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"Covering the real"

Spätestens 1962 mit Andy Warhol, Robert Rauschenberg und Roy Lichtenstein - sind Pressebilder zum Material für Künstler geworden. Die angebliche Wirklichkeit auf ihnen wurde immer wieder interpretiert und persifliert. Aus Dokumentation wurde Fiktion, aus Information nicht selten Infiltration. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Basel mit dem Titel "Covering the Real" zeigt diese Entwicklung in der Kunst von 1960 bis heute nun auf.

Von Christian Gampert | 03.05.2005
    Das ist die Medien-Realität: Der israelische Künstler Omer Fast hat hunderte Brustbilder und wegweisende Äußerungen von CNN-Moderatoren zusammengeschnipselt, so dass ein geheimer und ziemlich banaler Subtext hörbar wird. Ständig werden wir, die Zuschauer, über die Medien (und nicht nur auf CNN) per Nachrichten-Verpackung ermahnt, beruhigt, bisweilen beleidigt oder zu etwas aufgefordert - gute Amerikaner zu sein oder auf Rente zu verzichten oder mehr Kinder zu machen; und kein Mensch nimmt das wirklich mit geschärftem Bewusstsein wahr.

    Nur die Künstler haben - und das begann nicht zufällig in den 1960iger Jahren - die seltsamen visuellen Botschaften des Pressebilds immer wieder befragt, verfremdet, montiert, demaskiert. Als der abstrakte Expressionismus erschlaffte und die Studentenbewegung schon fast in der Luft lag, hat Andy Warhol mit drucktechnischen Verfahren gezeigt, dass der Einzelne in den Medien entweder verschwindet oder eine Marke wird. Die Baseler Ausstellung buchstabiert ihr Thema anfangs fast nur mit Warhol-Bildern: der vom Hochhaus springende Selbstmörder, in Silber abgezogen und doch schon, als Silhouette, im Bild verschwindend, eine Legierung mit dem Nichts. Der Johannesburger "Red Race Riot" von 1963, dessen Rassenkrawall darin besteht, dass scharfgemachte Polizeihunde, Rassehunde, ängstlichen Schwarzen die Hosen vom Leib fetzen. Unfallbilder, die als Diptychon mit einer schwarzen Fläche kombiniert sind. "Nine Jackies", neunmal Jackie Kennedy, als schicke First Lady und als trauernde Witwe, in zunehmender Verwischung der Konturen, eine Ikone, die ihrer Individualität immer mehr entkleidet wird.

    Das Pressefoto ist der Nachfolger des Historienbilds. Es ist ein komplexes und sehr subjektives Produkt, das gleichwohl eingesetzt wird, um Objektivität vorzugaukeln. Dieser Widerspruch ist von Künstlern immer wieder wütend ausgereizt worden, in Collage, Druck oder Ölmalerei: Gerhard Richter malte statt honoriger Auftraggeber lieber Starfighter und ist in Basel mit einer ziemlich milchigen Mondlandschaft vertreten, die das amerikanische Triumphbild der Mondlandung konterkariert. Sigmar Polkes berühmte "Menschenmenge" von 1969 hängt ebenfalls im ersten Saal, eine Menschen-Masse, die sich in Rasterpunkten auflöst - und Polke ist den Pixeln ja bis heute treu geblieben. Malcolm Morley malte 1971 großformatig und in Öl eine Doppelseite aus dem Life-Magazine ab, Verwundete aus dem Vietnamkrieg - auch der Fotojournalismus mit seiner angeblichen Empörung über den Krieg stellt diese Opfer zwecks Auflagensteigerung grell aus, er benutzt und verfälscht die Leiden der Opfer.

    Krieg, Gewalt, Terror, das sind die Hauptthemen der Ausstellung - und man kann hier, in der künstlerischen Bearbeitung dieser Fotos nachvollziehen, auf welche Weise Presse-Bilder Realität konstruieren. Am schönsten veranschaulicht das - aus der jüngeren Generation - Wolfgang Tillmans: ihm ist aufgefallen, dass Soldaten in amerikanischen Zeitungen derzeit mit Vorliebe im Zustand des Nichtstuns, Pause-machens, Wache-Schiebens gezeigt werden, ein sympathisches, müßiggehendes Droh-Potential. Martha Rosler dagegen lässt in ihren legendären Montagen die Dritte Welt oder den dreckigen Krieg in schön designte Oberschichts-Wohnzimmer einbrechen, und Sarah Charlesworth zeigt anhand von 45 text-entleerten, nur aus Bildern bestehenden Zeitungs-Titelseiten vom April 1978, wie unterschiedlich die Entführung des Aldo Moro durch die Roten Brigaden gewichtet wurde, je nach Erscheinungsort der Zeitung.

    Die Ausstellung versammelt also allerlei Klassiker, von On Kawaras Datums-Bildern über Richard Hamiltons unscharfem Mick Jagger in Öl (auf dem Weg zu seinem Drogen-Prozess) bis zu Arnulf Rainer Hiroshima-Übermalungen. Aus der Produktion der Gegenwart ragen die verkünstlichten Welten des Fotografen Thomas Demand heraus, die sich auf historische Orte beziehen, auf das Hotel "Beau Rivage" des Uwe Barschel oder auf die gestürmte Stasi-Zentrale. Seltsamerweise fehlt in der Ausstellung das Thema der zusammenstürzenden Zwillingstürme, das ikonographisch wahrscheinlich einfluß- und konnotationsreichste Pressebild der letzten Jahre. Dafür haben die Basler Kuratoren den Anschluß an die Aktualität gesucht: auf einer Riesenleinwand kann man hintereinander jene Bilder anschauen, die jetzt, in diesem Augenblick, die Agentur Keystone ihren Zeitungs- und Online-Kunden zum Kauf anbietet. Das ist, gerade in dieser Klarheit, gut zu wissen: was wir zu sehen bekommen, entscheidet der Chef vom Dienst einer Foto-Agentur.