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COVID-19-Impfstoffe
Wer macht das Rennen?

Regierungen, Konzerne und der Aktienmarkt pumpen Milliarden in die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen. Geschätzte 160 Impfstoff-Projekte gibt es derzeit – meist noch in der Forschungsphase. Doch mehr als 20 Impfstoffe werden bereits an Probanden getestet. Aber welche Impfstoffe sind erfolgversprechend?

Von Michael Lange | 13.07.2020
Nahaufnahme einer behandschuhten Hand, die ein Fläschchen mit der Aufschrift "Covid-19 - Coronavirus Vaccine" hält
Weltweit läuft die Suche nach einem COVID-19-Impfstoff auf Hochtouren (picture alliance / Bildagentur-online/Tetra-Images)

Welche Impfstoff-Projekte sind derzeit besonders erfolgversprechend?

Zwei Impfstoffe liegen derzeit in Führung. Sie befinden sich bereits in der dritten Phase der klinischen Prüfung. In dieser Phase wird mit jeweils mehr als 10.000 Probanden getestet, ob der Impfstoff wirklich vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützt. Da ist zum einen der Impfstoff der Universität Oxford und des schwedisch-britischen Pharmaunternehmens AstraZeneca. Er verwendet ein sogenanntes Vektorvirus – ein ungefährliches Virus, das so verändert wurde, dass es auf seiner Oberfläche ein Spike-Protein von SARS-CoV-2 trägt. Diese Spikes sind die Stacheln des neuen Corona-Virus. Das körpereigene Immunsystem erkennt sie und bildet Antikörper dagegen.
Der zweite Impfstoff, dessen Wirkung bereits getestet wird, stammt vom chinesischen Pharmaunternehmen Sinopharm. Das ist ein klassischer Impfstoff: Ein inaktiviertes Corona-Virus, das eine Abwehrreaktion auslöst. Außerdem gibt es mehrere genbasierte Impfstoffe, die in den nächsten Wochen mit Phase-3-Studien beginnen sollen. Die wichtigsten sind sogenannte RNA-Impfstoffe. Dazu gehören auch die beiden bekanntesten deutschen Impfstoffe von den Biotechnologiefirmen BioNTec aus Mainz und Curevac aus Tübingen.

Wie sind diese neuen RNA-Impfstoffe einzuschätzen?

Das ist ein sehr innovatives Konzept für einen Impfstoff. Dabei wird nicht wie sonst ein geschwächtes Virus oder einzelne Teile des Virus zur Impfung verwendet. Der Impfstoff besteht lediglich aus einer genetischen Information in Form der Boten-RNA oder mRNA. Auf dieser RNA befinden sich Baupläne für Proteine, die der Körper des Geimpften selbst herstellen soll. Das heißt: Die Zellen des Geimpften stellen den Impfstoff selbst her. Mit diesem Konzept werden in der Medizin schon länger Hoffnungen verknüpft, aber es gab auch bereits zahlreiche Rückschläge. Einen zugelassenen RNA-Impfstoff gibt es bisher nicht. Deshalb äußern sich einige Experten skeptisch über dieses Konzept. Die Entwickler aber sind überzeugt, dass sie die Anfangsschwierigkeiten überwunden haben und konnten am Aktienmarkt und aus staatlicher Förderung viel Geld einsammeln. Das Unternehmen BioNTec kündigte an, dass man bereits Ende des Jahres einen Impfstoff zur Zulassung anbieten kann. Außerdem hat BioNTec erste Zwischenergebnisse aus der ersten Phase der klinischen Tests vorgelegt.
Eine Wissenschaftlerin mit Mundschutz, Schutzbrille und Handschuhen hält ein Laborröhrchen mit der Aufschrift "SARS-CoV 2" in den Händen.
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Wie aussagekräftig sind die vorliegenden Zwischenergebnisse?

Die Firma BioNTec konnte zeigen, dass das Immunsystem von einigen freiwilligen Probanden auf den Impfstoff reagierte. In einer klinischen Phase-1-Studie mit wenigen Freiwilligen fanden sie neutralisierende Antikörper, die sich gegen die Spike-Proteine, die Stachel des Corona-Virus, richten. Je nach Dosis besaßen die Probanden teils sogar mehr neutralisierende Antikörper als Menschen nach einer Corona-Infektion. Diese Antikörper sind jedoch nur ein Teil der Immunantwort des Körpers auf das Virus. Eine Arbeitsgruppe aus Australien hat verschiedene Reaktionen des Immunsystems verglichen und schreibt im Fachmagazin Nature Medicine: Diese neutralisierenden Antikörper gegen das Spike-Protein machen nur einen kleinen Teil der Immunantwort. Über die anderen Teile der Immunantwort weiß man erst wenig.

Wird ein möglicher Impfstoff tatsächlich langfristig vor einer Covid-19-Infektion schützen?

Ergebnisse mehrerer Teams zeigen, dass die Zahl der neutralisierenden Antikörper, mit denen das Immunsystem die Viren bekämpft, nach einigen Monaten deutlich sinkt. Vor allem Infizierte ohne oder mit nur geringen Krankheitssymptomen besitzen dann kaum noch schützende Antikörper. Das heißt aber nicht, dass sie dem Virus schutzlos ausgesetzt sind, denn eine wichtige Rolle beim Immunschutz spielen bestimmte T-Zellen. Sie erinnern sich an eine frühere Infektion oder eine Impfung und lenken das Immunsystem auf das Virus. Wie gut die Immunität nach Monaten oder Jahren noch ist, dazu gibt es derzeit keine verlässlichen Informationen. Das Virus ist noch zu neu, um das beurteilen zu können.

Wie wird ein Impfstoff auf seine Wirksamkeit getestet?

Meist müssen mehr als 10.000 Probanden an einer solchen klinischen Phase-3-Studie teilnehmen. Dabei werden geimpfte Probanden mit einer ungeimpften Kontrollgruppe verglichen. Die Zahl der Teilnehmer solcher klinischen Studien muss so groß sein, damit das Ergebnis die Wirksamkeit eines Impfstoffes statistisch abgesichert belegen kann. Das heißt: Je geringer das Infektionsrisiko, umso mehr Personen müssen an der klinischen Studie teilnehmen. Deshalb suchen die Impfstoffentwickler nach Regionen, in denen auch in den nächsten Monaten ein hohes Infektionsrisiko zu erwarten ist. Europa kommt dafür derzeit nicht in Frage. Dort gibt es derzeit zu wenig Infektionen. Besser geeignet sind Länder wie Brasilien oder einige Bundesstaaten der USA. Der Impfstoff, der von der Universität Oxford und AstraZeneca entwickelt wurde, sollte zunächst in Großbritannien getestet werden. Aber weil auch dort die Infektionszahlen sinken, findet eine großangelegte Phase-3-Studie jetzt in Brasilien statt. Der Impfstoff mit inaktivierten Viren von der chinesischen Firma Sinopharm wird in den Vereinigten Arabischen Emiraten getestet.

Wann werden die ersten Ergebnisse zur Wirksamkeit der Impfstoffe vorliegen?

Auch wenn die klinischen Studien derzeit schneller ablaufen als jemals zuvor, wird es noch mindestens vier bis sechs Monate dauern, bis statistisch abgesicherte Ergebnisse vorliegen. Danach kann dann die Zulassung erfolgen. Viele Faktoren können den Prozess allerdings zusätzlich hinauszögern. So können die Infektionsraten insgesamt sinken. Dadurch wird es schwieriger, gute Daten zu erhalten, oder es könnten unerwartete Nebenwirkungen auftreten. Wenn dann die Ergebnisse vorliegen, könnte es sein, dass der Impfschutz nur bei 50 oder 70 Prozent liegt, statt der erhofften 90 oder 100 Prozent. Man sollte sich also nicht darauf verlassen, dass Anfang nächsten Jahres eine dauerhaft schützende Impfung verfügbar ist, die die Corona-Pandemie schnell beenden wird.
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