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Cowboys, Kultiges, Kellerdramen

Die "Impulse" sind das wichtigste Theaterfestival der Freien Theaterszene im deutschsprachigen Raum. Nun ist die Ausgabe 2011 mit der Preisverleihung zu Ende gegangen. Zwölf Tage mit rund 70 Veranstaltungen und 10.000 Zuschauern haben Zeiten und Orte zum Tanzen gebracht.

Von Karin Fischer | 11.07.2011
    "Seit zwanzig Jahren präsentiert "Impulse", was die Entwicklung des Theaters in den folgenden Jahren beeinflussen wird", heißt es im Programmheft. Nach Sichtung der diesjährigen Auswahl wäre das dann wohl: die vollständige Abschaffung des Schauspielers zugunsten eines moderierenden, Welt erklärenden, wahlweise sich selbst suchenden oder turnenden "Performers".

    Die Abschaffung von Stücken zugunsten reiner "Projekte". Die Überschreitung aller Grenzen zu Kirmes, Klischee und Kindergeburtstag im Namen von Dekonstruktion und Kritik, wahlweise auch der Globalisierung. Die nicht enden wollende Präsenz mehr oder weniger glücklicher Laien auf der Bühne. Und im Theater der Zukunft fände sich eine sehr spezielle Form des theatralen Heimatschutzes, der vor allem auf untergehende Kulturen zielt: den männlichen Österreicher im Rabtal; den Ruhrgebietsbeamten auf Zeche Zollverein; oder den Cowboy.

    Andros Zins-Browne lässt in "The Host" drei solche Cowboys mit einer tollen Skulptur aus Luftbergen ringen. Das soll den existenziellen, vergeblichen Kampf mit der "Natur" symbolisieren, sieht aber aus wie eine Hüpfburg und würde im Freizeitpark "Phantasialand" oder vielleicht noch auf der Kunst-Biennale in Venedig lustig wirken. Dass die wortlose Choreografie ausgerechnet einen der beiden "Goethe"-Preise des Goethe-Instituts gewann, zeigt vermutlich nur, dass auch der Preisgeber im Zeichen der Globalisierung gedanklich abrüstet.

    Ver-spielt in doppeltem Wortsinne war auch das kulturkritische Potenzial von "Trans-Europa-Bollywood" der Truppe "God's Entertainment. Die Show wollte verschiedene Spielarten der Unterhaltungskultur vorführen, mündete aber in harmlosem Mitmach-Theater. Bei der Performance der "Rabtaldirndln" - fünf strenge Österreicherinnen nehmen in einer bösen Dia-Show die Kultur ihrer Heimat als falsche Idylle aufs Korn - beeindruckte einzig die Zahl der Männer, die hier wie zufällig zu Tode kamen. Ansonsten ist sicher: Österreich ist schlimmer als diese harmlose Tanzboden-Veranstaltung mit Wurst, Kren, Schnaps und Musi.

    Zum Beispiel wegen Josef Fritzl. Auf den Mann, der in Amstetten seine Tochter 28 Jahre lang in einem Keller gefangen hielt und acht Kinder mit ihr zeugte, spielt das Stück "Conte d'Amour" der Theatergruppe Institutet aus Schweden mit Nya Rampen (Finnland) an. In einem abgeschlossenen Verlies im Keller, das per Video nach draußen übertragen wird, passiert das Unheimlichste: eine Art Familienleben; die Sehnsucht nach Liebe zwischen Abhängigen. Und plötzlich versteht man, dass die Tochter, die hier mit zwei Söhnen lebt, "I love you Daddy" ins Mikrofon haucht. Es ist aber kein Realismus, der hier stattfindet, sondern irritierendes, kunstvolles, Identitäten in Frage stellendes Theater, das nachweisen will, dass Fritzl nicht nur krank und kriminell ist, sondern uns auch die Zuspitzung und Verrohung des Konzepts "romantische Liebe" im Kapitalismus vor Augen führen kann: "Du gehörst ganz mir".

    Nähe als Intimität und Bedrohung; äffische, wortlose Liebe; Regression durch Zusammenleben: verstörender geht es nicht. Sehr zu recht wurde die in Berlin entstandene Produktion mit dem "Impulse"-Preis ausgezeichnet.

    Von Barock bis Bollywood, von Kunst bis Klamauk, von Pop bis Punk reichte die Bandbreite bei dieser Ausgabe der "Impulse". Matthias von Hartz und Tom Stromberg hören nach sieben Jahren auf. Ihre Auswahl war immer auch subjektiv, sie war verspielt, ungewöhnlich sympathisch und in diesem Jahr fast unverschämt grenzüberschreitend. Gut, dass dennoch die Vorreiter der Freien Szene geehrt wurden: Der zweite Goethe-Preis ging an die vielleicht berührendste Inszenierung der vergangenen Jahre, an "Testament" von She She Pop. Mit ihrer poetischen Parallelisierung der "König Lear"-Geschichte mit den eigenen Vätern zeigen sie wieder einmal, dass das Private auch politisch ist. Zwar nicht die neueste Erkenntnis, aber noch nie eine Schlechte, die in diesem Jahr für fast alle Produktionen galt.