Beifall nicht. Er ebbte schnell ab.