Freitag, 29. März 2024

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Plattform Steady
Geschäftsmodell Solo-Newsletter

Der Newsletter ist unter den digitalen Medien ein Urgestein und doch erfindet er sich immer wieder neu. Auch im Journalismus wird er gerne eingesetzt, beispielsweise als morgendliches News-Update. Nun setzen auch immer mehr einzelne Journalistinnen und Journalisten auf den Newsletter.

Von Michael Borgers | 24.03.2021
Eine Frau sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, ein Notebook auf dem Schoß, und schreibt in ein Notitzbuch
Ein Newsletter könne "ein finanziell auskömmlicher Weg sein, wenn man eine loyale Community erreicht", meint Medienforscher Christopher Buschow (IMAGO / Cavan Images)
Gut 40 deutsche Medienschaffende haben Mitte März angekündigt, künftig jeweils ihren eigenen Newsletter schreiben zu wollen. In einem Video erklären einige von ihnen, warum sie jetzt auf Newsletter setzen, statt in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen:
"Jeder Zweite hat jetzt nen Newsletter, die andere Hälfte hat nen Podcast." "Etwa vor fünf Jahren habe ich festgestellt, dass mir die sozialen Netzwerke total auf die Nerven gehen." "Weil, die Algorithmen sortieren anders, die organisieren nach Engagement." "Schlecht gelaunte Menschen, Falschinformationen." "Dann kam Steady – und hat mein Leben um einiges vereinfacht."
Steady – das ist ein Online-Dienstleister für Menschen, die Inhalte veröffentlichen wollen und wickelt zum Beispiel Abo-Modelle ab. Bislang waren das Podcasts, Blogs oder Online-Magazine. Jetzt kann man über Steady auch Newsletter abonnieren und bezahlen.

"Das kann ein finanziell auskömmlicher Weg sein"

Solche Newsletter von Medienmachern sind auch in den USA ein Trend, sagt Medienforscher Christopher Buschow: "Wir erkennen, dass zunehmend auch mehr etablierte Journalistinnen und Journalisten ihre Unternehmen verlassen und selber sozusagen eigene Modelle auf den Weg bringen."
Eine Zeitung mit dem Titel "Newsletter"
Plattform Substack - Retten Bezahl-Newsletter den Journalismus?
Mit einem Newslettern richtig Geld machen: Die Plattform Substack ist damit in den USA schon sehr erfolgreich. Unter den beliebtesten Anbietern finden sich auffällig viele Journalisten.
In Deutschland habe es eine solche Entwicklung bislang noch nicht gegeben. Doch das könnte sich nun ändern, glaubt Buschow, der an der Bauhaus-Universität in Weimar zu neuen Formen der organisierten Zusammenarbeit im digitalen Journalismus forscht.
"Das kann ein finanziell auskömmlicher Weg sein, wenn man eine loyale Community erreicht, wenn man auch deren Zahlungsbereitschaft abschöpfen kann. Das ist in der Tat in den Vereinigten Staaten auch so erkennbar."

"Vereinzelung von Medienarbeit"

Einen großen Vorteil sieht der Wissenschaftler darin, dass Steady eine einfach zu bedienende technische Infrastruktur bereitstellt. Journalistinnen und Journalisten könnten sich so auf ihre Inhalte konzentrieren.
Aber sind auch alle Inhalte möglich? Geht etwa auch investigativer Journalismus per Newsletter? Christopher Buschow hat Zweifel und fragt sich: "Diese Vereinzelung von Medienarbeit, wohin führt die denn im Journalismus? Und welche mitunter auch negativen Seiten hat das denn, wenn’s eben keine redaktionellen Strukturen mehr gibt, in die journalistisches Arbeiten vielleicht eingebettet ist."
So gebe es die Gefahr, dass redaktionelle Grundprinzipien verlorengehen, wie beispielsweise das gegenseitige Lektorieren und Korrigieren. Der Medienforscher sieht deshalb auch Plattformen wie Steady in der Pflicht.
Steady-Gründer und -Geschäftsführer Sebastian Esser findet dagegen: "Das steht uns nicht zu. Wir sind nicht der Verlag, wir sind nicht für die Inhalte verantwortlich, das ist die Verantwortung unserer Publisher."

Zehn Prozent der Newsletter-Einnahmen gehen an Steady

Steady mischt sich nur dann ein, wenn gegen Community-Richtlinien verstoßen wird, wenn Inhalte rassistisch sind, Hass verbreiten oder zu Gewalt aufrufen. Deshalb habe man auch schon in der Vergangenheit Zusammenarbeiten beendet, sagt Esser.
Die neuen Publisher seien eine "bunte Mischung", die verschiedene Interessen und Geschmäcker abdecken sollen, darunter auch so bekannte Namen wie Comedian Markus Barth oder die Journalisten Hajo Schumacher und Teresa Bücker.
Esser: "Und wir hoffen jetzt aber, und das ist auch der Fall, dass jetzt täglich Dutzende dazukommen. Und dass es noch viel heterogener wird, als es ohnehin schon ist."
Jemand sitzt an einem Tisch vor einem Laptop und hält mit einer Hand ein Smartphone, im Hintergrund ist ein Fahrrad zu sehen, im Vordergrund eine Tasse.
Neue Bezahlmodelle für Journalismus - Spezialisierte Newsletter als Einnahmequelle
Wie finanziert sich Journalismus trotz sinkender Auflagen? Der "Tagesspiegel" versucht es mit zwei kostenpflichtigen Newslettern, geschrieben von hochspezialisierten Journalisten.
Das Geschäftsmodell von Steady funktioniert so: Sobald Publisher verdienen, verdient das Unternehmen mit – und zwar zehn Prozent der Einnahmen.

"Auch investigative Journalisten brauchen Aufmerksamkeit"

Für ihn sei aber nicht diese Aussicht auf Verdienst der Grund gewesen, mitzumachen, sagt Hans-Martin Tillack. Tillack war 27 Jahre lang Investigativ-Journalist beim "Stern", seit März arbeitet er als freier Journalist. Und der Newsletter helfe ihm dabei.
"Weil man, wenn man sich neu orientiert in einer neuen beruflichen Phase, auch solche zusätzliche Aufmerksamkeit gebrauchen kann. Wie generell Journalisten, auch investigative Journalisten, in der Tat für ihre Arbeit Aufmerksamkeit brauchen, damit man auf diese Weise auch möglichen Quellen signalisiert: Hier bin ich, Ihr könnt Euch melden, ich kümmere mich um Eure Hinweise."
Auch Tillack glaubt nicht, dass ein Newsletter die Arbeit in einer Redaktion ersetzen kann: "Es ist eher etwas zum Begleiten von Recherchen: Wie kommt’s zu Recherchen? Was passiert dann?"
Aber reichen dafür nicht Twitter oder Facebook aus? Tillack findet, nein. Ein journalistischer Newsletter sei einfach wertiger.