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CSU und Grüne
Ringen um mehr Profil

"Wir schaffen das" - mit drei Worten ist es der Kanzlerin gelungen, sich bei so manchen CSU-Mitgliedern unbeliebt zu machen. Auf dem Parteitag ab Freitag wird Merkel wohl den Unmut der Christsozialen über eine zu laxe Flüchtlingspolitik zu spüren bekommen. Auch die Grünen treffen sich zur Delegiertenkonferenz. Und sie werden ebenfalls ihre Argumente voraussichtlich gegen Merkel richten - allerdings aus nahezu gegensätzlichen Gründen.

Von Katharina Hamberger und Michael Watzke | 19.11.2015
    Angela Merkel und Horst Seehofer
    Horst Seehofer hat die Kanzlerin bereits vorgewarnt: Merkel werde beim Parteitag auf ein aufgewühltes Publikum treffen. (Imago / Ralph Peters)
    Eine riesige Lagerhalle an der bayerisch-österreichischen Grenze. Hier übernachten 1.500 Flüchtlinge. Am Eingang der Halle steht ein stämmiger Oberbayer im Trachtenjanker.
    "Ja, mein Name ist Josef Flatscher, ich bin erster Bürgermeister der Stadt Freilassing, und das seit 1999. Also fast 17 Jahre."
    In diesen fast 17 Jahren hat der CSU-Delegierte Flatscher 16 Parteitage erlebt. Sein 17., der morgen in München beginnt, könnte der bisher spannendste werden. CSU-Parteitage, sagt der 48-jährige Bürgermeister, seien keine Funktionärstreffen wie bei der Schwesterpartei CDU.
    "Beim CSU-Parteitag, da ist tatsächlich Basis da. Und ich bin überzeugt davon, dass da einiges an die Frau Kanzlerin herangetragen wird."
    Die Frau Kanzlerin tritt morgen um 17 Uhr vor die 1.000 Delegierten im Münchner Messezentrum Riem.
    "Ich glaub schon, dieser Satz allein "Wir schaffen das", das reicht wirklich nicht. Ich glaube, dass da Tacheles gesprochen wird. Irgendwo wäre sie gut beraten – ich weiß ja nicht, wer sie immer so alles berät – schon mal da und dort auf die Basis zu hören."
    Die Basis – die spürt Josef Flatscher jeden Tag in Freilassing. Täglich kommen in der 17.000-Einwohner-Stadt bei Salzburg rund 2.000 Migranten an.
    "Wenn ich heute mit verschiedenen Familien usw. spreche, da ist niemand dabei, der nicht helfen will. Aber jeder hat bestimmte Ängste: was kommt auf uns zu? Wie viele Menschen kommen noch? Was verändert sich? Und, und, und. Und das muss ich doch als Politiker ernst nehmen und sagen: es muss so laufen, dass wir es auch bewältigen können."
    Josef Flatscher fordert eine Obergrenze – aber Angela Merkel will keine festlegen. Das deutsche Asylrecht kenne keine Obergrenze, sagt die Kanzlerin seit Monaten. Doch wenn die Regierungschefin in München ans Rednerpult tritt, wird der CSU-Parteitag soeben eine Flüchtlings-Höchstzahl für 2016 beschlossen haben. Denn auf Seite 2 des zehnseitigen Leitantrags mit der Überschrift "Deutschland braucht das starke Bayern" steht in kursiven Lettern: "Wir brauchen eine Obergrenze." Eine konkrete Zahl benannte die CSU bislang jedoch nicht. Das tat vor einer Woche als erster – und einziger – Markus Söder, der bayerische Finanzminister. 200.000 bis 300.000 Flüchtlinge pro Jahr – mehr könne die deutsche Bevölkerung nicht verkraften.
    "Ich fänd' eine internationale Lösung viel besser – viele wünschen sich das auch in Berlin, weil man dann nämlich nicht selber entscheiden muss. Aber, Politik und Regierung müssen im Zweifelsfall dann das tun, was die Deutschen erwarten. Und das heißt, dann: irgendwann auch selber handeln."

    Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU).
    Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU). (imago / Schreyer)
    Das Interview gab Söder dem Deutschlandfunk kurz vor den Terroranschlägen in Paris. Der ehrgeizige Franke nimmt die Stimmung in der Partei dankbar auf, um Kritik an der Kanzlerin zu üben – indirekt aber auch am eigenen Vorsitzenden. Denn er würde Horst Seehofer lieber heute als morgen beerben. Söder spricht von einer Entfremdung, die in den vergangenen Wochen eingetreten sei. Auch an der CDU-Basis.
    "Es ist schon spürbar, dass das Urvertrauen in die Kanzlerin berührt ist. Deswegen glaube ich, wird der Parteitag eine Moment-Aufnahme sein, aber dieses Vertrauen wieder zurückzugewinnen – das wird ein langer und schwieriger Prozess werden. Völlig unabhängig vom Parteitag."
    Zwei Tage nach dem Terroranschlag twittert Söder "Paris ändert alles" und weiter: "Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen" – so als hätten die Flüchtlinge irgendwas mit den IS-Terroristen von Paris zu tun. Söder kurz vor dem Anschlag:
    "Die Wahrheit wird am Ende an der Grenze sein. Da liegt die Wahrheit. Eine deutsche Regierung muss im Zweifelsfall in der Lage sein, das eigene Land zu schützen – selbst wenn die EU-Außengrenzen von EU-Partnern nicht ordentlich geschützt werden."
    "Im Umfeld dieses barbarischen Anschlags ist es völlig unangemessen, jetzt solche Vorwürfe an die Kanzlerin zu richten. Es geht jetzt nicht um Grundsatzdebatten über die Flüchtlingspolitik", stellt sich Horst Seehofer vor die Kanzlerin, und die CSU-Spitze auf Seehofers Seite - Markus Söder entschuldigt sich. Die Flüchtlingsfrage sollte nicht mit Terrorbekämpfung vermengt werden – das wird die CSU in einer Resolution auch auf dem Parteitag beschließen. Seinen CSU-internen Konkurrenten Söder hat Seehofer damit erst mal kalt gestellt. Ad acta gelegt sind die Differenzen mit Angela Merkel allerdings noch nicht.
    Bayerische Landkreise und Kommunen fühlen sich durch den Zustrom überfordert
    Seit die Kanzlerin Anfang September Hunderte vor allem syrische Flüchtlinge aus Budapest nach Deutschland holte, ebbt die Zahl der ins Land kommenden Menschen nicht wirklich ab – mit mehr als einer Million Flüchtlingen wird allein in diesem Jahr gerechnet. Bayerische Landkreise und Kommunen sind mit dem Zustrom überfordert und fühlen sich allein gelassen – diesen Ärger wird die Bundeskanzlerin morgen auf dem CSU-Parteitag spüren. Mit Pfiffen sollen die Delegierten die CDU-Chefin jedoch nicht empfangen. Horst Seehofer hat im Parteivorstand gemahnt, die CSU möge sich - bei aller Emotion - als anständige Gastgeberin präsentieren. Er hat Angela Merkel aber vorbereitet: Sie werde beim Parteitag auf ein aufgewühltes Publikum treffen, deshalb müsse sie die richtigen Botschaften senden. Stephan Mayer, der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag:
    "Ich bin schon der Meinung, dass sie gut daran täte, diese besondere Sensibilität in Bayern und auch in der CSU in Hinblick auf die aktuelle Positionierung zu manchen Themen ernst zu nehmen, und entsprechend auch in ihrer Rede darauf zu reagieren."
    Am Tag nach der Rede der CDU-Chefin will sich Seehofer in einer Grundsatzrede als Taktgeber der Union präsentieren. So ist er schon in den vergangenen Wochen aufgetreten. Auch in Berlin:
    Stephan Mayer: "Die wichtigsten Maßnahmen, die in den letzten Monaten ergriffen wurden, sind auf Initiative der CSU zustande gekommen. Wir debattieren auch über eine weitere Verschärfung des Asylrechts. Auch dies kommt maßgeblich auch auf Druck der CSU zustande."
    Auch das Papier zur Flüchtlingspolitik, auf das sich die Spitze der Großen Koalition Anfang November geeinigt hat, trage – so Mayer - die Handschrift der CSU. Darin ist unter anderem von speziellen Aufnahmeeinrichtungen die Rede – für Menschen ohne Bleibeperspektive. Das sind zwar nicht die Transitzonen, die die CSU gefordert hatte; die Christsozialen interpretieren es trotzdem als Erfolg und sind überzeugt, sich auch hier durchgesetzt zu haben. Landesgruppen-Chefin Gerda Hasselfeldt hält das harte Agieren ihres Parteichefs für richtig. Horst Seehofer hat der Bundesregierung mit nicht näher benannten Notwehrmaßnahmen und sogar mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht, weil die hohe Flüchtlingszahl die eigenstaatliche Handlungsfähigkeit der Länder gefährden würde:
    Hasselfeldt: "Denn mit diesem Druck haben wir vieles erreicht, was wir wahrscheinlich ohne diesen Druck nicht erreicht hätten."
    Das wiederum hilft nun auch Horst Seehofer. Denn unumstritten ist er in den eigenen Reihen nicht. Jetzt darf er bei der Wahl zum Parteivorsitzenden auf eine Zustimmung von 90 Prozent plus X hoffen. Damit ginge er gestärkt in die voraussichtlich letzten zwei Jahre als CSU-Chef. Vorausgesetzt, es bleibt bei seiner Ankündigung, 2018 nicht mehr als Spitzenkandidat antreten zu wollen.
    Sven Lehmann (Grüne): "Die CSU setzt darauf, Europa wieder zuzubetonieren"
    Ihre Führungsgremien wollen auch die Grünen auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz an diesem Wochenende in Halle an der Saale neu wählen. Vor allem aber wollen sie die drei Tage in Sachsen-Anhalt zur Profilierung und Positionsbestimmung nutzen, gerade bei ihrem alten Herzensthema, der Flüchtlingspolitik.
    "Aus meiner Sicht sollten die Grünen an diesem Wochenende das politische Gegenmodell zur CSU formulieren", meint Sven Lehmann, Landesvorsitzender der Grünen in Nordrhein-Westfalen und ein Parteilinker.
    "Die CSU setzt auf Abschreckung, sie setzt darauf, Europa wieder zuzubetonieren mit Mauern, mit Grenzen, mit Stacheldraht, und sie möchte ausgrenzen. Und das ist genau das, was die Grünen alles nicht möchten."
    Lehmanns Parteikollege aus NRW, der Bundestags-Vize-Fraktionschef Oliver Krischer, weiß indes, dass die Flüchtlingspolitik auch in den eigenen Reihen für Unruhe sorgt. Diese Stimmung wird den Parteitag in Halle durchaus prägen:
    "Wir haben immer uns für Flüchtlinge eingesetzt. Für uns war klar: Das Asylrecht ist ganz großes Kernelement, und beispielsweise so etwas wie sichere Herkunftsstaaten ... dass man die jetzt ausweitet, das stößt bei vielen Grünen nicht auf Gegenliebe ... "
    Oliver Krischer ahnt in diesem Moment nicht, dass noch ein ganz anderes Thema die Bundesdelegiertenkonferenz mit dominieren wird.
    "Diese furchtbaren Anschläge in Paris werden natürlich Folgen für unseren Parteitag haben."
    Die Terrorattacken in Paris sind in Halle an der Saale nun der erste große Tagesordnungspunkt. Am Freitag werden die Anschläge genau eine Woche zurückliegen:
    Michael Kellner: "Natürlich werden wir da auch Raum bieten, zu trauern und dem Schmerz Ausdruck zu geben, den wir natürlich alle empfinden."
    "Aber natürlich auch die politische Debatte führen, die jetzt aufschlägt", ergänzt die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter.
    "Was heißt Innere Sicherheit, was heißt außenpolitische Maßnahmen? Und deswegen wird es noch mal einen Schwerpunkt vor dem Thema Flüchtlinge geben, der mit dem Namen Paris eben diese beiden Themen aufgreift."
    Als Reaktion auf den Terror von Paris werden die Grünen auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz eine Resolution verabschieden. In der politischen Krisenstimmung dieser Tage gelingt der Partei, was ihr sonst so oft schwerfällt: Sie schärft ihr Profil. Strengere Sicherheitsgesetze in Deutschland lehnen die Grünen ab, ebenso Bundeswehr-Einsätze im Innern, und auch beim Thema Auslandseinsätze in Syrien stellt Parteichef Cem Özdemir klar:
    "Ich glaube, es geht nicht darum, dass deutsche Truppen oder andere Bodentruppen dort benötigt werden. Ich bin ja da eng im Gespräch, auch mit der kurdischen Seite. Mir hat da noch niemand gesagt, dass er dort deutsche Soldaten vermisst."
    Im Oktober haben die Grünen den schärfsten Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten zugestimmt
    Zugleich steht gerade Özdemir als Bundesvorsitzender und Ober-Realo für einen behutsamen Annäherungskurs an die Union: Letztes Jahr prägte er den Parteitag der Grünen mit seiner Feststellung, man könne die Islamisten nicht mit der Yogamatte bekämpfen. Diese Woche wiederum war Özdemir geradezu angewidert, als CSU-Mann Markus Söder den Terror direkt mit der Flüchtlingspolitik verrührte. In Halle geht es aber auch um Psychologie und Strategie. Denn die Partei hat zwei entscheidende Wahljahre vor sich:
    "Ich glaube, mit Halle beginnt die Phase des Warm machens", sagt Robert Habeck. Grüner Vize-Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein.
    "Die Wahlen in Baden-Württemberg, aber auch Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sind für alle Parteien wichtig, aber Baden-Württemberg (ist) sicherlich für die Grünen noch mal besonders wichtig ... "
    Denn dort regiert mit Winfried Kretschmann der erste grüne Ministerpräsident überhaupt. Gelingt ihm die Wiederwahl in Baden-Württemberg, dann, sagt Robert Habeck "dann mit Schwung in die Bundestagswahl und möglichst ein Super-Ergebnis holen. Also warm machen, Zwischensprint, und dann durchziehen im Langstreckenlauf, bis die Bundestagswahl kommt."
    Habeck, der grüne Realo, will übrigens gerne Spitzenkandidat seiner Partei bei der nächsten Bundestagswahl 2017 werden. Seitdem er das im Mai ankündigte, macht er sich selbst kräftig warm für Berlin. Erstmals bewirbt sich der Kieler am Samstag um einen Sitz im Parteirat, einem der wichtigsten Strategie-Gremien der Grünen. Es dürfte der erste aufschlussreiche Stimmungstest für den 46-Jährigen werden – und ein Kräftemessen mit Cem Özdemir. Als Parteichef wird der Schwabe auf eine Kandidatur bei der nächsten Bundestagswahl kaum verzichten. Noch aber schweigt er. Özdemir will erst seine für Samstag angesetzte – und freilich als gesichert geltende - Wiederwahl abwarten ...
    "Und ich glaub nicht, dass die Welt aktuell gerade darauf wartet, dass Cem Özdemir sich jetzt, heute im Deutschlandfunk erklärt."
    Zumal die Flüchtlingspolitik erst einmal reichlich Zündstoff birgt auf dem Parteitag der Grünen: Weit über 100 Änderungsanträge hat der Bundesvorstand erhalten, deutliches Symptom für die innere Zerrissenheit der Partei. Im Oktober haben die Grünen im Bundesrat den schärfsten Asylrechtsverschärfungen seit Jahrzehnten zugestimmt, verbunden mit einer erneuten Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten auf dem Balkan. Dennoch sagt der Parteilinke, Sven Lehmann:
    "Wir haben die Seele der Partei nicht verkauft, im Gegenteil..."
    Man habe ja schließlich auch deutliche Verbesserungen für die Flüchtlinge erreicht, und die Lage sei nun einmal kompliziert: Im Bund sind die Grünen in der Opposition, in neun Bundesländern hingegen in Regierungsverantwortung. Ein schwieriger Spagat, sagt Sven Lehmann. Die Schmerzgrenze ist für ihn bald erreicht:
    "Jetzt stellen wir fest, dass es offenbar eine klare Kante braucht, denn die Bundesregierung will das Asylrecht offenbar immer weiter verschärfen, und da sagen wir: Jetzt reicht es! Das geht mit uns nicht."
    Die Vehemenz, mit der der grüne Fundi aus NRW rote Linien ankündigt, ist in dieser Schärfe in Berlin nur selten zu hören. Dort klingen die Grünen oft sehr viel vorsichtiger, abwägender – manche sagen: langweiliger. Sven Lehmann hingegen wünscht sich eine stärkere Rückbesinnung auf linke Themen: Auf soziale Gerechtigkeit und mehr Chancengleichheit. Lehmann fasst es so zusammen: Wir müssen unser Kernprofil auf dem Parteitag wieder stärker schärfen:
    "Aus meiner Sicht sind die Grünen keine Volkspartei. Wir sind eine Partei, die programmatische Kernanliegen hat. Und aus meiner Sicht müssen die Grünen diese Kernanliegen immer verteidigen, auch dann, wenn der Wind sehr rau ist - wie gerade in der jetzigen Zeit."
    Gegenwind kommt zum Beispiel aus Südwest. In Baden-Württemberg lobt Winfried Kretschmann überschwänglich die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.
    "Die Kanzlerin hat die Unterstützung der Ministerpräsidenten. Darum haben wir uns mit ihr auf einen Katalog geeinigt. Das war schwer genug, aber wir stehen zusammen. Und das war die wichtigste Botschaft, die zeigt: Wir handeln."
    Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann, spricht in Hamburg auf dem Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen.
    Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann. (Jens Büttner, dpa)
    Die freundliche Solidarität hat zwei Gründe: Als Landesvater kennt Kretschmann die Sorgen und Nöte der Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung. Zweitens muss er auch als Wahlkämpfer Handlungsfähigkeit demonstrieren. Am 13. März nächsten Jahres wird im Ländle ein neuer Landtag gewählt. Die Umfragen sind knapp. Und die Nervosität steigt. In Stuttgart und in Berlin:
    Cem Özdemir: "Auf schwäbisch sagt man: Es ist keine gemähte Wiese ".
    Keine gemähte Wiese also. Grünen-Parteichef Cem Özdemir stammt bekanntlich ebenfalls aus dem Schwäbischen.
    "Keine gemähte Wiese. Also das heißt, es ist kein Selbstläufer. Da ist Demut angesagt. Aber wir haben mit dem Winfried Kretschmann einen superbeliebten Ministerpräsidenten. Die Werte der Grünen sind jetzt stabil bei 25 Prozent. Wir gehen davon aus, da ist noch mehr drin in Baden-Württemberg. Aber vieles wird natürlich davon abhängen, was mit den kleinen Parteien passiert, die AfD zum Beispiel. Also konzentrieren wir uns darauf, was wir tun können."
    Ein Wahlsieg in Baden-Württemberg soll der Partei den nötigen Rückenwind für die nächste Bundestagswahl verschaffen. "Grüner Aufbruch 2017" heißt der dazu passende Antrag, den der Bundesvorstand in Halle vorlegen wird. Es ist alles schon geplant für Schwarz-Grün im Bund – so wirkt es gelegentlich:
    "Ja gut, dass wir im Bunde regieren sollten, das ist sowieso klar. Also es wird mal wieder Zeit, würde ich sagen", sagt Robert Habeck. Und sein Parteifreund Sven Lehmann aus NRW?
    "Ich kann derzeit nicht erkennen, dass wir mit der Union eine gemeinsame Basis bilden. Wenn man sich zum Beispiel die Asyldebatte anschaut, dann ist klar, dass vor allem CSU und Grüne fundamental unterschiedliche Richtungen vertreten. Und auf dieser Basis lässt sich mit Sicherheit keine gemeinsame Koalition bilden."
    Die Christsozialen zittern um die absolute Mehrheit im Freistaat
    Im bayerischen Landtag steht Steffen Vogel unter einem Gemälde des bayerischen König Ludwig. Das passt gut, denn der CSU-Landtags-Abgeordnete Vogel fordert die Eigenständigkeit Bayerns.
    "Und warum kann Bayern sein eigenes Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen, wenn wir derzeit eine Art Staatsversagen haben? Beispielsweise bei der Sicherung unserer Außengrenzen, im Hinblick auf den Flüchtlingszustrom."
    Am Freitag und Samstag trifft sich die CSU in München zum Parteitag. Und Vogel ist besonders gespannt auf das Grußwort der Kanzlerin. Auch ihm reicht das Merkel'sche "Wir schaffen das" nicht. Es brauche Taten statt Worte.
    Steffen Vogels bayerische Abspaltungs-Fantasien sind in der CSU-Fraktion nicht mehrheitsfähig - jedenfalls bisher. Vogel sei ein seltsamer Kauz, grinst ein Landtags-Kollege aus dem Allgäu. Mit seiner Merkel-Kritik allerdings liege er richtig. Denn die Christsozialen beobachten nervös, wie die Umfragewerte der Unions-Parteien in den Keller rauschen und die Alternative für Deutschland auf bis zu zehn Prozent ansteigt. 2018 wird im Freistaat gewählt – die Christsozialen zittern heute schon um ihre absolute Mehrheit. Und Markus Söder sieht das bürgerliche Lager generell in Gefahr.
    "Lassen wir den historischen Fehler zu, den die SPD mit der Linkspartei gemacht hat? Den sie bis heute nicht mehr korrigieren kann. Wenn die Zahnpasta einmal aus der Tube ist, geht sie nicht mehr rein. Und wir sind kurz davor, dass diese AfD-Pasta aus der Tube kommt. Deswegen müssen wir an einigen Stellen konsequent bleiben."
    Schwesterliche Liebe verbindet CSU und CDU derzeit nicht. Er habe so etwas in seiner aktiven Zeit noch nie erlebt, sagt ein langjähriges CSU-Vorstands-Mitglied im Hintergrundgespräch. Es hätten ihn in den letzten Wochen Leute angerufen, die sich bisher noch nie gemeldet hätten. Leute, die seit Jahrzehnten stille Stammwähler der CSU seien, die sich noch nie beschwert hätten – nicht mal während der Griechenland-Krise. Jetzt aber meldeten sie sich und drohten, der CSU ihre Stimme zu versagen, wenn das mit der Flüchtlings-Lawine so weitergehe.
    Josef Flatscher, der CSU-Bürgermeister von Freilassing, hofft, dass Angela Merkel noch ein Einsehen hat. Dass sie nach ihrem Grußwort am Pult stehen bleibt und einige Fragen aus dem Publikum beantwortet. Bisher ist das im Programm des Parteitags nicht vorgesehen, weil Merkel das angeblich nicht will.
    Flatscher: " ... weil ich glaube einfach, dass das erwartet wird. Wenn da der eine oder andere herangetragen hat, er wolle etwas sagen – es können natürlich nicht alle 2.000 oder wie immer da sind, was sagen – aber bestimmte Bürgermeister, Landräte oder auch entsprechende Granden – ich bin überzeugt davon, dass die Kanzlerin dann vielleicht eine halbe Stunde oder Stunde länger bleibt."
    Es könnte ein spannender Parteitag werden – so spannend wie seit Jahren nicht.