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Covid-19
Mit Corona leben lernen

Forscher hoffen, dass die Mehrheit der Bevölkerung spätestens bis zum Herbst durch die Corona-Impfung geschützt werden kann. Damit könnte eine neue Infektionswelle verhindert werden. Doch die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion werden Post-Covid-Ambulanzen noch beschäftigen.

Von Michael Lange | 08.01.2021
Eine Schwesterträgt auf einem Flur im besonders geschützten Teil der Intensivstation des Universitätsklinikums Greifswald für Covvid-19-Patienten die Belegung der Betten ein.
Es gibt Hinweise auf Herzerkrankungen als Folge einer Corona-Infektion (picture-alliance/ZB/Jens Büttne)
Die gute Nachrichtet lautet: Das menschliche Immunsystem ist in der Lage, das neue Corona-Virus SARS-CoV-2 zu bekämpfen. Aber damit die Abwehr funktioniert, müssen die Immunzellen vorgewarnt werden – entweder durch eine Infektion mit dem Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung oder durch eine Impfung. Das Immunsystem produziert dann passende Antikörper und T-Zellen, die wichtig sind für einen langfristigen Immunschutz.

Forscher: "Ein klares Plädoyer für die Impfung"

Wenn durch Infektion oder Impfung über 60 Prozent einer Bevölkerung geschützt sind, entsteht eine so genannte Herden-Immunität gegen SARS-CoV-2. Das Virus kann sich nicht mehr verbreiten. Allein durch Infektionen wäre eine Herden-Immunität kaum zu erreichen. Das würde viele Jahre dauern, betont Robert Thimme von der Universitätsklinik Freiburg.
Ein Virus leuchtet im Dunkeln.
Was über die neuen Corona-Mutationen bekannt ist
Bei Viren gibt es stetig zufällige Veränderungen im Erbgut, so auch bei SARS-CoV-2. Diese Mutationen verschaffen dem Erreger Vorteile. Was über die neue Varianten des Coronavirus in Großbritannien sowie in Südafrika bislang bekannt ist.
"Für die Herden-Immunität brauchen wir die Impfung. Das schaffen wir mit der natürlichen Infektion nicht, ohne dass unser Gesundheitswesen unter den dann auftretenden schweren Verläufen komplett kollabieren würde. Also, ein ganz klares Plädoyer für die Impfung."
Robert Thimme und sein Team an der Universitätsklinik Freiburg konnten zeigen, dass der Schutz durch unser Immunsystem nicht nur kurzfristig wirkt, sondern auch langfristig. Die dafür zuständigen T-Zellen konnten die Forschenden auch ein halbes Jahr nach einer Infektion noch nachweisen.

Impfstoffe verhindern die Krankheit, nicht die Infektionen

Bleibt die Frage, ob und wie Impfstoffe eine Ansteckung von Mensch zu Mensch stoppen können. Bekannt ist, dass Impfstoffe die Krankheit verhindern. Dass sie auch Infektionen stoppen, ist wahrscheinlich, aber noch nicht nachgewiesen.
"Wir wissen das wirklich noch nicht im Detail. Da müssen entsprechende Patienten engmaschig nachverfolgt werden. Aber basierend auf dem, was wir von anderen Infektionen wissen, kann man optimistisch sein, dass tatsächlich auch die Verbreitung deutlich gehemmt wird."
Das heißt aber nicht, dass Geimpfte als Überträger nicht in Frage kommen, betont Leif Erik Sander. Er leitet eine Forschungsgruppe für Infektionsbiologie und Impfstoffforschung am Universitätsklinikum Charité in Berlin.
"Aufgrund der Art wie die Immunantwort aufgebaut ist, glaube ich, dass eine komplett sterilisierende Immunität mit einer systemisch gegebenen Impfung nicht erreichbar ist. Das ist meine persönliche Meinung. Das heißt, dass das Virus sich möglicherweise für kurze Zeit in der Schleimhaut auch bei Geimpften replizieren kann."

Keine Sonderrechte für Geimpfte

Geimpfte sind höchst wahrscheinlich weniger infektiös als Ungeimpfte, aber die Übertragung der Viren kann nicht zu 100 Prozent verhindert werden. Vor diesem Hintergrund sollten Geimpfte weiterhin alle Vorsichtsmaßnahmen beachten, wie Abstand halten oder Maske tragen. Sonderrechte für Geimpfte sind wissenschaftlich nicht begründet. Sorgen bereiten Virus-Varianten, die sich möglicherweise dem Impfschutz entziehen.
"Von der englischen Variante geht erstmal, was den Impfschutz angeht, aus meiner Sicht keine Gefahr aus. Ob sich im Verlauf weitere Varianten durch Mutationen bilden - sogenannte Escape-Mutationen, die es dem Virus erlauben, dem Impfschutz auszuweichen – das kann man nicht vollends ausschließen. Und ich erwarte auch nicht, dass durch die Impfung sich jetzt schnell impfresistente Varianten bilden. Aktuell, in den nächsten Monaten erwarte ich da kein schwerwiegendes Problem."
Der Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer. Eine Krankenschwester im UC Davis Medical Center in Sacramento, Kalifornien, zieht die Subsatnz aus einem Gläschen in eine Spritze. Zu sehen ist nur ihre mit einem blauen Handschuh geschützte Hand.
Was Sie über die Corona-Impfung wissen müssen
Die Impfungen gegen das Coronavirus haben in Deutschland begonnen. Wer kann sich wann und wo impfen lassen? Wie sicher sind die Impfstoffe? Welche Nebenwirkungen sind zu erwarten und ist man danach immun? Ein Überblick.
Durch die Impfung lernt das Immunsystem verschiedene Strukturen der Virusoberfläche kennen. Wenn eine oder wenige davon sich ändern, durch Mutation, dann stört das nicht. Der Impfschutz bleibt erhalten. Bei stärkeren Veränderungen müsste der Impfstoff angepasst werden.

Große Infektionswelle im Oktober 2021 verhindern

Außerdem werden im Laufe der nächsten Monate weitere Impfstoffe zugelassen. Sie machen es möglich, dass in Deutschland und Europa bis zum Spätsommer oder bis zum Herbst die Mehrheit der Bevölkerung durch Impfung geschützt werden kann. Dann wäre die Herden-Immunität erreicht und eine große Infektionswelle im Oktober 2021 könnte verhindert werden.
Für Ärzte und Pflegepersonal in den Kliniken wird es dennoch keine Entwarnung geben. Denn viele Infizierte und so genannte Genesene sind nicht geheilt.
"Sie haben Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen oder auch Depressionen angegeben. Einige Patienten berichteten über Bauchschmerzen und Durchfall. Also ein buntes Bild von verschiedenen Symptomen, die über die akute Erkrankung hinaus anhielten."
Andreas Stallmach, Professor an der Universitätsklinik in Jena, ist Gastroenterologe, also Spezialist für Magen und Darm. Als Leiter der Post-Covid-Ambulanz an der Universitätsklinik in Jena entdeckt er immer wieder neue Krankheitsbilder, die Monate nach einer Infektion auftreten.
"Wir haben gelernt, dass die SARS-CoV 2-Infektion keine Lungenentzündung ist, sondern dass das Virus alle Organe im Körper schädigen kann und insbesondere auch das Gefäßsystem des Menschen befällt. Und Blutgefäße gibt es in allen Organen, und deshalb können auch alle Organe geschädigt werden."

Hinweise auf Herzerkrankungen als Folge einer Infektion

Frankfurter Ärzte untersuchten Covid-Genesene im MRT und fanden bei 60 Prozent der Betroffenen Hinweise auf Herzerkrankungen. Viele Monate später traten gehäuft Schäden am Herzkreislauf-System auf, auch bei Infizierten, die zunächst nur milde Symptome zeigten. Im Vergleich zu noch unbekannten Langzeitfolgen durch eine Impfung seien die Post-Covid-Krankheiten das weitaus größere Problem, bestätigt Robert Thimme von der Universitätsklinik Freiburg. Viele Jahre Arbeit für die Post-Covid-Ambulanzen.
"Da sehen wir wirklich mannigfaltige Krankheitsbilder, Monate nach der Ausheilung. Demgegenüber erwarte ich nach der Impfung keine langfristigen Nebenwirkungen. Aber natürlich: Wir wissen es nicht. Aber in der Abwägung entscheide ich mich persönlich ganz klar für die Impfung."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)