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Cyber-Mobbing
"In der Gesellschaft bewegt sich etwas"

Cyber-Mobbing sei "nicht nur ein Kavaliersdelikt", sagte Uwe Leest, Vorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing im Deutschlandfunk. Die Verfolgung von Tätern sei allerdings schwierig, da diese häufig anonym agierten und Betroffene sich nicht immer über ihre Rechte im Klaren seien.

Uwe Leest im Gespräch mit Thielko Grieß | 28.06.2014
    Der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing, Uwe Leest.
    Der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing, Uwe Leest. (dpa/Hannibal Hanschke)
    Thielko Grieß: Mobbing im Internet, Cybermobbing ist ein Phänomen, dessen Zahlen steigen, vor allem weil es so einfach ist, zum Beispiel bei Facebook unter Kunstnamen Schmähungen oder Beleidigungen zu hinterlassen. Die Justizminister der Bundesländer haben den Bundesjustizminister Heiko Maas in dieser Woche gebeten zu prüfen, ob Gesetze verschärft werden müssen, um Mobbingopfer besser zu schützen. Zu diesem Thema habe ich vor dieser Sendung mit Uwe Leest gesprochen. Er ist Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing. Ein Bündnis von Pädagogen, Juristen und Eltern, das vor allem in der Politik Lobbying dafür betreibt, dass diese Verschärfungen kommen. Meine erste Frage an Uwe Leest: Was für eine Verschärfung der Gesetze stellen Sie sich vor?
    Uwe Leest: Ja, wie verfolgen ja das Thema Cybermobbing seit drei Jahren, seitdem wir gegründet worden sind, und haben immer wieder die Forderung gestellt, ein Cybermobbinggesetz in Deutschland zu erlassen, und die Politik ist jetzt ja auf dem Wege dahin, das zu tun.
    Grieß: Und was muss da genau drinstehen, in diesem Cybermobbinggesetz?
    Leest: Ja, was da genau drinstehen soll, das ist natürlich mehr eine Frage des gesellschaftlichen Konsens. Wichtig ist, dass am Ende des Tages die Täter auf der einen Seite präventiv davon abgehalten werden, ihre Taten weiter durchzuführen, und auf der anderen Seite in der Gesellschaft ein Zeichen gesetzt wird, dass Cybermobbing eben nicht nur ein Kavaliersdelikt ist.
    Grieß: Also präventiv sagen Sie, und es soll auch abschreckend wirkend – geht das nur mit Geldstrafen oder muss da auch zu härteren Maßnahmen gegriffen werden?
    Leest: Ich glaube, das Instrumentarium der Strafen ist natürlich abhängig auch letztendlich von der Tat selber, denn es gibt natürlich, wenn man sich das Themenumfeld von Cybermobbing anguckt, natürlich kleinere Straftaten wie Beleidigungen, aber es gibt natürlich darüber hinaus auch Körperverletzungen. Und da bin ich jetzt kein Jurist, zu sagen, in welcher Form das Strafmaß dann ausgeführt werden sollte.
    "Das Thema wird verniedlicht"
    Grieß: Jetzt haben Sie beispielhaft zwei Straftatbestände angeführt – Beleidigung darunter, Körperverletzung das andere –, das bringt mich auf die Frage, Herr Leest, dass es all diese Straftatbestände ja auch schon gibt, im Strafgesetzbuch ist das geregelt, die tauchen in verschiedenen Paragrafen auf. Darunter fallen auch noch andere Begriffe wie Verleumdung zum Beispiel oder Nachstellung oder das Recht am eigenen Bild oder einiges mehr, also in anderen Worten: Es steht doch alles schon Strafgesetzbuch.
    Leest: Da bin ich schon bei Ihnen. Es gibt im Moment, sag ich mal, zwei Blickwinkel, die man betrachten muss. Das eine ist erst mal, dass die Opfer nicht wissen, dass es diese Straftatbestände gibt, die sozusagen dann auch wiederum von der Polizei in der Form oder von der Justiz nicht so verfolgt werden, weil das Thema in unserer Gesellschaft immer noch verniedlicht wird.
    Grieß: Das kann ich nicht ganz nachvollziehen oder vielleicht hab ich's einfach noch nicht ganz verstanden. Wenn ich beleidigt werde in der Offlinewelt, also mal angenommen, Sie würden mir jetzt hier Verwünschungen entgegenschleudern, dann wüsste ich ja auch, aha, okay, Moment, da könnte ich womöglich dagegen aktiv werden. Wenn wir das Interview beendet haben und das Gleiche tun Sie dann im Internet, dann ist der Schritt doch nicht soweit zu verstehen, dass ich da auch einen rechtlichen Schutz genieße.
    Leest: Die Problematik ist natürlich, dass vieles, worüber wir im Internet reden, natürlich auch anonym passiert. Und so, wie Sie Ihr Beispiel eben gesagt haben, Sie wissen, dass ich es war, dann können Sie natürlich auch direkt zur Polizei gehen und mich dementsprechend anzeigen. Aber in vielen Cybermobbingfällen ist es halt eben so, dass die Täter eben nicht physisch oder persönlich bekannt sind.
    Grieß: Weil sie zum Beispiel unter Kunstnamen oder Decknamen sozusagen agieren, das kennt man ja aus der Internetwelt. Ein Gesetz könnte aber dieses Problem ja auch nicht lösen, wenn ich das richtig verstehe, also die Rückverfolgbarkeit, wer hat was wo geschrieben, das bleibt schwierig, oder?
    Leest: Ja, auch da haben Sie vollkommen recht. Wir kommen dann in den nächsten Themenkomplex hinein, dass wir natürlich die Verfolgbarkeit sicherstellen müssen. Und da kommen wir dann in die gesellschaftliche Diskussion Vorratsdatenspeicherung, wie gehen wir damit um, und deshalb wird uns dieses Thema in der Vielfältigkeit noch in der nächsten Zeit beschäftigen.
    Grieß: Also Stichwort Vorratsdatenspeicherung ist natürlich ein anderes Reizwort in der Internet-, in der digitalen Debatte. Da höre ich raus, beim Stichwort Cybermobbing sähen Sie einen geeigneten Verwendungszweck für die Vorratsdatenspeicherung.
    Leest: Ja, natürlich. Und die Gesellschaft muss sich einfach darüber im Klaren werden, wie sie in Zukunft mit dieser neuen Welt letztendlich umgehen will, und wir müssen uns, ob wir das wollen oder nicht, Regeln geben.
    Grieß: Die Vorratsdatenspeicherung ist nun allerdings nach verschiedenen Gerichtsurteilen politisch so gut wie tot.
    Leest: Ich werfe das ja auch in die Diskussion. Die Gesellschaft muss letztendlich darauf eine Antwort finden, und die Vorratsdatenspeicherung könnte eine Antwort darauf sein im Kontext zu Cybermobbing.
    Mobbing on- und offline
    Grieß: Wir sprechen über Cybermobbing seit einigen Minuten. Klar ist, es gibt einige Unterscheidungsmerkmale zwischen, ich sag mal, Mobbing in der Offlinewelt und Mobbing in der Onlinewelt, aber wäre es nicht auch ein Ansatz oder warum bemühen Sie sich nicht darum, Mobbing strafrechtlich zu kodifizieren für beide Welten, Online und Offline?
    Leest: Ich bin sofort bei Ihnen, weil wenn man sich das Thema Mobbing und Cybermobbing anguckt, dann sind das meistens auch Straftaten, die miteinander kombiniert sind. Das heißt, wir haben auch gerade eine Studie zum Thema Mobbing und Cybermobbing bei Erwachsenen durchgeführt, wo sich ganz deutlich zeigt, dass eben das physische Mobbing aus der realen Welt sich mit der virtuellen Welt immer mehr verknüpft. Wir reden also im Grunde hier um einen gesellschaftlichen Konsens, wir wollen wir miteinander umgehen.
    Grieß: Der gesellschaftliche Konsens, das scheint mir ein roter Faden zu sein, der sich bei Ihnen durch Ihre Argumentation zieht – vielleicht auch deshalb, weil Ihre Hoffnung auf Hilfe durch die Juristerei so groß nicht sein kann?
    Leest: Es ist ein Baustein, um dieses Thema zu behandeln, aber wir haben natürlich ganz, ganz weit vorne das Thema Prävention. Wir müssen natürlich uns, die Jugendlichen, die Kinder in die Lage versetzen, mit dieser neuen Kommunikationswelt, mit diesen Möglichkeiten umzugehen.
    Grieß: Das betrifft sozusagen Kompetenz im Umgang mit dem Internet. Sie sprechen Jugendliche an, Schüler, Erwachsene sind aber auch betroffen?
    Leest: Ja, ja, ich hatte das ja eben schon in meinen Ausführungen dargelegt. Es betrifft Jugendliche natürlich, aber vor allen Dingen Jugendliche, weil die natürlich in ihren Persönlichkeitsstrukturen noch nicht so sind wie die Erwachsenen.
    Lehrer brauchen Raum für neue Aufgaben
    Grieß: Sehen Sie da eine Aufgabe für wen, für die Schule?
    Leest: Das ist eine Aufgabe, die liegt bei den Eltern, die liegt bei der Schule, die liegt im Grunde in unserer Gesellschaft, nämlich ein Klima zu schaffen, wieder miteinander respektvoll umzugehen.
    Grieß: Diejenigen, die Schule organisieren und bezahlen müssen, werden möglicherweise so reagieren: Meine Güte, was sollen wir denn noch alles machen in der Schule?
    Leest: Ich war letzte Woche auf einem Symposium, und dort waren 100 Lehrer und Pädagogen, und das habe ich mit denen auch diskutiert. Dabei waren natürlich auch Politiker, und letztendlich stehen wir, steht die Politik in der Verantwortung, die Rahmenbedingungen zu schaffen, den Lehrern den Raum zu geben, das Geld zu geben, um wiederum diese zusätzlichen Aufgaben, die Sie angesprochen haben, natürlich auch leisten zu können.
    Grieß: Hat es in den vergangenen Jahren, Sie sind ja seit, ich glaube, drei Jahren mit dem Bündnis gegen Cybermobbing aktiv, hat es in diesen vergangenen Jahren konkrete Fortschritte gegeben?
    Leest: Gerade in den letzten Monaten erlebe ich in der öffentlichen Diskussion und auch gerade die Konferenz der Justizminister gestern hat gezeigt, in der Gesellschaft bewegt sich etwas.
    Grieß: Der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing bei uns im Gespräch im Deutschlandfunk, Uwe Leest. Danke, Herr Leest!
    Leest: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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