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CSU-Politiker Manfred Weber zur Flüchtlingspolitik
"Wir müssen nationale Egoismen überwinden"

Der Europaabgeordnete Manfred Weber hat die EU-Staaten aufgerufen, in der Flüchtlingspolitik wieder stärker zusammenzuarbeiten. "Wir brauchen keine neuen Ideen, sondern wir müssen nationalen Egoismus überwinden", sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. Es sei notwendig, dass jeder auf den anderen zugehe.

Manfred Weber im Gespräch mit Thielko Grieß | 17.02.2016
    Weber blickte auch auf den morgen beginnenden EU-Gipfel in Brüssel. Er räumte ein, dass er nicht mit einer baldigen Kontingent-Lösung rechne. "Wir sind noch nicht so weit", sagte der EVP-Fraktionsvorsitzende im DLF.
    Mit Blick auf die Sicherung der Außengrenzen betonte Weber, dass es richtig sei, diese Grenzen abzuriegeln. Nicht Schlepper, sondern die Staaten müssten entscheiden, wer nach Europa komme. Der CSU-Politiker stellte aber auch klar, dass Europa weiter Flüchtlinge aufnehmen müsse. Wer die Bilder aus Aleppo sehe, dürfe sich nicht abwenden.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Ein zweites Gespräch jetzt mit Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Mitglied der CSU. Herr Weber, guten Morgen!
    Manfred Weber: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Sie haben die griechische Position gehört. Es gibt viele, die setzen Griechenland unter Druck. Was hilft es, immer auf dem schwächsten Glied der Kette herumzuprügeln?
    Weber: Es prügelt niemand auf Griechenland herum. Wir wollen eine Lösung und die europäische Ebene, Jean-Claude Juncker hat dafür ein Vier-Säulen-Paket auf den Tisch gelegt, das von Kontingenten spricht, die wir anbieten. Das unterstreicht die humanitäre Aufgabe Europas, in diesem Bürgerkrieg nicht wegzuschauen.
    Das Zweite ist, dass wir diese Kontingente dann fair verteilen müssen, Gerechtigkeit beim Lastentragen brauchen. Das Dritte ist der Außengrenzenschutz, der funktionieren muss, wo Jean-Claude Juncker, wo wir in Brüssel sagen, dann muss Frontex Kommando übernehmen, wenn es vor Ort nicht klappt, dass die Sicherung übernommen wird. Das Vierte ist dann die Hilfe vor Ort.
    Grieß: Ich finde das interessant, Herr Weber, dass Sie nach wie vor an den Kontingenten und an den Quotenregelungen festhalten. Wir haben es gerade gehört: Selbst in Griechenland glaubt keiner mehr so recht daran. Sie wissen: Frankreich steht auch nicht mehr dazu. Österreich hat Tagesquoten eingeführt. Das klingt so ein bisschen nach Getreidebörse. Mit dieser Lösung wird Angela Merkel sich in dieser Woche in Brüssel nicht durchsetzen. Was folgt daraus?
    Die Kontrolle an der Außengrenze zurückgewinnen
    Weber: In dieser Woche nicht. Das bestätige ich ausdrücklich. Wir sind noch nicht so weit. Nur die Bürger sollen auch wissen, die Menschen sollen auch wissen, dass es einen Plan gibt, dass Europa einen Plan hat, wie wir die Aufgaben solidarisch gemeinsam lösen könnten, und was jetzt leider notwendig ist, ist nicht, dass wir neue Ideen entwickeln, sondern was notwendig ist, ist, dass wir den nationalen Egoismus überwinden. Wir haben viele Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union, die bis dato fast keine Flüchtlinge aufgenommen haben, und deswegen müssen wir nationalen Egoismus überwinden, dass jeder nur auf sich selbst schaut. Das ist die Aufgabe der nächsten Tage.
    Grieß: Wir haben alle in dieser Woche den nationalen Egoismus, den Sie so nennen, noch einmal in Reinform gesehen und gehört in der Visegrád-Gruppe.
    Weber: Die Visegrád-Gruppe hat ihre Positionen formuliert und andere Staaten haben andere Positionen formuliert, und was jetzt in den nächsten zwei Tagen notwendig ist, ist schlicht und einfach, dass jeder auf den anderen ein Stück zugeht. Es ist richtig, dass Grenzen abgeriegelt werden müssen, damit sich Massenzuwanderung, Massenbewegungen, wie wir sie im letzten Halbjahr erlebt haben, nicht wiederholen. Wir müssen an der Außengrenze endlich wieder unsere Kontrolle zurückgewinnen. Nicht Schlepper dürfen entscheiden, wer nach Europa kommt, sondern der Staat muss entscheiden, wer nach Europa kommt. Da haben die Visegrád-Staaten recht. Andererseits haben die Visegrád-Staaten nicht recht, wenn sie glauben, ein Abriegeln bedeutet, dass wir keine Flüchtlinge aufnehmen. Wer die Bilder aus Aleppo sieht, der muss helfen, und Europa als reicher Kontinent muss helfen. Deswegen will man über feste Kontingente mit der Türkei, mit Jordanien und dem Libanon reden. Wir dürfen uns nicht abwenden. Und wenn einfach beide Seiten, die wir in Europa haben, aufeinander zugehen würden und anpacken würden, dann würde Europa die Aufgaben auch lösen.
    Grieß: Herr Weber, Sie sind uns heute Morgen aus Ankara zugeschaltet und heute Mittag sind Sie verabredet mit dem türkischen Präsidenten Erdogan zu einem Mittagessen. Sie werden nicht nur speisen, sondern auch miteinander sprechen. Wie wollen Sie die Türkei anschieben, damit die - Sie haben gerade davon gesprochen, dass beide Seiten sich bewegen müssen - auf die Europäische Union zugeht?
    Die Türkei muss das Schlepper-Unwesen bekämpfen
    Weber: Ich darf zunächst mal Präsident Erdogan danken, weil die Türkei in den letzten Jahren bereits 2,5 Millionen - mit steigender Tendenz - Flüchtlinge im Land aufgenommen hat, mit großen auch inneren Problemen. Es wurden über neun Milliarden Euro bereits von der Türkei ausgegeben, um die Flüchtlinge unterzubringen. Und deswegen muss man auch mal Respekt sagen vor der Türkei, vor ihrer Leistung in der Flüchtlingsfrage. Jetzt brauchen wir einen fairen Pakt. Das heißt, auf der einen Seite muss die Türkei uns helfen, die griechisch-türkische Grenze, die zugegebenermaßen schwierig zu sichern ist aufgrund der geografischen Lage, zu sichern. Das heißt, das Schlepper-Unwesen, die Mafia-Leute zu bekämpfen. Das ist Aufgabe der Türkei. Andererseits muss die Türkei wissen, dass wir Europäer sie damit nicht allein lassen. Es wäre nicht akzeptabel zu sagen, liebe Türken, bitte nehmt die Aleppo-Flüchtlinge jetzt auf, und gleichzeitig erwarten wir von der Türkei, dass sie die griechische Grenze abriegelt. Dies wäre nicht ehrlich und deswegen müssen wir auch...
    Grieß: Entschuldigen Sie, Herr Weber. Bietet die Europäische Union mehr als drei Milliarden Euro, die bislang im Gespräch sind?
    Weber: Wir haben die drei Milliarden Euro auf den Tisch gelegt und die sollten wir jetzt erst mal verwenden und ausgeben. Wenn es dann am Geld liegt, dass wir mehr Geld brauchen, dann werden wir auch in der Partnerschaft dort offen sein dafür. Aber wir sollten jetzt erst mal beginnen damit. Das Zweite, was wichtig ist, ist das, dass wir vor Ort in den Camps als Europäische Union tätig sind, ganz konkret im Aleppo-Fall. Die Menschen stehen jetzt in dieser Stunde an der Grenze und deswegen muss jetzt an dieser Grenze ganz praktisch geholfen werden. Da kann Europa beispielsweise vor Ort Camps aufbauen mit der Türkei gemeinsam. Jetzt ist Praxis gefragt, jetzt ist Handeln gefragt und nicht Theoretisieren. Und ich wünsche mir, dass die Staats- und Regierungschefs sich in den nächsten zwei Tagen ihrer Verantwortung bewusst sind, dass der Egoismus überwunden wird und dass wir anpacken.
    Grieß: Manfred Weber ist heute in Ankara unter anderem zu einem Gespräch verabredet mit dem türkischen Präsidenten Erdogan und heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Weber, danke für das Gespräch.
    Weber: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.