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Costa Rica
Schwulenhass als Wahlkampfschlager

In Costa Rica entwickelt sich Sexualität derzeit zum wahlentscheidenden Thema. Präsidentschaftskandidat Fabricio Alvarado Muñoz schürt unter dem Etikett der Werte Ressentiments - unter anderem gegen Homosexuelle, aber auch gegen künstliche Befruchtung und Sexualerziehung in den öffentlichen Schulen.

Von Anne-Katrin Mellmann | 31.03.2018
    Der Präsidentskandidat in Costa Rica Fabricio Alvarado von der Partido Restauración Nacional in Lomas Del Río de Pavas
    Der Präsidentskandidat in Costa Rica Fabricio Alvarado von der Partido Restauración Nacional in Lomas Del Río de Pavas (imago stock&people / Jeffrey Arguedas)
    Gefühlsbetont ist der Gottesdienst in der Asamblea de Dios, der Versammlung Gottes, einer der größten evangelikalen Glaubensgemeinschaften Costa Ricas. Die haben seit der ersten Runde der Präsidentenwahl eine nie dagewesene politische Macht: Überraschend hat ihr Kandidat Fabrizio Alvarado mit einer Kampagne gegen die Homoehe gewonnen und zieht in die Stichwahl. Das freut die Grundschullehrerin Janet Murillo, die gemeinsam mit ihrer Tochter betet:
    "Die Menschen sind verunsichert wegen der neuen Ideen, die über uns hereinbrechen. Manche verwechseln Menschenrechte mit den extremen Freiheiten, die man bestimmten Bevölkerungsgruppen zugesteht. Diese Gruppen berufen sich auf die Menschenrechte, um ihre Interessen durchzusetzen. Mit der Ehe zwischen Homosexuellen zum Beispiel. Wir brauchen jetzt klare Ideen und einen festen Kurs."
    Dieser feste Kurs lehnt Homosexualität als Sünde ab. Janet Murillo, die vor acht Jahren die katholische Kirche verließ und zur evangelikalen Glaubensgemeinschaft übertrat, erklärt den politischen Erfolg von Fabrizio Alvarado mit einem Erwachen ihres Landes: Viele Familien seien nicht damit einverstanden gewesen, dass die Mitte-Links-Regierung die Homo-Ehe einführen wollte. Der interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof hatte mitten im Wahlkampf im Januar seine Entscheidung verkündet, wonach die Mitgliedsländer alle Paare gleich zu behandeln hätten. Niemand rechnete damit, dass dieses Thema den Wahlkampf dominieren würde.
    "Unsere Gesellschaft in nicht so zivilisiert, wie wir dachten"
    Im alteingesessenen Gay-Club Avispa in der Hauptstadt San José versuchen Schwule und Lesben sich nicht die Laune verderben zu lassen. Heute wählen sie die Miss Gay Costa Rica.
    Wahl zur Miss Gay Costa Rica im Traditions-Gay-Club La Avispa in San José
    Im Traditions-Gay-Club La Avispa in San José lassen sich die Gäste die zunehmend angespannte Stimmung nicht anmerken (Deutschlandradio / Anne-Katrin Mellmann)
    Der Saal tobt, als die Kandidatinnen in prächtigen Ballkleidern mit tropischen Motiven über die Bühne schweben. In die Avispa, in die Wespe also, zu kommen, ist in diesen Tagen mehr denn je ein politisches Statement. Gründerin und Chefin Ana Vega beobachtet das bunte Treiben von einer Empore aus. Es seien weniger Gäste gekommen als in den Vorjahren, erzählt die 63-Jährige traurig. Seit die Wahlkampagne der Evangelikalen einschlug, hätten Homophobie und gewalttätige Übergriffe auf Schwule und Lesben zugenommen. Ihr Club hat mehrere Bombendrohungen erhalten, sie selbst Morddrohungen:
    "Wir haben uns in Costa Rica frei gefühlt und konnten uns nicht vorstellen, dass so etwas passiert. Aber dann rollte diese Welle des Hasses los. Sie überrollte und erschütterte uns und den Lesben und Schwulen wurde klar: Ja, es gibt sie doch - die Homophobie und die Diskriminierung. Unsere Gesellschaft ist gar nicht so zivilisiert, wie wir dachten."
    Ana Vegas 1979 gegründeter Gay-Club La Avispa wuchs im gleichen Maße, wie sich die Einstellungen zu Homosexualität in Costa Rica entspannten
    Ana Vega, 63 Jahre alt, sie gründete 1979 in San José den Gay-Club La Avispa (Deutschlandradio / Anne-Katrin Mellmann)
    In der Avispa jubeln die Gäste der kleinen kurzhaarigen Chefin Ana Vega begeistert zu. 1979, als Homosexualität noch strafbar war, schuf die mutige Frau diesen Zufluchtsort, der Costa Rica über die Grenzen hinaus bekannt machte. So wie ihre kleine geheime Bar zu einem Club anwuchs, in den heute 2000 Menschen passen, entwickelten sich die Freiheiten für Schwule und Lesben. Das kleine mittelamerikanische Land mit seiner stabilen Demokratie und seinem florierenden Tourismus gilt als besonders fortschrittlich.
    Ressentiments schüren unter dem Etikett Werte
    Aber viele, besonders auf dem Land, sind am Fortschritt nicht beteiligt. Diese Unzufriedenen, Abgehängten fängt der Evangelikale Fabrizio Alvarado mit seiner Kampagne ein, die unter dem Etikett "Werte" läuft. Sie richtet sich nicht nur gegen Homosexuelle, sondern auch gegen künstliche Befruchtung und Sexualerziehung in den öffentlichen Schulen. Mit der hat Grundschullehrerin Janet Murillo ein Problem. In der Schule wolle man den Kindern weismachen, Homosexuelle sollten dieselben Rechte haben und ihr Leben sei normal.
    Seit Monaten protestieren Eltern wie Janet Murillo gegen die neuen Lehrpläne der Mitte-Links-Regierung, blockieren sogar Schulen. Den Kindern beizubringen, dass Homosexualität normal ist, geht ihnen zu weit. Ein Dachverband evangelikaler Glaubensgemeinschaften hat zehntausende Unterschriften gesammelt. Kopf der Bewegung war der Anwalt und Prediger mit eigener Radiosendung Juan Luis Calvo:
    "Wir finden, dass die Lehrpläne die Kinder geradezu dazu einladen, schwul oder lesbisch zu werden. Hinter den Lehrplänen steckt eine Agenda multinationaler Organisationen wie UNO oder Organisation Amerikanischer Staaten, in denen die Homosexuellen-Lobby sehr stark ist. Ihre Politik soll in unserem Land installiert werden. Sie zielt darauf ab, die Kinder in einem formbaren Alter zu Verhaltensweisen zu bringen, die aus unserer Sicht gegen die Natur sind."
    Die Evangelikalen wittern eine homosexuelle Weltverschwörung gegen Costa Rica. Ihr politisches Projekt ist der Kampf gegen einen laizistischen Staat. Schon seit längerem debattieren die Costa-Ricaner über die Trennung von Staat und Kirche, die es bislang nicht gibt. Offizielle Religion ist der Katholizismus.
    "Die Stimmung hat sich verändert, ist angespannt"
    Schwule und Lesben fühlen sich als Sündenböcke für die Probleme des Landes. Ihnen ist bewusst, dass es im Kern um wachsende soziale Probleme geht und um die Enttäuschung von der Politik, die in den vergangenen Jahren vor allem mit Korruptionsskandalen auf sich aufmerksam gemacht hat.
    Die Lehrerin Janet Murillo aus Costa Rica mit ihrer Tochter
    Dass ihre Tochter in der Schule lernen soll, Homosexualität sei normal, geht Eltern wie der Lehrerin Janet Murillo zu weit (Deutschlandradio / Anne-Katrin Mellmann)
    Im Club Avispa drücken sie dem Mitte-Links-Kandidaten Carlos Alvarado für die Stichwahl die Daumen. Er will ihre Menschenrechte garantieren. Im Moment sei Zurückhaltung angebracht, warnt Chefin Ana Vega. In der Öffentlichkeit geben sie und ihre schwul-lesbischen Freunde und Bekannten sich wegen der Übergriffe lieber nicht mehr zu erkennen
    "Ich spüre das einfach. Jeden Tag. Sie identifizieren uns an unserer Kleidung, daran, wie wir uns bewegen. Die Leute begegnen uns anders. Früher waren sie freundlich, grüßten uns, 'Hallo, wie geht’s', aber jetzt geben sie uns schräge Blicke, haben plötzlich keine Zeit. Die Stimmung hat sich verändert, ist angespannt. Wir alle in der Community erleben das jeden Tag, auf der Straße, im Bus - überall."
    Diskriminierung spüre man unter der Haut.
    Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region haben wir Demokratie, rufen die Gäste trotzig in die Nacht. Deshalb verlieren sie nicht die Hoffnung, dass diese düstere Episode ein gutes Ende nehmen wird und der evangelikale Prediger nicht in den Präsidentenpalast einzieht.