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COVID-19
Mediziner: Zuwachs an Patienten auf Intensivstationen wird kommen

Intensivmediziner Matthias Kochanek geht davon aus, dass die Anzahl der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen zunehmen werde. Auch wenn noch nicht die Rede von der Situation einer Triage sein könne, sei die Intensivmedizin gut ausgelastet, sagte er im Dlf. Auch gebe es nur begrenzt Pflegepersonal.

Matthias Kochanek im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.11.2020
Ein Intensivbett mit Beatmungseinheit steht auf der Corona-Station im Städtischen Klinikum Dresden für schwer erkrankte COVID-19-Patienten bereit.
Alle Intensivstationen sind immer sehr ausgelastet, auch mit normalen Intensivpatienten, sagte Mediziner Matthias Kochanek. (picture alliance/dpa/Robert Michael)
Die Zahl der persönlichen Kontakte drastisch zu verringern, das ist der gemeinsame Appell von Bund und Ländern, angesichts der weiter steigenden Infektionszahlen. Um das zu erreichen, wurde das öffentliche Leben jetzt noch einmal deutlich eingeschränkt bis Ende des Monats November. Besonderes Augenmerk liegt dabei gerade einmal mehr auf den Behandlungskapazitäten im Gesundheitswesen. Besondere Sorge gilt inzwischen der Entwicklung auf den Intensivstationen in Krankenhäusern und in Kliniken, denn die Zahl der COVID-19-Fälle, die dort behandelt werden, hat sich in den vergangenen zwei Wochen nahezu verdreifacht. Sie ist von rund 850 Patientinnen und Patienten auf inzwischen über 2200 gestiegen. Fachleute erwarten in den kommenden Tagen und Wochen einen weiteren Anstieg.
Matthias Kochanek leitet die internistische Intensivstation am Universitätsklinikum in Köln. Er geht davon aus, dass die Anzahl der Patienten, die aufgrund einer COVID-19 Erkrankung auf die Intensivstation müssen, ansteigen wird.
Corona-Maßnahmen im November - "Alles, was Kontakte reduziert, ist effizient"Bei den strikten Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie sei jeder Tag ein Gewinn, sagte der Physiker Dirk Brockmann im Dlf. Ein intensiver, kurzzeitiger Lockdown sei effizienter als mittelmäßige Maßnahmen, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken.
Jasper Barenberg: Vielleicht fangen wir damit an, dass Sie uns beschreiben, wie die Situation im Moment an der Kölner Uniklinik unmittelbar ist.
Matthias Kochanek: Wir haben aktuell doch in den letzten fünf bis sieben Tagen einen deutlichen Zuwachs an COVID-positiven Patienten, sowohl was die Behandlung auf der Intensivstation angeht als auch an Anfragen von auswärtigen kleineren Krankenhäusern im Großraum Köln, so dass wir momentan noch eine ordentliche Anzahl haben. Wir haben aktuell im Schnitt im ganzen Haus gute 20, 25 Patienten. Das ist immer sehr tagesabhängig. Auf der Intensivstation selber haben wir aktuell zwölf Patienten und davon sind auch der Großteil dieser Patienten intubiert und beatmet, das heißt an der Beatmungsmaschine und damit schwerstgradig erkrankt und auch mit einem entsprechenden Risikofaktor ausgestattet.
"In der ersten Welle wurden wir in Köln ein bisschen verschont"
Barenberg: Sie haben schon erwähnt, dass Sie Anfragen auch aus der Umgebung bekommen. Soweit Sie das überblicken – es gibt hohe Corona-Infektionszahlen auch in Köln -, ist das eine ähnliche Entwicklung auch in anderen Krankenhäusern hier in der Region und möglicherweise auch darüber hinaus?
Kochanek: Wir haben aktuelle Zahlen aus dem DIWI-Register, die sicher mit gleichen Situationen zu berichten sind, aber inzwischen muss man sagen, dass in ganz Köln der Zuwachs an COVID deutlich zugenommen hat in den letzten fünf bis sieben Tagen. Das ist ganz klar. Das ist auch noch mal anders wie in der ersten Welle. Da waren wir in Köln ein bisschen verschont gewesen, verglichen mit anderen deutschen Großstädten, hatten mehr Hotspots, aus Heinsberg das Ganze. Das ist jetzt weggefallen, weil wir quasi flächendeckend einen gleichzeitigen Anstieg haben.
Barenberg: Sie haben das DIWI erwähnt. Für alle, die das nicht gleich wissen: Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Dort werden die freien Kapazitäten, gerade was den Intensivbereich angeht, täglich hinterlegt. Der Präsident des DIWI, der hat ja gesagt, in den nächsten 14 Tagen haben wir die schweren Krankheitsfälle und arbeiten unter Maximalbelastung. Das hat er für die Entwicklung in ganz Deutschland gesagt. Damit rechnen Sie auch?
Kochanek: Ja, damit rechne ich absolut. Die Zahlen sind relativ zuverlässig. Wir können sagen, dass ungefähr in einer Abfolge von acht bis zehn Tagen die meisten Patienten auf Intensivstation landen. Das ist ein reines Rechenexempel, dass wir in ungefähr acht bis zehn Tagen diesen Zuwachs an Patienten, die wir jetzt mit positivem Testergebnis haben, dann auch auf den Intensivstationen haben. Das ist relativ klar auch von den Zahlen her.
"Alle Intensivstationen sind immer sehr ausgelastet"
Barenberg: Jetzt interessiert uns alle, dass wir dieser Tage vielfach hören, dass die Grenzen des Möglichen, die Belastungsgrenzen auf den Intensivstationen schon schneller erreicht werden könnten, als wir uns das im Moment vorstellen können. Und wenn ich Ihnen zuhöre und Sie sagen, Sie haben 20 bis 25 Patienten in der Klinik und zwölf davon auf der Intensivstation, dann klingt das zunächst einmal für den Laien ja noch gar nicht so dramatisch.
Kochanek: Ja, das stimmt. Sagen wir so: Alle Intensivstationen sind immer doch sehr ausgelastet, auch mit normalen Intensivpatienten. Die bleiben ja nicht aus. Wir haben zwar Steuermittel in der Hand, zum Beispiel elektive Operationen abzusagen und zu verschieben.
Barenberg: Elektiv heißt dann immer planbar oder nicht so dringend?
Kochanek: Richtig, planbar, nicht so dringend, wobei das auch, sage ich mal, sehr missverstanden wird. Wir haben viele Patienten, die doch nicht notfallmäßig operiert werden müssen, sprich nicht heute oder nicht morgen unbedingt, aber trotzdem auf absehbare Zeit einen Operationstermin benötigen. Ich erzähle zum Beispiel immer von Tumorpatienten, die Brustkrebs haben, die auch rasch operiert werden sollten. Diese Operation kann man sicher mehrere Tage schieben, aber trotzdem bleiben sie nach wie vor bestehen. Und da muss man sehr intelligent steuern und versuchen, sowohl vom kleinen Krankenhaus bis hin zu einem Krankenhaus der Maximalversorgung wie bei uns das Ganze intelligent zu steuern, ohne dass Patienten Schaden nehmen. Da bestehen Möglichkeiten.
Wir haben auch bei uns Vorsorge getroffen. Aber man muss ganz klar sagen: Das Hauptproblem aktuell aus meiner Sicht, als auch von der Deutschen Gesellschaft für Internistische und Intensive Notfallmedizin: Wir haben natürlich nur ein bestimmtes Areal oder Material oder Pflegekräfte zur Verfügung und das sind momentan sehr limitierende Faktoren. Die müssen wir wirklich sehr sorgfältig behandeln, unsere Pflegekräfte.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Weit davon entfernt, um dieses Wort Triagierung in den Mund zu nehmen"
Barenberg: An dem Punkt würde ich gerne noch mal nachfragen, weil das ja auch viel diskutiert wird: die Engpässe beim medizinischen Personal. Es gibt mit anderen Worten Grenzen, aus anderen Bereichen jetzt Personal einzusetzen auf diesen wichtigen Intensivplätzen?
Kochanek: Ja. Wir haben das bei uns durchexerziert. Ich habe keine konkreten Zahlen, aber ich denke, wir können schon sagen, dass wir natürlich unter Herabfahren anderer Kapazitäten im Krankenhaus Personal versetzen können und dieses zum Beispiel bei uns auf der Intensivstation einsetzen. Das geht allerdings nur begrenzt. Ich schätze, in 30 bis 40 Prozent der Fälle kann man dieses Personal zusätzlich zusetzen. Man muss sich das ein bisschen so vorstellen: Das sind natürlich hoch spezialisierte Pflegekräfte, als auch Ärzte. Die kann man mal nicht so eben aus dem Boden stampfen. Man kann für dieses Basisarbeiten, ich sagte ungefähr 30 bis 40 Prozent, sicher Personal zusetzen, die das auch übernehmen können, aber wir brauchen schon für diesen Bereich gerade bei schwerstkranken Patienten mit ALS, der schwersten Form dieser Beatmungsform, natürlich schon einfach hoch spezialisierte Pflegekräfte und auch Ärzte.
Barenberg: Und wenn es so ist, wie Sie sagen, Herr Dr. Kochanek, und Sie erwarten steigende Zahlen und einen immer schmaleren Grat, an dem Sie noch Spielraum haben, sind Sie dann vorbereitet auf das, was wir die Tage ja auch wieder häufig hören? Der Begriff Triage fällt wieder, eine Situation, in der Sie darüber entscheiden müssen, bei welchem Patienten, bei welcher Patientin eine Behandlung noch Erfolg verspricht und wo Sie diese Behandlung nicht durchführen können.
Kochanek: Insgesamt, glaube ich, sind wir noch weit davon entfernt, um überhaupt dieses Wort Triagierung in den Mund zu nehmen. Da haben wir noch genügend Valenzen und Möglichkeiten, auch Aufstockungsmöglichkeiten. Gerade wir an der Uniklinik haben dafür Vorsorge getroffen, um tatsächlich auch im Vorfeld schon sagen zu müssen, sorry, geht nicht, wir können diesen Patienten nicht mehr behandeln. Wir müssen mit diesem Wort sehr vorsichtig umgehen. Wir dürfen keine Angst damit erzeugen in der Öffentlichkeit. Nichts desto trotz gibt es von unterschiedlichsten Disziplinen in der Medizin auch Anstrengungen, trotzdem hier Vorsorge zu treffen. Das hat jedes Krankenhaus für sich ein Stück weit gemacht. Es gibt auch Vorschläge von den Fachgesellschaften, wie man mit so einer speziellen Situation umgeht, aber ich wage momentan ganz klar davon abzuraten, dass man das hier noch darauf zuspitzt. Wir haben noch genügend Kapazitäten dafür.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.