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Crash der Autobranche
"Bärendienst für den Diesel"

Eine Forschungsvereinigung der deutschen Autoindustrie hat Versuche an Affen und Menschen machen lassen. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob Stickstoffoxide, Bestandteile von Diesel-Abgasen, unschädlich sein könnten. Experten sprechen im Dlf von einem Riesenfehler und Wissenschaftsbetrug.

Diskussionsleitung: Silke Hahne, Deutschlandfunk | 31.01.2018
    Rauch strömt aus dem Auspuff eines Autos
    Dieselqualm strömt aus einem Auspuff: Die Stickoxid-Emissionen älterer Dieselmotoren sind Grund für die Forderungen nach Fahrverboten von Dieselfahrzeugen in mehreren deutschen Städten (Imago)
    Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management der Wirtschaftshochschule Bergisch-Gladbach kritisierte die geäußerte Empörung seitens der Politik über die Stickoxid-Versuche mit Affen und Menschen als "allzu wohlfeil". Man erkenne, dass die Politik ein "etwas schlechtes Gewissen" habe, denn sie habe jahrelang eine "Kultur des Wegschauens" gegenüber den Praktiken der Automobilindustrie und namentlich gegenüber dem Dieselskandal geübt. Mit den sehr starken Kommentaren versuche man auf politischer Seite nun, das "ein Stück weit auszugleichen".

    Die von den Firmen VW, Daimler, BMW und Bosch finanzierte "Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor", kurz EUGT, sei sowohl im Fall des Affenversuchs wie auch im Fall der Studie an der RWTH Aachen "über ethische Grenzen hinweggegangen" erklärte Bratzel. "Tests ein Riesen-Bärendienst für den Diesel" Diese Grenzverletzung sei "aus einer gewissen Hybris heraus" entstanden, "in dem Sinne: Uns kann ja keiner, wir setzen den Diesel jetzt durch, und da gehen wir auch über Grenzen hinweg. Das war ein Riesenfehler auch für eine Technologie, die vielleicht noch Chancen gehabt hätte", erläuterte Bratzel. Deshalb seien die Tests "eine absolute Verirrung, und im Übrigen einen Riesen-Bärendienst für den Diesel" gewesen. Denn diese an sich zukunftsfähige Technik habe nun kaum noch Chancen. Der Mannheimer Medizinethiker Axel Bauer erklärte, von beiden Forschungsprojekten sei der Affenversuch der problematischere gewesen. "Es war sicherlich kein Tierversuch, der unerlässlich gewesen wäre", wie es dies das deutsche Tierschutzgesetz verlange, sagte Bauer. "Am letzten Ende war es auch noch Wissenschaftsbetrug" Hinzu komme, dass der Versuch mit den Affen höchstwahrscheinlich unter manipulierten Bedingungen stattgefunden habe: Die beteiligten amerikanischen Wissenschaftler hätten gar nicht gewusst, dass der VW Beetle, dessen Abgase die Affen einatmen mussten, mit der betrügerischen Software arbeitete, womit der Schadstoff-Ausstoß künstlich verringert wurde. "Es war also letzten Endes auch noch Wissenschaftsbetrug. Das macht die Sache ethisch und wissenschaftstheoretisch sehr problematisch."

    Was die Studie an der RWTH Aachen betreffe, führte Bauer aus: "Diese Versuche sind nur deshalb durchgeführt worden, weil sie jemand finanziert hat." Wissenschaftlichen Nutzen könne er nicht erkennen.

    Der Wissenschaftstheoretiker erklärte, die Hochschulen hätten insgesamt ein Problem, wenn sie wissenschaftlich haltlose Forschung betrieben, um Geld von Industrieseite einzuwerben. Bauer sagte: "Die Drittmittelorientierung ist enorm gewachsen, für meinen Geschmack zu sehr. Es wird an den Universitäten oftmals weniger über Inhalte der Forschung gesprochen, als über die Frage, welcher Kollege wieviel hunderttausend oder Millionen Euro eingeworben hat, ohne dass man sich noch dafür interessiert, was er damit macht und wo das Geld herkommt."

    Wenn die Wissenschaftler die Hoheit über die Forschung verlören, erklärte Bauer, dann sei die Wissenschaftskultur "ernsthaft in Gefahr".
    Es diskutierten:
    • Professor Axel W. Bauer, Medizinethiker an der Universitätsmedizin Mannheim
    • Professor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft, in Bergisch-Gladbach
    • Max Hägler, "Süddeutsche Zeitung", Wirtschaftsressort